Alexander Dobrindt und Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz der Unionsfraktion
analyse

Debatte über Kriegsflüchtlinge Dobrindt-Äußerung sorgt für Ärger - auch in der Union

Stand: 25.06.2024 19:04 Uhr

CSU-Landesgruppenchef Dobrindt hat mit seiner Forderung für Aufsehen gesorgt, arbeitslose Ukrainer abzuschieben. In der Union hat er damit viele überrascht und verärgert.

Eine Analyse von Sarah Frühauf, ARD Berlin

Im Regierungsviertel flanieren Touristen mit Schlapphüten und Trikots ihrer Nationalfarben. Die Tische vor den Restaurants sind voll besetzt, und jeden Abend lädt ein anderes Ministerium oder Landesvertretung zum Sommerfest. Im politischen Berlin liegt Ferienstimmung in der Luft. Noch zwei Sitzungswochen, dann ist parlamentarische Sommerpause. Das sind oft nachrichtenarme Wochen, in denen jeder, der gern eine Schlagzeile hätte, sie so leicht wie sonst nie bekommt.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt scheint dieser Zeit dieses Mal voraus. Er nutzte bereits am Wochenende die Gelegenheit, von sich reden zu machen. Die Bild am Sonntag titelte: "CSU-Dobrindt: Ukrainer sollen arbeiten oder heimfahren!".

Bei solchen Forderungen muss auch manch einer in der Union schlucken. Von einer schrägen Debatte im falschen Ton zur falschen Zeit ist hinter vorgehaltener Hand die Rede. "Kein Kommentar" ist fast schon die netteste Reaktion auf die Frage, wie man Dobrindts Vorstoß bewerte.

Offene Kritik wird vermieden

Ein gutes Stimmungsbild über Themen und Positionen in der CDU gibt traditionell das "PGF-Frühstück" bei Torsten Frei, also beim Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion. Immer dienstags in Sitzungswochen beantwortet er Fragen der Journalisten. An diesem Morgen gehen zahlreiche Hände gleichzeitig nach oben: "Wie steht die CDU dazu, arbeitslose Ukrainer abschieben zu wollen?"

Frei versucht es konziliant. Man müsse sich mit dem Kernproblem auseinandersetzen, dass Ukrainer besonders schlecht auf dem Arbeitsmarkt integriert seien. Dafür gebe es mehrere Gründe. Einer davon sei, dass sie Bürgergeld beziehen würden. Versuch der Nachfrage: "Unterstützen Sie die Forderung Dobrindts nach Abschiebung?" Kurzes Luftholen: "Ich schließe mich dahingehend an, dass wir alles tun müssen, um Ukrainer in Arbeit zu bringen."

Man könnte die Szene so interpretieren: Dobrindt, der Politstratege mit einem guten Gespür für Stimmungen, ist über das Ziel hinausgeschossen. Offen sagen will das niemand. Um des Parteifrieden willens.

Dobrindts Forderung ist nicht neu

Für Missmut sorgt auch, dass Dobrindt sein Interview offenbar vorher nicht abgesprochen hat. Weder mit seiner eigenen Partei, der CSU, und schon gar nicht mit der CDU. Es muss Dobrindt allerdings zugute gehalten werden, dass seine Forderung nicht neu ist. Im Januar bei ihrer Klausur im Kloster Seeon hat die CSU-Landesgruppe bereits in ihrem Beschlusspapier festgehalten: "Wir müssen weg vom Prinzip des dauerhaften Bürgergeldbezugs und stärker in die Richtung zu einem Grundsatz 'Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine'".

Erzählt man das CDU-Mitgliedern, reagiert der eine oder andere erstaunt. Damals hatte die Sätze offenbar kaum jemand wahrgenommen. Ein halbes Jahr später bestimmen Schlagzeilen über eine vermeintlich schwindende Ukraine-Unterstützung der Bürger den Diskurs.

Natürlich muss ein Bundestagsabgeordneter nicht jede öffentliche Wortmeldung im Konrad-Adenauer-Haus anmelden. Von einer, die für solche öffentlichen Debatten sorgt, hätte der Parteivorsitzende allerdings wohl gern vorab gewusst. Vor allem weil CDU-Chef Merz in den vergangenen Monaten penibel darauf bedacht schien, von der Partei öffentlich ein Bild der Geschlossenheit zu vermitteln und keinen Anlass mehr zu bieten, sich und der Union Populismus vorwerfen zu lassen.

Merz wollte das Thema offenbar abräumen

In der Sitzung des Fraktionsvorstandes am Montag fühlte sich Merz offenbar zu einer Klarstellung genötigt. Sein Tenor: mehr Ukrainer in Arbeit zu bringen. Da könne man möglicherweise auch über einen sogenannten Rechtskreiswechsel reden - also einen Wechsel vom Bürgergeld ins Asylbewerberleistungsgesetz. Das sei die Unionlinie. Die Erzählung brachte er am Nachmittag in seinem Statement vor der Fraktionssitzung unter die wartenden Medienvertreter und hoffte offenbar, damit das Thema abgeräumt zu haben. Zu Abschiebungen von Ukrainern auch von Alexander Dobrindt kein Wort, der wie üblich neben Merz diesen Termin bestritt.

Doch in der Fraktionssitzung kochte die Debatte dann noch einmal hoch. Einige CSU-Abgeordnete stellten sich vor Dobrindt: Man müsse auch mal zuspitzen dürfen. Andere kritisierten die Tonalität und eine fehlende Differenzierung. Die Forderung sei gesetzlich auch nicht umsetzbar. Am Ende band der CDU-Fraktionsvorsitzende die Debatte mit dem Hinweis "auf eine gute Diskussion" ab.

Ob der Deckel auf dieser Debatte hält: offen. Denn auch in der Frage, ob Ukrainern das Bürgergeld gestrichen werden sollte oder nicht, gibt es in der Union keinen Konsens. Vielleicht könnte das eine Diskussion für die anstehende Sommerpause werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Juni 2024 um 09:00 Uhr.