Leichtere Einbürgerung "Es geht auch um Wertschätzung"
Bei der Einbürgerung geht es nicht nur um politische Teilhabe, sagt Migrationsexpertin Petra Bendel im Interview mit tagesschau.de. Es brauche weniger rechtliche Hürden, aber auch eine neue "Körpersprache des Staates".
tagesschau.de: Wie bewerten Sie die Pläne der Bundesregierung, Einbürgerungen zu erleichtern?
Petra Bendel: Die Bundesregierung setzt damit ein Vorhaben des Koalitionsvertrags um. Es sind weitreichende Pläne für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Die Einbürgerung soll grundsätzlich schneller erfolgen - nach fünf statt nach acht Jahren. Bei besonderen Integrationsleistungen sogar schon nach drei Jahren. Und sie will generell die Mehrstaatigkeit akzeptieren. Wir als Sachverständigenrat für Integration und Migration begrüßen das.
Die rechtlichen Reformen können dazu führen, dass sich mehr Menschen einbürgern lassen und nicht länger von politischer Teilhabe ausgeschlossen bleiben. Dabei geht es auch um Wertschätzung. Es kommt aber nicht nur auf die rechtlichen Reformen an, sondern auch auf die Art, wie sie realisiert werden, auf die "Körpersprache" des Staates. Wie werden die Berechtigten angesprochen, wie setzen die Behörden die Reformen in der Praxis um, und wie feiern wir diese Einbürgerungen dann auch - also welche Wertschätzung bringen wir unseren neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern entgegen?
Petra Bendel leitet den Forschungsbereich Migration, Flucht und Integration an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration.
Neun Millionen Menschen ohne deutschen Pass
tagesschau.de: Die Hürden für die Einbürgerung sollen gesenkt werden - dazu gehört die kürzere Mindestaufenthaltsdauer, aber zum Beispiel auch eine Härtefallregelung beim Spracherwerb. Ist das eine zeitgemäße Anpassung?
Bendel: Zeitgemäß ist die Anpassung auf jeden Fall, weil die Einbürgerungszahlen seit fast zwei Jahrzehnten stagnieren. Sie dümpeln bei jährlich zwischen 100.000 und 110.000 Einbürgerungen - das sind ungefähr 2,5 Prozent. Das ist, gemessen am Anteil der anspruchsberechtigten Personen in Deutschland, sehr wenig.
Ende vergangenen Jahres hatten rund 13 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Das sind gut neun Millionen Menschen. Über fünf Millionen von ihnen lebten bereits seit mehr als zehn Jahren in Deutschland und erfüllen damit jetzt schon eine zentrale Voraussetzung für die Einbürgerung.
Mehrstaatlichkeit als Chance
tagesschau.de: Warum ist das ein Problem?
Bendel: Sehr viele Menschen, die hier leben, sind damit von der vollen Teilhabe ausgeschlossen, die nur durch die Staatsbürgerschaft garantiert wird. Dazu zählt vor allem die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen. Und umgekehrt legitimiert sich eine Demokratie ja gerade durch Wahlen.
tagesschau.de: Wenn mehr als fünf Millionen Menschen die Kriterien bereits erfüllen, warum haben Sie nicht längst die deutsche Staatsbürgerschaft?
Bendel: Forschungsergebnisse zeigen, dass gerade die Bedingung, bei der Einbürgerung die bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, eine große Hürde ist. Wenn ein neues Gesetz jetzt die Mehrstaatigkeit ermöglicht, ist damit zu rechnen, dass viele Anspruchsberechtigte ermuntert werden, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen.
tagesschau.de: Für ältere Menschen sollen auch andere Hürden wie der Wissenstest und der Sprachnachweis wegfallen. Im Entwurf des Bundesinnenministeriums heißt es, das sei eine "Anerkennung der Lebensleistung der Gastarbeitergeneration". Aber es gilt auch für über 67-jährige, die noch nicht so lange in Deutschland sind. Was bedeutet das für die Integration dieser Menschen?
Bendel: Der überwiegende Teil dieser Gruppe stammt aus der sogenannten Gastarbeitergeneration. Wir wissen, dass mehr als zwei Drittel von ihnen - also fast eine Million Menschen - schon mehr als 25 Jahre in Deutschland leben. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt sogar bei 31 Jahren.
Deutschland im EU-Vergleich hinter Ungarn
tagesschau.de: Es gibt auch Kritik an den Plänen. Etwa, dass der deutsche Pass jetzt zur "Ramschware" werde. Was sagen Sie dazu?
Bendel: Die deutsche Staatsangehörigkeit ist ja weiterhin an klare Voraussetzungen geknüpft, etwa eine bestimmte Aufenthaltsdauer, die Bedingung der Straffreiheit sowie Deutschkenntnisse. Es gibt jetzt nur ein paar kleine Verbesserungen. Da kann ich keine "Verramschung" erkennen.
tagesschau.de: Wie steht das deutsche Einbürgerungsrecht im internationalen Vergleich da?
Bendel: Deutschland liegt im EU-Vergleich im hinteren Drittel - sogar noch hinter Ungarn. Von 100 in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern wurde im Jahr 2020 nur eine Person eingebürgert. Der EU-Durchschnitt liegt bei zwei Prozent. Ganz klar Spitzenreiter ist Schweden - dort gibt es geringe Einbürgerungsvoraussetzungen. Auch Portugal und die Niederlande liegen recht weit vorn.
Andere Gesetzgebung für Fachkräfte
tagesschau.de: In Deutschland gibt es einen großen Fachkräftemangel. Einwanderung wird in diesem Zusammenhang häufig als Lösung präsentiert. Helfen die geplanten Einbürgerungsregeln dabei?
Bendel: Nicht unmittelbar, denn für Fachkräfte steht der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit meist nicht im Vordergrund. Bei dem Thema geht es vielmehr darum, die Zuzugsmöglichkeiten möglichst einfach zu gestalten, die mitgebrachten Qualifikationen mit wenig bürokratischem Aufwand anzuerkennen und Auszubildende aus dem Ausland für unser duales System zu gewinnen. Dafür hat die Bundesregierung eine andere Gesetzgebung vorgesehen, die im Moment unter dem Namen Chancenkarte diskutiert wird.
Das Interview führte Belinda Grasnick, tagesschau.de