Svenja Schulze

Kürzungen und Kontroversen Wie weiter mit der deutschen Entwicklungspolitik?

Stand: 11.12.2024 16:57 Uhr

Nach dem Sturz Assads will Entwicklungsministerin Schulze die Entwicklung in Syrien "zum Positiven beeinflussen". Wie geht es mit der deutschen Entwicklungspolitik weiter?

Von Sarah Beham und Claudia Buckenmaier, ARD-Hauptstadtstudio

Eigentlich will Svenja Schulze an diesem Mittwoch Bilanz ziehen. Bilanz von gut drei Jahren Entwicklungspolitik unter ihrer Regie. Eine Bilanz, die trotz aller Sparzwänge aus Sicht der Entwicklungsministerin positiv ausfällt: Entwicklungspolitik sei heute "weiblicher, mulitlateraler, partnerschaftlicher".

Doch der Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat den Fokus verschoben: Das Interesse richtet sich stark auf das Engagement der Bundesregierung in Syrien.

Syrien: "Implosion des Landes verhindern"

Schon seit vielen Jahren arbeitet die Bundesregierung nicht mehr mit offiziellen syrischen Stellen zusammen. Der Diktator sollte keine Hilfe erhalten. Stattdessen konzentrierte sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) darauf, Nichtregierungsorganisationen und Projekte der Vereinten Nationen zu unterstützen, in diesem Jahr mit 125 Millionen Euro. Man habe versucht, die Implosion des Landes zu verhindern, heißt es im BMZ. Und jetzt will man weiterhelfen.

"Es gibt ein Zeitfenster", so Schulze, "in dem wir die Entwicklung zum Positiven beeinflussen können. Man könnte sagen, das Entwicklungsministerium hat sich dreizehn Jahre lang auf diesen Moment vorbereitet. Der Aufbau staatlicher Strukturen ist unser Kerngeschäft. Wir haben die Kontakte, wir kennen viele Akteure, auf die es jetzt ankommt." Man werde gehört.

Geldgeber in der Provinz Idlib

Als Beispiel nennt sie die siegreiche Rebellengruppe HTS. In der Provinz Idlib, die die HTS schon länger kontrollierte, waren Deutsche und Briten die einzigen bilateralen Geldgeber, über die Vereinten Nationen. Als die HTS im vergangenen Jahr ein Sittengesetz mit Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum einführen wollte, habe man klargestellt, "dass wir unter solchen Bedingungen nicht mehr im Nordwesten Syriens engagiert sein können". Die HTS habe daraufhin das Gesetz nicht beschlossen.

Ob in Syrien oder anderswo - Schulze sieht ihre Aufgabe darin, einen Beitrag zu leisten, dass die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd abgemildert wird. Die Beziehungen zu hilfsbedürftigen Ländern sollen "respektvoll, partnerschaftlich, gleichberechtigt" sein.

Kaum Verbündete für Entwicklungshilfe in Deutschland?

Diese Haltung wollte die SPD-Politikerin auf ihren Reisen verkörpern: Sie hat in Marokko um Fachkräfte geworben, Prothesen-Werkstätten für verwundete Ukrainer in Lviv unterstützt oder Textil-Firmen in Pakistan besucht, um gegen Billiglöhne, Ausbeutung und Umweltsünden vorzugehen. Schulze ist vor allem auf der internationalen Bühne gefragt - ihr Job: weltweit Partner suchen.

Im Ausland wird Schulze mit Applaus begrüßt, hierzulande mit kritischen Fragen konfrontiert. Im eigenen Land scheint es, als blieben Verbündete für die Entwicklungshilfe aus. Knackpunkt: das Geld. Der vom damaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ausgerufene Sparkurs der Ampel-Regierung sah für Schulzes Ministerium Kürzungen in Milliardenhöhe vor. Schulze hatte auf ihren Reisen davor gewarnt, immer wieder betont sie: "Jeder zweite Euro in Deutschland wird durch Export verdient." Daher müsse in Partnerschaften investiert werden.

Doch auch die Partner im eigenen Land üben Kritik an der Performance des Entwicklungsministeriums: "Das Thema Hunger hat Svenja Schulze als Priorität nicht selbst gewählt, sondern es kam durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oben auf die Agenda", resümiert die Welthungerhilfe auf Anfrage von tagesschau.de. Kürzungen im Ministerium "gefährden das Ziel, den Hunger bis 2030 zu beseitigen." Weltweit hungern nach Angaben der Welthungerhilfe 733 Millionen Menschen - vor allem in Afrika.

Debatte um Radwege in Peru

Die Zeiten für deutsches Engagement in der Welt sind rau geworden, die Erklärungsnot der Ministerin hierzulande hoch. Stichwort: Radwege in Peru. Anfang des Jahres entbrannte eine Debatte darüber. Vor allem AfD und CSU warfen der Ampel vor, Millionen für den Klimaschutz in Südamerika auszugeben. Zur Einordnung: Die Regierung hatte Peru Kredite zugesagt, das Geld soll mit Zinsen zurückgezahlt werden.

Schulze verteidigte die Projekte, Deutschland profitiere davon. Dazu kommt: Die Klimaprojekte hat nicht die Ampel gestartet, sondern Schulzes Vorgänger, Gerd Müller von der CSU. Doch das, so Schulze bei ihrer Bilanz-Pressekonferenz, habe CDU/CSU nicht davon abgehalten, "deutsches Engagement im Ausland in spalterischer Manier auszuspielen gegen die Interessen deutscher Bauern".

Viele Mitarbeiter im Ministerium wurden von der Heftigkeit der Auseinandersetzung überrascht. Noch nie hätten sie mit so viel Gegenwind rechnen müssen. Eigentlich habe in der bundesdeutschen Öffentlichkeit immer ein Konsens darüber geherrscht, dass Entwicklungshilfe wichtig sei. Doch der scheint zu bröckeln.

Das zeigt ein weiteres Beispiel: Schulze legte den Schwerpunkt der Hilfen auf Mädchen und Frauen. Mit der von ihr im Jahr 2022 ausgerufenen "feministischen Entwicklungspolitik" wollte sie Gleichberechtigung vorantreiben. Für Schulze ein Schlagwort, mit dem sie durchaus Aufmerksamkeit erregen wollte. Doch die Kritiker der deutschen Entwicklungszusammenarbeit konzentrierten sich auf den Begriff, selbst wenn sie die Ziele teilten.

VENRO: Entwicklungszusammenarbeit steht heute schwächer da

Dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, kurz VENRO, gehören 140 Organisationen an. Die Vorstandsvorsitzende Gudrun Schattschneider kritisiert nicht die Arbeit der Ministerin selbst. Sie habe "mit der feministischen Entwicklungszusammenarbeit und der neuen Strategie zur Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft" neue Impulse gesetzt.

Trotzdem zieht sie angesichts drastischer Kürzungen des Etats ein ernüchterndes Fazit: "Es scheint, die politische und finanzielle Unterstützung für internationales Engagement schwindet. Steht die deutsche Entwicklungszusammenarbeit heute unter dem Strich schwächer da als vor drei Jahren? Leider: ja."

Was passiert nach der Neuwahl?

NGOs wollen den Blick nach vorne richten - sie hoffen, dass eine neue Bundesregierung weiter auf Entwicklungshilfe setzt. Doch wie könnte es nach der Wahl im Februar weitergehen? Ein Blick zurück lohnt: Im Sommer stellt der damalige Koalitionspartner FDP das Entwicklungsministerium ganz in Frage - schlug vor, es abzuschaffen und die Entwicklungszusammenarbeit ins Auswärtige Amt zu integrieren.

Ist die Entwicklungshilfe dort besser untergebracht als in einem eigenständigen Ministerium? "Ich bin mir nicht sicher", meinte CDU-Chef Friedrich Merz Anfang Dezember bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. "Ich bin aber offen für diese Diskussion." Konkretere Ideen für die Zukunft hat Wolfgang Stefinger, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Er fordert künftig einen "Mentalitätswandel" mit Fokus auf die Wirtschaft.

Dafür bräuchte das BMZ aus seiner Sicht einen eigenen Staatssekretär für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der gezielt diese Partnerschaften voranbringe.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR1 Welle Nord am 08. Dezember 2024 um 16:00 Uhr.