Mohammed al-Baschir sitz an einem Tisch.
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Lage in Syrien ++ Al-Baschir ruft Syrer zur Rückkehr auf ++

Stand: 11.12.2024 12:11 Uhr

Der neue syrische Regierungschef al-Baschir hat seine Landsleute weltweit zur Rückkehr aufgerufen. Im Nordosten Syriens haben von Kurden geführte Kräfte eine Waffenruhe mit pro-türkischen Kämpfern vereinbart. Die Entwicklungen im Liveblog.

Wenige Tage nach dem Sturz von Baschar al-Assad kehren weiter Syrer aus der Türkei in ihr Heimatland zurück - ein großer Ansturm auf die Grenzen bleibt aber aus. Ein lokaler Beamter sagte, am Montag - dem ersten Tag nach dem Umsturz - hätten etwa 700 Menschen den Grenzübergang Öncüpinar passiert, danach habe die Zahl abgenommen. Die Zeitung "Cumhuriyet" berichtete unter Berufung auf Behörden, am Übergang Cilvegözü hätten am Dienstag etwa 1.000 Menschen die Grenze überquert. Laut UN-Angaben leben etwa drei Millionen Syrer in der Türkei.

Die Rebellen in Syrien haben die wichtige Stadt Dair as-Saur im Nordosten des Landes von kurdischen Milizen eingenommen und sich einen möglichen Zugang zu den Öl-Ressourcen gesichert. Das teilte ein Kommandeur der Islamistengruppe HTS mit. Dair as-Saur liegt entlang wichtiger Verkehrs- und Versorgungsrouten zwischen dem östlichen und dem zentralen Teil Syriens. Nahe der Grenze zum Irak sind dort auch die meisten Ölfelder des Landes.

Israel hat nach zahlreichen Angriffen auf Lager in Syrien nach eigenen Angaben einen Großteil der Chemiewaffen im Land zerstört. Die Israelis wollen demnach verhindern, dass die Waffen nach dem Sturz des Assad-Regimes in falsche Hände geraten und für Angriffe auf Israel verwendet werden. ARD-Korrespondent Björn Dake berichtet.

Björn Dake, ARD Tel Aviv, zu Angriffen Israels auf Syrien und die Hamas im Gazastreifen

tagesschau24, 11.12.2024 10:00 Uhr

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sieht eine Möglichkeit, dass syrische Flüchtlinge nach dem Sturz von Baschar al-Assad in ihre Heimat zurückkehren, hält eine Entscheidung darüber aber für verfrüht. "Möglicherweise kann es so sein, dass auch der Rückweg für die Flüchtlinge jetzt eröffnet ist", sagt der CDU-Chef. "Wenn es so ist, dann sollte man ihnen dabei helfen. Für mich ist das heute noch zu früh, darüber ein endgültiges Urteil abzugeben."

Im Nordosten Syriens haben von Kurden angeführte Kräfte nach eigenen Angaben durch US-Vermittlung eine Waffenruhe mit pro-türkischen Kämpfern vereinbart. Wie der Anführer der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), Maslum Abdi, sagte, werden sich Kämpfer des mit den SDF verbündeten Militärrats Manbidsch „so bald wie möglich aus dem Gebiet zurückziehen“ – zum Schutz von Zivilisten.

Bei Gefechten zwischen dem Militärrat Manbidsch und von der Türkei unterstützten Milizen waren zuvor 218 Kämpfer getötet worden. Die pro-türkischen Kräfte hatten vor einer Woche nahe Manbidsch die von kurdischen Kräften kontrollierte Stadt Tal Rifaat sowie einige umliegende Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht.

Syriens neuer Regierungschef Mohammed al-Baschir hat syrische Flüchtlinge in aller Welt aufgerufen, in ihre Heimat zurückzukehren. "Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde wiedererlangt hat. Kommen Sie zurück!", sagte er in einem Interview der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". Zunächst müsse Sicherheit und Stabilität in allen Städten Syriens wiederhergestellt werden, damit die Menschen zum normalen Leben zurückkehren können, sagte al-Baschir. Es sei dann eines seiner wichtigsten Ziele, dem Land zu einem Aufschwung zu verhelfen. Dabei könnten Rückkehrer nach Syrien mit ihrer Erfahrung eine wichtige Rolle spielen.

Befürchtungen von Kritikern, die Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), deren Offensive zum Sturz von Baschar al-Assad führte, könne einen zu starken islamistischen Einfluss auf das restliche Syrien haben, versuchte al-Baschir auszuräumen: "Das falsche Verhalten einiger islamistischer Gruppen hat dazu geführt, dass viele Menschen, vor allem im Westen, Muslime mit Terrorismus und den Islam mit Extremismus verbinden." Dies sei jedoch eine falsche Darstellung. Er beteuerte, die Rechte aller Menschen in Syrien garantieren zu wollen.

Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei macht die USA und Israel für den Umsturz in Syrien verantwortlich. Dieser sei "das Ergebnis eines gemeinsamen amerikanisch-zionistischen Plans", sagte der Religionsführer laut dem staatlichen Rundfunk. Auch eine Nachbarregierung Syriens spiele eine Rolle - offenbar eine Anspielung auf die Türkei, die im Norden Syriens militante Aufständische unterstützt.

Die neuen Machthaber in Syrien haben dem größten Handelsverband des Landes zufolge die Einführung einer freien Marktwirtschaft angekündigt. "Es wird ein freies Marktsystem auf der Grundlage des Wettbewerbs werden", sagte der Vorsitzende der Handelskammer von Damaskus, Bassel Hamwi, der Nachrichtenagentur Reuters. Dies würde eine deutliche Abkehr von der jahrzehntelangen korrupten staatlichen Steuerung darstellen.

Zuvor gab es ein Treffen mit einer Regierungsdelegation unter Leitung des syrischen Übergangswirtschaftsministers Bassel Abdul Asis. Der kündigte laut Hamwi an, mit der Abschaffung des als erdrückend empfundenen Zollsystems eine der Hauptforderungen von Händlern und Industriellen zu erfüllen. "Jeder, der sich bei den Kammern registriert, wird die Waren, die er auf den Markt bringen will, nach einem bestimmten System einführen können."

Der Anführer der siegreichen Islamisten in Syrien, Ahmed al-Scharaa , hat versichert, dass das Land keinen weiteren Krieg erleben werde. "Die Menschen sind vom Krieg erschöpft", sagte Al-Scharaa bei einem Moschee-Besuch in Damaskus zum Sender Sky News. "Das Land ist also nicht bereit für einen weiteren und wird auch nicht in einen weiteren geraten." Zuvor war er unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani aufgetreten.

Die Gefahr sei von Assads Regierung und proiranischen Milizen ausgegangen, sagte der Islamist. "Deren Beseitigung ist die Lösung."

Während die Rebellen in Syrien nach dem Sturz des Langzeitherrschers Bashar al-Assad mit einer Übergangsregierung für Stabilität sorgen wollen, kommen aus Israel scharfe Warnungen an die neuen Machthaber. Jede Bedrohung für Israel werde unerbittlich bekämpft, machte Regierungschef Benjamin Netanyahu deutlich. Er hatte zuvor die fast restlose Zerstörung der militärischen Fähigkeiten des Nachbarlandes befohlen.

Das Bundesinnenministerium sieht durch den militärischen Erfolg von islamistischen Kämpfern in Syrien ein erhöhtes Risiko für Ausreisen von Islamisten aus Deutschland in die Region. Die Erfolge der Offensive durch die Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) könnten "die islamistische Szene in Deutschland motivieren, die Propaganda der HTS zu verbreiten sowie Ausreiseversuche in Richtung Syrien zu unternehmen und sich an dortigen Kämpfen zu beteiligen", teilte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage der Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit.

Die "weitgehend positive Wahrnehmung" der militärischen Erfolge gegen das Regime von Diktator Assad "in weiten Teilen" der dschihadistischen Szene könnte darüber hinaus eine "motivierende Wirkung auf potenzielle Ausreisende nach Syrien haben", erklärte das Ministerium weiter.

Der überraschende Erfolg von Gruppierungen wie der HTS werde auch in dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahestehenden Kreisen und vereinzelnd unter Sympathisanten der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) "positiv aufgenommen". "Generell können militärische Erfolge - soweit sie propagandistisch entsprechend instrumentalisiert werden - das Ansehen und die Attraktivität" dschihadistischer Gruppen erhöhen, erklärte die Sprecherin weiter.

Nach dem Sturz von Diktator Bashar al-Assad in Syrien warnt die Gewerkschaft ver.di vor Rückführungen von Syrerinnen und Syrern aus Deutschland in großem Stil. Ver.di-Chef Frank Werneke sagte der Nachrichtenagentur dpa, große Rückführungen seien "gegen die Interessen der Menschen und übrigens auch gegen die Interessen der Arbeitswelt, zumindest in Teilen in Deutschland".

Er rate "sehr dazu, dass mit einem kühlen Kopf an die Situation herangegangen wird", sagte der ver.di-Vorsitzende. "Viele sind hier auf dem Arbeitsmarkt integriert und etabliert und auch wichtig für uns." Syrerinnen und Syrer arbeiteten etwa im Versandhandel, im Bereich der Zustellung oder in der Pflege.

Die syrische Übergangsregierung wird sich aus Mitgliedern der Islamistengruppe zusammensetzen, die den Aufstand gegen den bisherigen Präsidenten Bashar al-Assad anführte. Die geschäftsführende Regierung, die das Land zunächst bis März verwalten soll, kam am Dienstag zu einer ersten Sitzung zusammen. An dem Treffen nahmen der scheidende Ministerpräsident Mohammed (Ghasi) al-Dschalali und andere Minister teil, sowie Mohammed al-Baschir, der das Übergangskabinett als neuer Ministerpräsident anführen soll.

Er war der Regierungschef in den von Rebellengruppen kontrollierten Gebieten, die unter der Führung der Rebellenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) stehen. Al-Baschir bezeichnete die Aufgabe nach dem Treffen als "große Herausforderung". Es handle sich um eine vorübergehende Lösung - "bis die Verfassungsfragen" geklärt sind. Er hoffe, dass die Minister der früheren syrischen Regierung die neue Regierung in dieser Übergangszeit unterstützen werden, sagte er weiter.

Die HTS wird von Abu Mohammed al-Dscholani, auch bekannt als Ahmed al-Scharaa, angeführt. Er hatte im Jahr 2016 seine langjährige Verbindung zu dem Terrornetzwerk Al-Kaida gekappt und positioniert sich als angeblicher Verfechter von Pluralismus und Toleranz.

Nach dem Sturz des Machthabers Bashar al-Assad in Syrien hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen zügigen Rückkehrplan für syrische Flüchtlinge von der Bundesregierung gefordert. Es müsse Reisebeihilfe und Startgeld für diejenigen Flüchtlinge geben, die freiwillig nach Syrien zurückkehren wollen, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) der Bild-Zeitung.

"Straftäter und Gefährder müssen sofort abgeschoben werden", erklärte Lindholz weiter. Vorrangig abgeschoben werden sollen außerdem alle, die "sich nicht integriert haben, also zum Beispiel nach Jahren noch nicht arbeiten". Die CSU-Politikerin sagte weiter, darüber hinaus müsse bei "allen weiteren Personen im Einzelfall geschaut werden, was für einen Verbleib in Deutschland und was für eine Rückführung nach Syrien spricht".

Der stellvertretende russische Außenminister, Sergei Rjabkow, erklärt in einem Interview mit dem US-Sender NBC News, dass sein Land den gestürzten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad auf dem "sichersten Weg" nach Russland transportiert habe. "Er ist in Sicherheit, und das zeigt, dass Russland in einer solchen Ausnahmesituation wie erforderlich handelt", sagte Rjabkow gegenüber NBC.

Auf die Frage, ob Russland Assad ausliefern würde, um ihn vor Gericht zu stellen, sagte der Minister: "Russland ist keine Vertragspartei der Konvention, mit der der Internationale Strafgerichtshof gegründet wurde."

Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es weiterhin Berichte über Plünderungen von humanitären Hilfsgütern in einer Reihe von Gebieten in Syrien, unter anderem in der Hauptstadt Damaskus. Betroffen seien unter anderem Lagerhäuser von UN-Organisationen und des Syrischen Arabischen Roten Halbmondes. "Die humanitäre Lage in ganz Syrien bleibt nach wie vor instabil", sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric.

Es gebe Berichte, dass Menschen weiterhin vertrieben werden. Im Nordosten des Landes seien seit Dienstag 100.000 Menschen aufgrund der Kämpfe in Tal Rifaat und anderen Teilen des Gouvernements Aleppo vertrieben worden. Dujarric sagte, dass die Aufnahmezentren in Tabka und Al-Rakka Berichten zufolge ihre volle Kapazität erreicht hätten und mehr als 200 Orte - darunter städtische Gebäude, Schulen, Moscheen und Stadien - genutzt würden, um Menschen unterzubringen.

UN-Angaben zufolge sind 25 Lastwagen mit UN-Hilfsgütern aus der Türkei in den Nordwesten Syriens gefahren, wo die Lage nun relativ ruhig sei. Alle elf Aufnahmezentren, die in Idlib im Nordwesten für neu vertriebene Familien geöffnet wurden, waren am Montag leer, sagte Dujarric.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reist Anfang nächster Woche für Syrien-Gespräche in die Türkei. Israel hat bestätigt, in der Nacht syrische Marineschiffe massiv mit Raketen angegriffen zu haben. Der Liveblog vom Dienstag zum Nachlesen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 11. Dezember 2024 um 08:00 Uhr.