Debatte über AfD-Verbot Hohe Hürden für ein Parteiverbotsverfahren
Mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, dass der Bundestag zügig ein AfD-Verbotsverfahren einleitet. Doch ein Parteiverbot hat hohe Hürden. Wie funktioniert es? Ein Überblick.
Wer kann eine Partei verbieten?
Nur das Bundesverfassungsgericht kann in Deutschland eine politische Partei verbieten. Das geschieht, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss überhaupt ein Verbotsantrag in Karlsruhe gestellt worden sein. Denn das Verfassungsgericht wird nicht "von sich aus" tätig. Nur die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat können den Antrag für das Verbot einer bundesweit organisierten Partei stellen. Ob das geschieht oder nicht, ist also eine politische Entscheidung innerhalb des jeweiligen Verfassungsorgans.
Die zweite Voraussetzung: Dieser Verbotsantrag müsste dann auch inhaltlich begründet sein. Das heißt: Die Partei, um die es geht, müsste tatsächlich verfassungswidrig sein. Wenn ein Antrag gestellt wird, muss das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Partei verboten wird oder nicht.
Wann genau ist eine Partei verfassungswidrig?
Das Grundgesetz sagt dazu:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
Was genau "freiheitliche demokratische Grundordnung" bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht 2017 in seinem NPD-Urteil klargestellt. Es sind die Grundprinzipien, die für den "freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich" sind: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat.
Die Garantie der Menschenwürde umfasst die Wahrung persönlicher Individualität, Identität und Integrität sowie elementare Rechtsgleichheit. Sie gilt für alle Menschen, egal ob Ausländer oder deutsche Staatsbürger. Demokratieprinzip heißt: Alle Bürgerinnen und Bürger müssen gleichberechtigt am Prozess der politischen Willensbildung teilnehmen können. Und das Rechtsstaatsprinzip: Der Staat ist an Recht und Gesetz gebunden und unabhängige Gerichte können das kontrollieren.
Zudem birgt die Formulierung "darauf ausgehen" eine weitere Voraussetzung: Um verfassungswidrig zu sein, müsste eine Partei planvoll und zielgerichtet darauf hinarbeiten, zumindest eines dieser Kernelemente zu beeinträchtigen. Laut Bundesverfassungsgericht können aber auch nur Parteien mit einer gewissen politischen Wirkmacht "darauf ausgehen", die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.
Eine Partei muss demnach zumindest das Potenzial haben, ihre verfassungswidrigen Ziele auch umzusetzen. Bei der damaligen NPD ist der Verbotsantrag 2017 an diesem Punkt gescheitert - die Partei war schlicht zu unbedeutend.
Eine Partei von der Größe der AfD, die mit Fraktionen in beinahe allen Parlamenten auf Landes- und Bundesebene sitzt und in manchen Regionen sogar stärkste Kraft ist, dürfte sicherlich das erforderliche Potenzial haben, "darauf auszugehen". Bei einem eventuellen AfD-Verbotsverfahren läge der rechtliche Knackpunkt also eher auf der inhaltlichen Ausrichtung. Ein Verbot könnte sich auch auf einzelne Landesverbände beschränken.
Wie lange würde ein Verbotsverfahren dauern?
Genau prognostizieren kann man das nicht. Das jüngste gerichtliche Verbotsverfahren gegen die NPD hat etwas länger als drei Jahre gedauert: Von der Einreichung des Antrags im Dezember 2013 über die mündliche Verhandlung im März 2016 bis zum Urteil im Januar 2017. Allerdings lag da das letzte Urteil in einem Parteiverbotsverfahren schon 70 Jahre zurück. Karlsruhe musste zunächst die rechtlichen Maßstäbe für ein Parteiverbot in die Gegenwart übertragen. Das wäre nun nicht mehr in nötig, eine kürzere Verfahrensdauer als bei der NPD ist daher wahrscheinlich.
Ganz schnell würde es aber trotzdem nicht gehen. Denn auch in einem neuen Verbotsverfahren müsste das Bundesverfassungsgericht alle vorgebrachten Belege genau prüfen, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Das Thema Verbotsverfahren wird zwar in der Politik schon seit längerem diskutiert - aber beschlossen ist die Stellung eines Verbotsantrages noch nicht. Wichtig: Selbst wenn der Bundestag mit einer Mehrheit entscheiden sollte, einen Verbotsantrag gegen die AfD zu stellen, wäre das dann noch nicht gleichbedeutend mit dem eigentlichen Verbotsantrag. Der Beschluss im Parlament würde nur den Startschuss markieren, einen solchen Antrag zu formulieren.
Der endgültige Verbotsantrag, der schließlich das Verfahren in Karlsruhe starten würde, müsste zunächst inhaltlich gut vorbereitet werden. Und auch das würde dauern, weil dieser Antrag auch sämtliche Belege enthalten muss, auf die er sich inhaltlich stützt.
Was kann man zu den Erfolgsaussichten sagen?
Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Das Grundgesetz sagt ausdrücklich, dass Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Und das kann durchaus auch abseitige oder extreme Ansichten einschließen. Zudem ist ein Parteiverbot nicht gleichbedeutend mit einem Gesinnungsverbot.
Karlsruhe nennt ein Parteienverbot "das schärfste und zugleich zweischneidige Schwert des Rechtsstaats im Kampf gegen seine organisierten Feinde". Erst, wenn der Nachweis sicher erbracht ist, dass eine Partei tatsächlich verfassungswidrig ist, wird sie auch verboten.
Jüngst haben sich 17 Verfassungsrechtler mit einem Gutachten zu Wort gemeldet, in dem sie einem potenziellen Verbotsantrag gegen die AfD eine Aussicht auf Erfolg bescheinigen. Sie zitieren dabei mehr als 100 öffentliche Äußerungen von AfD-Vertretern, etwa zum Umgang mit Migranten.
Garantiert ist damit ein erfolgreiches Verbotsverfahren aber nicht - es gibt auch Juristen, die sich zurückhaltender äußern. Ein von der AfD beauftragter Anwalt kritisierte das Gutachten der 17 in einem Gegengutachten als "ergebnisorientiert". Der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers vertrat Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat im Verbotsverfahren gegen die damalige NPD. Mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren sagte er dem juristischen Fachportal LTO: "Ich denke nicht, dass man die Chancen mit dem augenblicklichen Wissensstand ernsthaft abschätzen kann."
Welche Faktoren sind noch zu bedenken?
Im Vergleich zur NPD liefert jedenfalls das Parteiprogramm der AfD deutlich weniger Anknüpfungspunkte für ein mögliches Verbotsverfahren. Man müsste also mehr auf öffentliche Aussagen der Parteispitzen, das Verhalten der AfD-Anhänger und auch das Verhalten der Partei in den Parlamenten abstellen.
Eine Rolle im Verfahren dürfte sicher auch spielen, wie die Partei mit erwiesenen extremistischen Vorfällen im eigenen Lager umgeht und welches Menschenbild sie tatsächlich vertritt. Und ob das alles "planvoll und zielgerichtet" geschieht.
Erkenntnisse des Verfassungsschutzes auf Bundes- und Landesebene können in einem Verbotsverfahren eine Rolle spielen, sofern sie nicht von V-Leuten stammen. Etwa, indem sie Beweise liefern, auf die sich ein Verbotsantrag stützt. Aber einen Automatismus gibt es insoweit nicht: Auch aus einer Einstufung der AfD als "gesichert extremistisch" durch den Verfassungsschutz müsste nicht zwingend auch ein Verbot der Partei folgen. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Aktuell laufen zudem mehrere Strafverfahren gegen AfD-Mitglieder, die verdächtigt werden, Mitglieder terroristischer Vereinigungen gewesen zu sein. Der Ausgang dieser Verfahren und der Umgang der Partei damit könnten auch ein Faktor in einem möglichen Verfahren sein.
In einer früheren Version hieß es, die AfD sitze mit Fraktionen in allen Parlamenten auf Landes- und Bundesebene. Die Partei ist aber nicht in den Landesparlamenten von Schleswig-Holstein und Bremen vertreten. Wir haben den Absatz korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen