Scholz vor U-Ausschuss Darum geht es im Cum-Ex-Skandal
Kanzler Scholz wird heute zum dritten Mal vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal befragt. Welche Rolle spielt die Privatbank Warburg? Und wie wurde Cum-Ex zur politischen Affäre?
Was ist bei Cum-Ex passiert?
Banker, Aktienhändler, Top-Anwälte und Steuerberater haben sich jahrelang vom Staat Steuern erstatten lassen, die sie zuvor nie gezahlt haben - ein illegaler Griff in die Staatskasse, der den Fiskus mehrere Milliarden Euro gekostet hat.
Wie funktionieren Cum-Ex-Geschäfte?
Ein Vergleich hilft, das Cum-Ex-Prinzip zu verstehen: Wer eine Pfandflasche zum Getränkeautomaten bringt, bekommt einen Bon und erhält an der Supermarktkasse sein Geld zurück. Wer jedoch mit krimineller Energie einen echten Pfandbon auf den Kopierer legt und mithilfe der gefälschten Pfandbons Geld kassiert, das er zuvor nie bezahlt hat, betrügt die Kasse.
Nach diesem Prinzip liefen die Cum-Ex-Geschäfte ab. Nur dass die Akteure keine Pfandbons kopierten, sondern mit abgesprochenen Aktienkreisgeschäften vortäuschten, zu einem bestimmten Zeitpunkt Aktien zu besitzen und Steuern auf entsprechende Aktiengewinne gezahlt zu haben. Auf diese Weise erschlichen sie sich Steuerbescheinigungen. Mit diesen ließen sie sich Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Die "Kasse" war das Finanzamt, das Milliardensummen auszahlte.
Inwiefern ist die Warburg-Bank verwickelt?
Die Hamburger Privatbank MM Warburg hat, wie viele andere Banken auch, mit den illegalen Cum-Ex-Geschäften Millionen verdient. Das Landgericht Bonn verurteilte die Bank im ersten großen Cum-Ex-Prozess im Jahr 2019 zur Rückzahlung. Das Geldhaus zahlte schließlich seine Cum-Ex-Beute an die Hamburger Finanzbehörde zurück. Ihre steuerliche Beurteilung der Cum-Ex-Geschäfte, so teilt es die Bank danach mit, habe sich als falsch erwiesen. "Die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands von M.M.Warburg & Co missbilligen unrechtmäßige Steuergestaltungen jeder Art."
Warum wurde aus dem Fall Warburg eine Politaffäre?
2016 schaltete sich das Hamburger Finanzamt ein und prüfte, ob die Warburg-Bank die Cum-Ex-Beute zurückzahlen müsse. Allein für Cum-Ex-Geschäfte aus dem Jahr 2009 sollte die Bank 47 Millionen Euro erstatten. Lange Zeit sah es so aus, als würden die Finanzbehörden darauf bestehen. Doch im November 2016 verzichtete das Finanzamt plötzlich auf die Millionenzahlung - man berief sich auf juristische Risiken.
Durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln kamen später Tagebücher des Warburg-Eigentümers Christian Olearius ans Licht. Darin beschrieb der Banker, der einflussreiche SPD-Politiker Johannes Kahrs und der frühere SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk hätten ihm Hilfe zugesagt.
Zudem traf sich Olearius im fraglichen Zeitraum demnach drei Mal mit dem damaligen Ersten Bürgermeister der Hansestadt und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz. Laut Olearius soll es dabei auch um Cum-Ex gegangen sein. Scholz gab an, sich nicht an die Inhalte der Gespräche zu erinnern.
Seit Bekanntwerden der Tagebücher steht die Frage im Raum, ob es im Fall Warburg eine politische Einflussnahme gab. Ein Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft geht dieser Frage nach. Auch die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Kahrs, Pawelczyk und die für die Warburg-Bank zuständige Finanzbeamtin wegen des Verdachts der Begünstigung.
Gegen Scholz und den damaligen Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher wird nicht ermittelt. Alle beteiligten Politiker und Finanzbeamte bestreiten eine politische Einflussnahme. Die Warburg-Bank schrieb 2022 in einer Stellungnahme, eine unzulässige Einflussnahme habe es nicht ergeben.
Gibt es Beweise für eine politische Einflussnahme?
Beweise gibt es nicht, einiges ist jedoch noch ungeklärt. So rief der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz am 9. November 2016 Christian Olearius an. In dem Telefonat, so hielt es der Warburg-Eigentümer zumindest in seinem Tagebuch fest, soll Scholz ihm geraten haben, eine Verteidigungsschrift der Warburg-Bank kommentarlos an Finanzsenator Peter Tschentscher weiterzuleiten.
Scholz erklärt, er könne sich nicht mehr an den Inhalt des Telefonats erinnern. Tatsächlich leitete Olearius jedenfalls das Schreiben an Tschentscher ohne Kommentare weiter, der es - mit seiner grünen Minister-Tinte versehen - den zuständigen Finanzbeamten zukommen ließ. Kurz darauf entschieden die Beamten abweichend von früheren Einschätzungen, auf das Cum-Ex-Geld zu verzichten.
Wie ist der Stand der Ermittlungen?
Zwei Tage nach der Bundestagswahl 2021 durchsuchten NRW-Fahnder die Hamburger Finanzbehörde sowie die Wohnungen von Johannes Kahrs und der Finanzbeamtin.
Bei der Razzia stellten die Ermittler unter anderem einen verdächtigen Whatsapp-Chat der Beamtin sicher. Just an jenem Tag, an dem die fragwürdige Entscheidung zugunsten der Warburg-Bank fiel, schrieb sie einer Freundin, ihr teuflischer Plan sei aufgegangen. Ob man verjähren lasse, fragte diese zurück. Die Finanzbeamtin bejahte.
Bei der Auswertung der sichergestellten E-Mail-Postfächer der Hamburger Steuerverwaltung hingegen stießen die Ermittler auf eine verdächtige Leere. Die Strafverfolger gehen nun der Frage nach, ob in der Hamburger Finanzverwaltung relevante Mails gelöscht wurden. In diese Richtung äußerte sich auch der IT-Chef der Hamburger Steuerverwaltung vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss. Demnach hätten Löschungen stattgefunden. Die Hamburger Finanzbehörde erklärte auf Anfrage, ihr lägen keine Erkenntnisse zu Löschungen vor.
Warum wird Olaf Scholz nun schon zum dritten Mal im Hamburger U-Ausschuss befragt?
Während der ersten beiden Zeugenbefragungen ging es vor allem um die Rolle von Scholz in der Warburg-Affäre. Er bestritt jegliche politische Einflussnahme in das Steuerverfahren. Wenn es um Details ging, bekundete er bei zahlreichen Fragen "Erinnerungslücken".
In der Zwischenzeit hat der Ausschuss seinen Ermittlungsgegenstand auf die einst staatliche HSH Nordbank ausgeweitet, die auch Cum-Ex-Geschäfte betrieben hat. Dieses Mal wird es vorrangig darum gehen.
Warum spielt die HSH Nordbank in dem Skandal eine Rolle?
Tatsächlich wurde die Verwicklung der HSH Nordbank in den Cum-Ex-Skandal schon vor dem Fall Warburg öffentlich. 2014 legte die damals staatliche Bank, die der Stadt Hamburg sowie dem Land Schleswig-Holstein gehörte, Cum-Ex-Geschäfte selbst offen. In einer internen Untersuchung unter dem Namen "Saturn" hatte die Bank die Deals geprüft - und war zu dem Schluss gekommen, Cum-Ex betrieben zu haben.
Die Bank zahlte 126 Millionen Euro an den Fiskus zurück. Die Staatsanwaltschaft Hamburg leitete damals keine Ermittlungen ein. Ein Bußgeld wurde nicht verhängt. Erst Jahre später leitete die Staatsanwaltschaft Köln unter der damaligen Chefermittlerin Anne Brorhilker ein Verfahren ein, das bis heute läuft.
Könnte die HSH-Affäre für Olaf Scholz gefährlich werden?
Als die Bank die Geschäfte offenlegte, war Olaf Scholz Erster Bürgermeister. Damals sollte die Bank an private Investoren verkauft werden. Als Mit-Eigentümerin hatte die Hansestadt ein großes Interesse, die Bank zu einem möglichst guten Preis loszuschlagen. Cum-Ex-Risiken in den Büchern hätten sich da sicherlich nicht gut gemacht.
Ob Scholz damals die Vorgänge im Detail kannte und ob es in diesem Cum-Ex-Fall politische Einflussnahmen gegeben hat, das wird sicherlich Gegenstand der Befragung sein. Fest steht: Wesentlich näher an den Vorgängen war der damalige Finanzsenator und heutige Erste Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher. Auch er soll an diesem Freitag als Zeuge befragt werden.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem bei Kahrs gefunden Geld und dem Cum-Ex-Skandal?
Der mediale Aufschrei war groß, als bekannt wurde, dass im Rahmen der Cum-Ex-Razzia in einem Schließfach von Johannes Kahrs bei der Hamburger Sparkasse mehr als 200.000 Euro in bar gefunden wurden. Doch zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Geld im Zusammenhang mit Cum-Ex steht. Aus diesem Grund haben es die Kölner Ermittler auch nicht beschlagnahmt. Die Ermittlungen gegen Kahrs dauern an.
Könnte die Affäre für Scholz mitten im Wahlkampf zum Problem werden?
Derzeit gibt es keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass Olaf Scholz in das Steuerverfahren der Warburg-Bank eingegriffen hat. E-Mails aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister waren kaum auffindbar, Zeugen im Untersuchungsausschuss entlasteten ihn. So sehen es offenbar auch die Ermittler in Hamburg und Köln. Der Strafprozess gegen Warburg-Eigner Olearius wurde unlängst wegen gesundheitlicher Probleme des Angeklagten eingestellt. Die Schuldfrage blieb offen. Weitere Aufklärungsbeiträge sind also auch von dieser Seite nicht zu erwarten.
Die Cum-Ex-Affäre ging jedoch nicht spurlos am Bundeskanzler vorüber. Die von ihm angegeben "Erinnerungslücken" nehmen ihm viele Menschen nicht ab.