EuGH-Urteil Streitpunkt Vorratsdaten
Der EuGH urteilt heute über das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das schon länger auf Eis liegt. Es wird wohl erneut die Diskussion entfachen, ob und wie es eine Neuregelung geben könnte.
Wie funktioniert eine "Vorratsdatenspeicherung"?
Bei der Vorratsdatenspeicherung werden die sogenannten Verbindungsdaten gespeichert (Schritt 1). Zum Beispiel: Wer hat wann mit wem wie lange telefoniert, und von welchem Ort aus; wer hat an wen eine E-Mail geschrieben; mit welcher IP-Adresse war ich wie lange im Internet unterwegs? Das Speichern geschieht also ohne bestimmten Anlass. Die Inhalte der Kommunikation, also das, was konkret gesprochen oder geschrieben wurde, werden nicht gespeichert.
Die Speicherpflicht trifft die privaten Telekommunikationsunternehmen. Auf ihren Servern sollen die Daten dann für einen begrenzten Zeitraum verfügbar sein, und zwar für den Zugriff der staatlichen Behörden auf die Daten (Schritt 2). Der Zugriff zu einem späteren Zeitpunkt darf nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen, zum Beispiel, um schwere Straftaten aufklären zu können. Deswegen spricht man von einer Speicherung „auf Vorrat“.
Ermittler argumentieren, sie bräuchten die Vorratsdatenspeicherung, um auch online effektiv gegen Darstellungen von sexualisierter Gewalt an Kindern oder bei Terrorismusverdacht ermitteln zu können. Kritiker der Vorratsdatenspeicherung bezweifeln ihren Nutzen und sehen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger.
Was regelt das deutsche Gesetz genau?
Die Telefonnummern eines verbundenen Gesprächs, Beginn- und Endzeitpunkt von Telefonaten und Internetnutzung und die Internetprotokoll (IP)-Adressen sollen zehn Wochen lang gespeichert werden; bestimmte Standortdaten vier Wochen lang.
Auf die gespeicherten Daten dürfen die zuständigen Behörden nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes zugreifen. Für den Zugriff auf die gespeicherten IP-Adressen sind die Hürden nicht ganz so hoch.
Warum liegt das deutsche Gesetz seit fünf Jahren auf Eis?
Rund um die Vorratsdatenspeicherung gibt es einen langen politischen und juristischen Streit. Die ursprüngliche Regelung in Deutschland war 2010 vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden. Karlsruhe billigte zwar die "Speicherung" (Schritt 1), forderte aber für den Zugriff auf die Daten (Schritt 2) höhere Hürden.
Auf dieser Basis hatte die Große Koalition 2015 ein neues Gesetz verabschiedet. Kurz bevor die Speicherpflicht 2017 beginnen sollte, bemängelte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster aber das neue Gesetz, weil es gegen die EU-Grundrechte verstoße. Seitdem setzt die Bundesnetzagentur die Speicherpflicht nicht durch, das Gesetz liegt auf Eis und wurde nie angewandt.
Das OVG Münster berief sich auf ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Denn der EuGH hatte 2016 ein Gesetz aus einem anderen EU-Staat beanstandet und dabei strenge rechtliche Hürden aufgestellt. Diese Grundsätze seien auch für das neue deutsche Gesetz anzuwenden, so das OVG Münster damals.
Warum prüft der EuGH nun das deutsche Gesetz?
Jetzt ist auch das deutsche Gesetz von 2015 über eine Vorlage der deutschen Gerichte vor dem EuGH gelandet. Zwei deutsche Telekommunikations-Unternehmen, die Telekom und SpaceNet, haben geklagt. Sie wollen nicht gesetzlich verpflichtet sein, bestimmte Verbindungsdaten ihrer Kunden zu speichern.
Was hat der EuGH bislang an Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung bemängelt?
In einem Grundsatzurteil zum Gesetz in Schweden entschied der EuGH 2016: Eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung aller Vorratsdaten ohne konkreten Anlass sei nicht mit den EU-Grundrechten vereinbar. Schon Schritt 1 sei also nicht zulässig.
In einem Urteil aus dem Jahr 2020 zu nationalen Gesetzen unter anderem aus Belgien und Frankreich bestätigte der EuGH diesen Grundsatz. Aber: Er ließ bei der Speicherung gewisse Ausnahmen zu und war nicht mehr ganz so streng wie zuvor. Zulässig sei:
- Das Speichern von Verbindungs- und Standortdaten beschränkt auf bestimmte Personengruppen oder bestimmte Orte, etwa Kriminalitätsschwerpunkte wie Bahnhöfe oder Flughäfen
- Ein vorübergehendes Speichern, wenn es um eine Bedrohung der nationalen Sicherheit geht, also bei akuter Terrorgefahr.
- Ohne Anlass eine Speicherung der IP-Adressen von Nutzern, die etwas ins Netz gestellt haben.
Unter bestimmten Bedingungen dürften Ermittler dann auf diese gespeicherten Daten zugreifen.
Könnte es ein neues Gesetz in Deutschland geben?
Rechtlich hängt das vom Inhalt des Urteils ab. Falls der EuGH seine bisherige Linie weiterverfolgt, würde das deutsche Gesetz in seiner bisherigen Form gegen EU-Recht verstoßen. Aber ein eng gefasstes neues Gesetz wäre dann rechtlich möglich. Es könnte die laut EuGH ausnahmsweise zulässigen Speicherungen (bei Bedrohung der nationalen Sicherheit; bestimmte Personen oder Orte; Speicherung von IP-Adressen) in Gesetzesform gießen.
Die umstrittene Frage dürfte aber sein, ob das politisch in der Ampel-Koalition gewollt ist. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die Ampel-Koalition das EuGH-Urteil abwartet. Danach wolle man "Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können".
Bundesinnenministerin Faeser hat bereits gesagt, dass eine begrenzte Vorratsspeicherung aus ihrer Sicht ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet sei. Dafür wäre das generelle Speichern der IP-Adressen wichtig. Grüne und FDP haben sich dazu schon ablehnend geäußert.
Als mögliche Alternative zu einer Vorratsdatenspeicherung gilt das sogenannte "Quick Freeze"-Verfahren, das seit längerer Zeit von der FDP vorgeschlagen wird. Ermittler könnten dabei nur aus Anlass einer konkreten Straftat mit richterlicher Zustimmung bestimmte Daten "einfrieren" lassen und später darauf zugreifen. Ob es insgesamt zu einer Neuregelung kommt, und wie sie dann genau aussieht, ist derzeit offen.