Ein Polizist hält auf der Grenzbrücke zwischen Deutschland und Polen Fahrzeuge an.
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Asylpolitik Wie es mit den neuen Grenzkontrollen läuft

Stand: 28.09.2024 09:03 Uhr

Seit Anfang vergangener Woche finden an den deutschen Grenzen mehr Kontrollen statt, um gegen unerlaubte Einreisen vorzugehen. Welche Zahlen liegen dazu aktuell vor? Und ist die Maßnahme schon ein Erfolg?

Von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Wie viele unerlaubte Einreisen wurden festgestellt?

Genaue Zahlen gibt es bislang nur für die erste Woche der ausgeweiteten Grenzkontrollen. Demnach wurden an allen deutschen Binnengrenzen 898 unerlaubte Einreisen festgestellt, davon wurden 540 Personen zurückgewiesen, das hat die Bundespolizei bestätigt. Es seien zudem 114 offene Haftbefehle vollstreckt worden.

Allerdings scheinen die neuen Kontrollen im Westen nicht so stark beizutragen: Laut einem Bericht der Welt am Sonntag zeigen interne Bundespolizei-Statistiken, dass an den Abschnitten zu den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich nur 182 unerlaubte Einreisen festgestellt wurden. In einzelnen Bereichen, etwa zu den Niederlanden, habe es an einem Tag nur drei Zurückweisungen gegeben.

Die Bundespolizei in Rheinland-Pfalz und im Saarland spricht ebenfalls von einzelnen Zurückweisungen. Zugleich habe es auch Drogenfunde oder Verstöße gegen das Waffenrecht gegeben.

Sind die Grenzkontrollen damit ein Erfolg?

Ein möglicher Gradmesser wären sinkende Asylzahlen. Laut Welt-Bericht ist die Zahl der Gesuche, die oft unmittelbar bei Einreise gestellt werden, nach Beginn der ausgeweiteten Kontrollen nicht gesunken: 3.626 Gesuche waren es in den ersten vier Tagen nach Einsatzbeginn. Dem gegenüber stehen 3.581 Gesuche in gleichen Zeitraum der Vorwoche Anfang September.

Sagt das schon etwas aus? "Diese Zahlen schwanken immer sehr stark und sind von vielen Faktoren abhängig", erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Schon wenn sich mehrere große Gruppen auf den Weg machen oder die Belarus-Route über Polen einfacher zu passieren sei, erreiche man solche Werte. Vier Tage lieferten einfach zu wenig Erfahrungen, um das Geschehen entlang von fast 3.900 Kilometern Grenzlinie zu beurteilen.

Auch wenn Anfang Oktober die gesamte September-Statistik zu Asylerstanträgen vorliegt, dürfte sich kaum ein Rückschluss ergeben. Erstanträge werden - im Gegensatz zu mündlichen Gesuchen - bis zu vier Wochen später gestellt.

Ob die Grenzkontrollen insgesamt ein Erfolg sind, dürfte sich auch daran entscheiden, in welchem Verhältnis Aufwand und Nutzen stehen. Schließlich könnten die eingesetzten Bundespolizisten auch an anderen Orten kontrollieren, Drogen finden oder Haftbefehle vollstrecken. 

Wie ist der Personalaufwand?

Das Bundesinnenministerium will "aus einsatztaktischen Gründen" dazu keine Angaben machen - also, um Schleusern keine Hinweise zu liefern. Klar ist: Die Grenzdienststellen der Bundespolizei können diese Aufgabe nicht allein bewältigen. Sie brauchen Unterstützung anderer Einheiten.

Schon für die länger bestehenden Grenzkontrollen im Osten und Süden waren nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mehr als 1.000 Beamte der Bereitschaftspolizei zur Grenze abgeordnet - und fehlten so für Einsätze bei Großlagen, in Bahnhöfen und in Flughäfen. Für die GdP eine "unhaltbare Situation".

Zudem wird auch der Nachwuchs, also Ausbildungszüge der Bundespolizeiakademie, zur Grenze beordert. Diese Einsätze dürften "unter keinen Umständen länger anhalten als ursprünglich für Praktika angedacht", sagt Andreas Roßkopf, GdP-Vorsitzender Bundespolizei. Sonst verpassten die Neulinge wichtige Ausbildungsinhalte: "Gar nicht auszudenken, wenn sie zum Beispiel bei Schießleistungen, Polizeitraining oder kriminalistischem Wissen Defizite aufweisen würden."

Wie umfangreich sind die Kontrollen?

Die Beamten kontrollieren eher stichprobenartig. Eine Präsenz an allen Grenzübergängen oder sogar entlang der grünen Grenze, also etwa Waldabschnitten, wäre personell gar nicht möglich. "Natürlich haben wir viele Bereiche, die relativ unüberwacht sind", sagt GdP-Vertreter Roßkopf. Es sei jetzt schon feststellbar, dass bekannte Kontrollstellen von Schleusern umfahren werden.

Ebenso werden an festen Kontrollstellen längst nicht alle Fahrzeuge angehalten. Die Bundespolizei beziehe "Lageerkenntnisse über Transportmittel, Örtlichkeiten, Verhaltensweisen und Tatbegehungsweisen" mit ein, heißt es etwas kompliziert aus dem Innenministerium. Das bedeutet konkret: Da man zum Beispiel aus den Schleuserberichten des Bundeskriminalamtes weiß, dass Kleintransporter ein bevorzugtes Schleuserfahrzeug sind, winkt man diese eher heraus.

Was dürfen die Beamten an der Grenze?

Die Bundespolizisten dürfen unerlaubt Einreisende zurückweisen - in bestimmten Fällen, etwa wenn die Person mit einer Einreisesperre nach einer Abschiebung belegt ist. Wenn allerdings jemand angibt, Asyl beantragen zu wollen, wird er oder sie ins Land gelassen.

Es sind also aus Sicht der Bundesregierung und auch vieler Juristen keine pauschalen Zurückweisungen möglich. Die Unionsfraktion im Bundestag sieht das anders: Sie fordert "umfassende Zurückweisungen". Das heißt, dass auch Asylsuchende abgewiesen werden sollen. Denn diese könnten, so die Union, den Antrag "auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen" stellen. Wer also aus Polen einreist, soll seinen Antrag dort nach polnischem Recht stellen, so die Union.

Welche Erfahrungen macht die Wirtschaft?

Berufspendler, Handwerker, Lieferanten - sie alle sind auf schnelle Grenzübertritte angewiesen. Bislang hat es in der Spitze Staus von 20 bis 25 Minuten gegeben, heißt es von der Bundespolizei. Sobald sich längere Staus bilden, öffne man die Kontrollen, damit der Verkehrsfluss weiter geht.

Solche Rückmeldungen kommen aus mehreren neu betroffenen Grenzregionen: "Wir haben eine Woche nach Start der Kontrollen Logistikunternehmen befragt", sagt Simone Stachelhaus von der IHK Essen. "Die einhellige Rückmeldung war, dass bisher keine Einschränkungen für den Warenverkehr spürbar sind." Auch weiter südlich blieb die Lage entspannt: "Das große Verkehrschaos ist bisher ausgeblieben", sagt Jonas Vetter vom Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden.

Trotzdem gibt es Befürchtungen, dass sich die Lage verschlechtern könnte: "Wir hoffen, dass die Kontrollen nicht länger dauern oder sich andere Staaten ein Beispiel daran nehmen", sagt Vetter. Das wäre "fatal für den freien Waren- und Personenverkehr". Falls es zu Verschärfungen der Kontrollen kommt, müssten - wie während der Corona-Pandemie - sogenannte fast lanes für Pendler und LKW eingeführt werden.

Solche Stimmen gibt es auch aus dem Saarland: "Jeder wünscht sich, dass die Situation im sehr integrierten Grenzgebiet bald wieder so ist wie im Binnenland", sagt Volker Meyer zu Tittingdorf von der IHK Saarland. Dort gebe es täglich 16.000 Einpendler aus Frankreich, die vor allem in der Industrie und im Gesundheitswesen arbeiten.

Wie geht es weiter?

Die ausgeweiteten Grenzkontrollen sind bis März 2025 angemeldet. Das Innenministerium gibt an, dass im Februar entschieden werden soll, ob sie verlängert werden. Auch im Bundestag dürfte das Thema werden: Unter anderem hat die Grüne-Fraktion angekündigt, sich die Bilanz der ersten Monate genau anzuschauen.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 25.09.2024 05:44 Uhr