Debatte um Impfpflicht Ändert Omikron die Spielregeln?
Die hochansteckende Omikron-Variante lässt die Corona-Fallzahlen in die Höhe schnellen, die Krankheitsverläufe sind aber überwiegend milde. Das hat Folgen - auch für die Debatte um die allgemeine Impfpflicht.
Den vierten Tag in Folge meldet das Robert Koch-Institut einen Rekordwert bei der Sieben-Tage-Inzidenz - sie hat inzwischen die 500er-Schwelle überschritten. Die Lage auf den Intensivstationen ist aber nicht so dramatisch, wie die Zahlen vermuten lassen würden - was wohl auch daran liegt, dass die Omikron-Variante bislang eher milde Krankheitsverläufe verursacht. Anders als es etwa bei der Delta-Variante der Fall war.
Kritiker einer allgemeinen Impfpflicht sehen sich nun in ihren Bedenken bestätigt. Braucht es diese schwerwiegende und umstrittene Maßnahme wirklich noch? "Omikron ändert die Spielregeln", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, Stephan Thomae, der "Süddeutschen Zeitung". "Es ist jetzt nicht an der Zeit, einfach nur irgendetwas zu tun und möglichst harte Maßnahmen zu beschließen, nur um Handlungsbereitschaft zu beweisen. Es geht darum, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun."
Der FDP-Politiker drückt damit die Bedenken vieler seiner Parteifreunde aus. Hier hadert man am stärksten mit dem Vorhaben der Ampel-Regierung, die Impfpflicht auszuweiten.
Ethikrat nicht eindeutig
Doch auch der Ethikrat ist in seiner Position uneindeutig. So machte die Vorsitzende des Gremiums, Alena Buyx, kürzlich deutlich, dass das Gremium seine Empfehlung für eine ausgeweitete Impfpflicht unter Umständen überdenken müsse. Die Haltung richte sich auch danach, welche Corona-Variante das Infektionsgeschehen dominiere, sagte sie dem "Spiegel". Als der Ethikrat im Dezember mehrheitlich eine Ausweitung der Impfpflicht auf wesentliche Teile der Bevölkerung empfohlen habe, sei dies "im Kern unter den Bedingungen der Delta-Variante" geschehen.
Die Befürworter halten eine Impfpflicht für nötig, weil die Impfquote in Deutschland laut vieler Experten bislang zu gering ist, um die Pandemie nachhaltig einzudämmen. Nachdem die vorherige Bundesregierung eine solche Pflicht strikt abgelehnt hatte, sprach sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) im November noch vor seinem Amtsantritt dafür aus. Zu dem Zeitpunkt bestimmte noch die Delta-Variante, die in vielen Fällen zu schwereren Krankheitsverläufen führt, das Pandemiegeschehen in Deutschland.
Impfpflicht-Befürworter bleiben dabei
Inzwischen hat sich die Omikron-Variante durchgesetzt, die zwar als hochansteckend gilt, aber milder im Verlauf. Ändert Omikron also die Grundlage der Debatte? Nein, sagen die Befürworter einer Impfpflicht. Das ändere nichts. Der Ungeimpfte, der jetzt eine Omikron-Infektion bekomme, werde im Herbst gegen andere Varianten wenig Schutz haben, schrieb Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter. "Omikron ersetzt Impfung nicht."
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte in "Bild"-TV: "Ich glaube, wir werden aus dieser Pandemie nur rauskommen, wenn wir jetzt diese Impfpflicht - egal in welcher Variante - einführen." Er hoffe, dass die Bundesregierung rasch einen Entwurf vorlege.
Anträge statt Gesetzentwurf
Damit ist aber nicht zu rechnen. Über eine Impfpflicht soll der Bundestag nach Plänen von SPD, FDP und Grünen in freier Abstimmung ohne Fraktionsvorgaben entscheiden. Erwartet wird, dass sich Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg zusammentun und sogenannte Gruppenanträge vorlegen. Hintergrund sind auch offen sichtbare unterschiedliche Positionen in den Ampel-Reihen - vor allem aus der FDP sind schon verbreitete Vorbehalte laut geworden. So legte FDP-Vize Wolfgang Kubicki bereits einen Antrag vor, in dem die Impfpflicht kategorisch abgelehnt wird.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel verteidigte die Haltung seiner Partei. Im Sommer seien noch alle Parteien gegen die Impfpflicht gewesen, sagte er im ZDF. Durch die ansteckendere Delta-Variante habe sich die Lage verändert, und durch Omikron verändere sie sich möglicherweise erneut. Er halte es für angemessen, über eine medizinethische Frage über Fraktionsgrenzen hinweg zu entscheiden. Deshalb sei es richtig, dass es im Bundestag Gruppenanträge geben werde statt eines Regierungsantrags. Die Opposition, vor allem die Union, kritisiert diese Strategie scharf - und fordert einen Gesetzentwurf der Regierung.
Drei Impfungen - und gut?
Unterdessen gibt es konkretere Überlegungen zur möglichen Ausgestaltung der Impfpflicht. "Eine Impfpflicht - wenn sie kommt - wird befristet", sagte die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt der "Süddeutschen Zeitung". Es gehe darum, eine Grundimmunität in der Bevölkerung zu erreichen. "Im Moment gehen wir davon aus, dass drei Impfungen relativ gut schützen. Dann wäre es das dann auch." Auch Lauterbach hatte erklärt, aus seiner Sicht sollte eine Impfpflicht drei Impfdosen umfassen.
Weg zur Durchseuchung
Auch der Virologe Klaus Stöhr erwartet nicht, dass man endlos boostern müsste. Vielmehr dürfte es erst eine rasche Durchseuchung, dann eine natürliche Immunisierung der Bevölkerung geben - und schließlich ein Auslaufen der Pandemie. "In den nächsten zwei bis drei Wochen wird es eine Unsicherheit geben, wie hoch die Inzidenz steigen wird", sagte er "Bild"-TV. Danach bekämen durch die starke Durchseuchung sehr viele Menschen eine natürliche Immunität, die "oben draufgepflanzt" werde auf die Immunisierung durch Impfungen. Beides zusammen werde zu einem anhaltenden Immunschutz führen, so dass man auch nicht immer wieder boostern müsse. Im Herbst müsse man sehen, ob man den über 60-Jährigen noch einmal ein Impfangebot mache.
Angesichts der Millionen Ungeimpften oder zumindest nicht vollständig Geimpften ist Vorsicht nach den Worten Stöhrs zwar weiter ganz wichtig. Dennoch gibt er sich überzeugt: "Im Frühjahr, Sommer dann wird es sehr entspannt."
Auch der Virologe Christian Drosten sieht im häufig milderen Verlauf nach Ansteckung mit der Omikron-Variante eine "Chance", in den endemischen Zustand zu kommen - "breite Immunität vorausgesetzt", wie er dem "Tagesspiegel am Sonntag" sagte. Alle Menschen müssten sich früher oder später mit Sars-Cov-2 infizieren, meint er. "Ja, wir müssen in dieses Fahrwasser rein, es gibt keine Alternative", sagte Drosten. "Wir können nicht auf Dauer alle paar Monate über eine Booster-Impfung den Immunschutz der ganzen Bevölkerung erhalten." Das müsse das Virus machen.