Scholz rüstet auf Plötzlich Kriegskanzler
Als "Klimakanzler" machte Scholz Wahlkampf, doch seit knapp zwei Wochen ist Krieg in Europa. Deutschland vollzieht eine Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik - und Scholz ist plötzlich mehr ein Kriegskanzler.
"Putins Krieg" - Olaf Scholz sagt diese Worte erst ganz leise, fast zurückhaltend, als er am Morgen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor die Mikrofone tritt. Der Kanzler wirkt geschockt, ernüchtert. Alle diplomatischen Bemühungen für eine Lösung des Konflikts waren umsonst. Auch Scholz war kurz vor Beginn der russischen Invasion noch bei Putin in Moskau, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Fraglich, ob es überhaupt Chancen gegeben hatte, Putin von seinen Kriegsplänen abzubringen.
Seit knapp zwei Wochen herrscht nun Krieg mitten in Europa - und wenig ist mehr so, wie es mal war. Der Kanzler und auch der Kurs der Bundesregierung haben sich rasant verändert. Die Zeit der leisen Töne ist vorbei. Gegenüber Putin bringt das ohnehin nichts mehr, musste Scholz sich eingestehen. Aber auch nach innen versucht er nun, deutlich anders aufzutreten. Keiner fragt mehr, wo Scholz ist, wie in den Anfangswochen seiner Amtzeit. Scholz führt. Dazu gehört auch die Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik, die einige in seiner Ampel-Regierung nur mit Unbehagen mittragen.
Gigantische Summen für die Bundeswehr
So bekam Kanzler Scholz für diese neue Führung in den vergangenen Tagen verschiedene Titel, darunter der "Abschreckungs-Kanzler", weil er ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ankündigte. Eine gigantische Summe, die Scholz während der Sondersitzung im Bundestag aus dem Hut zauberte und damit offenbar auch Parteifreunde und Regierungspartner überrumpelte. Eine Zahl, die abschrecken und zugleich zeigen soll: Deutschland rüstet auf. Zermürbende Debatten im Vorfeld über die Höhe des Wehretats ließ Scholz durch diesen Überraschunsgeffekt gar nicht mehr zu. Der Kanzler rüstet auf, verbal, finanziell, strategisch - keine Zeit für Widerworte. Er versucht es nicht einmal, dieses Vorgehen als Teamwork zu verkaufen. Wer wann über diese Zahl Bescheid wusste, spiele keine Rolle. Die für seiner Meinung nach entscheidenden Menschen wussten es.
Keine Widerworte
Die 180-Grad-Wende zur Russland-Politik trägt öffentlich jeder in seiner SPD mit, Widerspruch wird kaum laut. Einzig ein paar wenige Stimmen aus dem Forum der demokratischen Linken in der SPD kritisieren die Rüstungsausgaben. Doch auch prominente SPDler, wie etwa Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern, sind längst von Russland und Putin abgerückt.
Klare Worte findet Scholz auch mit Blick auf Alt-Kanzler Gerhard Schröder. Unmissverständlich forderte er seinen Vor-Vorgänger dazu auf, seine Posten bei russischen Staatsunternehmen zu räumen.
Weniger als 100 Tage im Amt
Dass Scholz nun gleich in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit so eine Zeitenwende einleiten würde, dürfte wohl kaum jemand erwartet haben. Vermutlich auch nicht er selbst. Als Klimakanzler hätte er sich gerne gesehen und damit im Vorfeld auch Wahlkampf gemacht - zum Ärger der Grünen. Doch statt Klimakanzler hört man nun immer wieder Scholz, der Kriegskanzler. Ein Titel, auf den der Wehrdienstverweigerer Scholz, der einst in einem Pflegeheim seinen Zivildienst leistete, sicher gern verzichtet hätte.
Scholz geht vorsichtig mit dem Begriff Krieg um. Das wurde deutlich, als er bei seinem Truppenbesuch am Schwielowsee zwischen Bundeswehrsoldaten steht. Nein, man sei nicht Teil der militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine und wolle es auch nicht werden. Wichtig sei, einen kühlen Kopf zu bewahren. Für diesen kühlen Kopf dürften ihm nicht nur in seiner SPD in diesen Zeiten dankbar sein. Auch an der derzeitigen Geschlossenheit auf EU-Ebene wird ihm ein Anteil zugeschrieben.
Und dann ist da noch Corona
Und dann ist da noch eine andere Krise, die zuletzt ein wenig in Vergessenheit geriet: Doch die Corona-Pandemie ist immer noch da. Und damit auch der Streit um Lockerungen und Impfpflicht. Als "Krisenkanzler" muss Scholz auch die wirtschaftlichen Folgen im Blick behalten - sei es resultierend aus der Pandemie oder als Folge der Russland-Sanktionen. Scholz muss verhindern, dass sie nicht zur sozialen Krise im eigenen Land werden.