Kevin Kühnert
Porträt

Rücktritt von Kevin Kühnert Vom lauten Juso-Chef zum stillen Moderator

Stand: 07.10.2024 21:11 Uhr

Laut, frech, aber trotzdem diplomatisch - Kühnert machte sich als Juso-Chef einen Namen und mischte als SPD-Generalsekretär den politischen Betrieb auf. Sein Rücktritt kam für viele überraschend.

Von Evi Seibert, ARD Berlin und Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

"Wir haben ein Interesse daran, dass noch was übrig bleibt von diesem Laden - verdammt noch mal" - so mischte Kevin Kühnert gern SPD-Parteitage auf. Der damalige Juso-Chef war frech, laut und bekannt. Fröhlich erzählte er in Interviews: "Jetzt muss ich zumindest niemandem mehr erklären, wer die Jusos sind".

Mit seiner Bekanntheit stieg auch sein Einfluss. Kühnert zog die Strippen, als es darum ging, nach dem Desaster rund um den Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles, eine neue Doppelspitze zu finden.

Enge Zusammenarbeit zwischen Kühnert und Scholz

Das war auch der Moment, als Kühnert in der SPD mächtiger war als Olaf Scholz. Der wollte damals Parteichef werden, zusammen mit Klara Geywitz. Kühnert war anderer Meinung. Der Juso-Chef war einer der größten innerparteilichen Gegner der damaligen Großen Koalition. Und Scholz war für ihn das Symbol dieser Großen Koalition. Kühnert rief seine Truppen und sorgte dafür, dass das damals unbekannte Duo Saskia Esken und Norbert Walter Borjans an die Spitze der Partei gewählt wurde.

Kevin Kühnert tritt als SPD-Generalsekretär zurück

Frank Jahn, ARD Berlin, tagesthemen, 07.10.2024 22:00 Uhr

Für Scholz war das ein zutiefst deprimierender Moment und eine große Niederlage. Trotzdem sollten er und Kühnert später eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten, auch wenn sie, so Kühnert in einem ARD-Interview, "auch heute nicht beste Freunde sind". Das müsse man auch nicht sein in der politischen Zusammenarbeit. "Aber wir können uns die Meinung sagen. Wir sprechen direkt miteinander und nicht über die Öffentlichkeit."

Partei wirkte geschlossen - aber auch langweilig

Da war Kühnert schon in den SPD-Parteivorstand aufgestiegen und hatte im Willy-Brandt-Haus tatsächlich einen Freund gefunden: den damaligen Generalsekretär Lars Klingbeil. Beide waren Fußballfans und frotzelten sich später durch einen gemeinsamen Podcast "Die K-Frage". Das Duo sorgte mit dafür, dass Ruhe in die SPD einkehrte. Kein öffentliches Hickhack mehr. Die Partei wirkte geschlossen, wie schon seit Jahren nicht mehr.

Aber eben auch etwas langweilig. Denn als Teil des politischen Establishments wurde auch Kühnert leiser. Er stieg auf zum neuen Generalsekretär - und konnte sein großes Redetalent fortan nur noch gegen die Opposition ausspielen. Sein früherer innerparteilicher Gegner Scholz war nun der SPD-Kanzler, den er unterstützen sollte. Nach Wahlsieg und Kanzleramtseinzug erlebten die Genossen einen anderen, einen zurückhaltenden Kühnert. Vorbei die Zeit der glühenden Rede, der verbalen Provokation.

Auf dem Parteitag im Dezember 2021 wählten die Sozis Kühnert mit 77,8 Prozent zum Nachfolger von Klingbeil. Vorschusslorbeeren sehen anders aus. Manch einer fürchtete wohl, dass der Mann, der einst Scholz als Parteichef verhinderte, allzu mächtig werden könnte. Sie irrten.

Vom Rebell zum Moderator

Kühnert wählte fortan die Moderatorenrolle. Weniger General, mehr Sekretär der Partei, verlegte sich Kühnert darauf, die SPD in turbulenten Regierungszeiten zusammenzuhalten. Er bereiste die Landesverbände, bildete Netzwerke. Der lautstarke Juso von einst, er wird zum Erklärer einer SPD in turbulenten Zeiten. Der Krieg gegen die Ukraine, Energiekrise. "Wir würden auch gern ruhiger regieren können, mit weniger Einflüssen von Außen", sagte er einmal. Aber so sei eben Politik.

Oliver Sallet, ARD Berlin, über die Bedeutung des Kühnert-Rücktritts für die SPD

tagesthemen, 07.10.2024 22:00 Uhr

Und egal was in der Ampel-Regierung passierte, die SPD unter General Kühnert blieb still. Kritik am Kanzler? Generalsekretär Kühnert schwieg. Sie redeten oft miteinander, häufige Telefonate gab es. Nichts drang nach außen. Der Generalsekretär klang da manchmal wie ein Regierungssprecher. Als es in der Ampel zu rumoren begann, mancher den Moderator Scholz kritisierte, hielt die SPD samt Willy-Brandt-Haus still.

Kanzlerwahlverein? Das Schimpfwort, das sie einst für die CDU erfanden, mancher Genosse nahm es erstmals für den eigenen Laden in den Mund. Kanzlerwahlverein SPD. Kühnert sagte einst dem ARD-Hauptstadtstudio, das Wort habe nun gar nichts mit seiner SPD zu tun. Kühnert und Scholz? Zwei Genossen, die einander brauchten. "Ich muss keinen Frieden mit Olaf Scholz machen, weil wir nie im Krieg miteinander waren", sagte Kühnert damals. Der Erfolg von Scholz ist der Erfolg der SPD. Man sei "Schicksalsgemeinschaft".

Wiederwahl 2023 gefolgt von Niederlagen

2023 aber kriselte es bereits in dieser "Schicksalsgemeinschaft". Scholz war den Genossen zu schweigsam, zu wenig kämpferisch. Sie wollten keinen Moderator, sie wollten einen Sozi im Kanzleramt. Orientierung in Krisenzeiten forderte damals auch Kühnert. Er organisierte den SPD-Parteitag in Berlin. Der Scholz-Auftritt gelang. Die erfolgreiche Choreografie des Parteitags, ein Werk des Genossen Kühnert.

Mit 92,6 Prozent bestätigten die Sozis ihren Generalsekretär im Dezember 2023 im Amt. Es war der Vertrauensbeweis der Basis für ihren Generalsekretär, der in der Folge dieses Jahr aber drei verloren gegangene Wahlen im Osten erlebte und erläutern musste. Und obendrein war da noch ein sehr persönliches Debakel: die missglückte Europawahl.

Es war die erste Kampagne, die Kühnert eigenständig verantwortete. Auf den Plakaten der Kanzler samt dem Wort "Frieden". Die Wähler aber machten ihren Frieden nicht mit dieser SPD - knapp 14 Prozent bei den Europawahlen. Das Debakel ging auch mit Generalsekretär Kühnert nach Hause.   

Anerkennung für Kühnerts Rücktritt

Kann Kühnert eine Bundestagswahlkampagne organisieren? Er selbst glaubte daran. Noch vor wenigen Tagen schloss er in einer ZDF-Talkshow seinen Rücktritt aus. "Wenn das helfen würde, ich würde das sofort machen. Aber es würde nicht helfen", so Kühnert.

Nur die wenigsten wussten da offenbar schon um die gesundheitlichen Probleme des 35-Jährigen. Einer davon: der Co-Vorsitzende und enge Freund Lars Klingbeil. Er wie auch Saskia Esken waren am Tag des für die Allermeisten völlig überraschenden Rücktritts so betroffen wie erschüttert. Aber auch voller Respekt für das politische Ausnahmetalent Kühnert, der sich jetzt selbst vom Platz nahm.

"Ich trage Verantwortung für mich selbst und die SPD", schrieb Kühnert. Indem er sich jetzt ganz um seine Gesundheit kümmere, werde er seiner doppelten Verantwortung am besten gerecht. Klingbeil sagte es anders. "Politik ist nicht alles." Kühnerts Entscheidung ist der beste Beleg dafür.       

Evi Seibert, ARD Berlin, tagesschau, 07.10.2024 16:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 07. Oktober 2024 um 22:00 Uhr.