Polizei inspiziert einen beschädigten Hochspannungsmast in der Nähe der Tesla Gigafactory in Grünheide bei Berlin.
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Gesetz könnte scheitern Warum der Infrastruktur-Schutz nicht vorankommt

Stand: 27.11.2024 17:59 Uhr

Kritische Infrastruktur in Deutschland muss besser geschützt werden - darüber sind sich fast alle Parteien einig. Das sogenannte KRITIS-Dachgesetz könnte aber nun trotzdem scheitern. Warum?

Eine Analyse von Claudia Kornmeier, ARD-Hauptstadtstudio

Als am Montag in Litauen ein DHL-Frachtflugzeug abstürzte, stand sofort die Befürchtung im Raum, es könnte russische Sabotage gewesen sein. "Den Verdacht musste man sofort haben nach den Hinweisen, die wir vorher erhalten hatten", sagt der Chef des Bundesnachrichtendiensts (BND), Bruno Kahl, im ARD Interview der Woche. Er fügte aber hinzu: "Bisher haben wir keine konkreten Hinweise, dass sich etwas in diese Richtung ereignet haben könnte."

Dass der Verdacht überhaupt aufkommt, liegt daran, dass deutsche Sicherheitsbehörden bereits im Sommer vor selbstentzündenden Paketen in DHL-Frachtflugzeugen warnen. Sicherheitskreise halten es für möglich, dass es sich dabei um Sabotage durch russische Geheimdienste handelt. Generell gilt: "Wir haben Hinweise, dass die kritischen Infrastrukturen ausgespäht werden und dass es auch Vorbereitungshandlungen geben soll, die im Fall des Falles dann auch zu Schadensaktionen führen könnten", sagt Kahl.

Hinzu kommt: Die Kritische Infrastruktur ist nicht nur Ziel hybrider Kriegsführung. Im Frühjahr bekennen sich Linksextremisten zu einem Brandanschlag auf einen Hochspannungsmast, an dem die Stromversorgung des Tesla-Werks in Grünheide bei Berlin hängt - aber auch ein Krankenhaus und ein Edeka-Verteilzentrum.

Mehr Regulierung für besseren Schutz

Es sind zwei Beispiele, die deutlich machen, wie wichtig der Schutz der Kritischen Infrastruktur ist. Dazu zählt etwa auch die Wasser- und Lebensmittelversorgung oder Telekommunikation. Die Bundesregierung hat deshalb ein Gesetz auf den Weg gebracht, das für einen besseren Schutz sorgen soll: das sogenannte Kritis-Dachgesetz.

Mit dem Gesetz sollen vor allem Unternehmen in die Pflicht genommen werden, die Kritische Infrastruktur betreiben. Bislang gibt es dazu keine bundesweite und branchenübergreifende Regelung. So etwas existiert bislang nur für die IT-Sicherheit von Kritischer Infrastruktur, also den Schutz vor Cyberangriffen.

Union will "eher nicht" zustimmen

Allerdings hat die Bundesregierung das Kritis-Dachgesetz im Kabinett beschlossen, wenige Stunden bevor die Koalition aus SPD, Grünen und FDP zerbrach. Nun steht das Vorhaben auf der Kippe. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass im Bundestag eine Mehrheit dafür zustande kommt. SPD und Grüne hatten auf die Union gesetzt. Doch aus der Unionsfraktion heißt es, dass man dem Kritis-Dachgesetz "eher nicht" zustimmen wolle.

Die Bundesregierung habe allein für die Ressortabstimmung mehr als ein Jahr gebraucht. Es sei der Ampel anscheinend nicht so eilig gewesen. Warum also jetzt die Eile, das Gesetz noch vor den Neuwahlen zu beschließen. Außerdem wolle man sich die Sache auch inhaltlich noch einmal genauer anschauen.

In der Tat hatte das Bundesinnenministerium bereits im Juli 2023 einen Entwurf für das Kritis-Dachgesetz in die Abstimmung mit den anderen Ministerien gegeben - durchs Kabinett sollte es noch 2023. Doch daraus wurde nichts. Die Abstimmungen - nicht nur mit den Ressorts, sondern auch mit Vertretern der betroffenen Unternehmen - zogen sich. Es sei kompliziert, hieß es ein ums andere Mal.

SPD und Grüne appellieren an Union

Und jetzt wird es richtig kompliziert. Denn seit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner und dem anschließenden Rückzug der FDP-Minister aus der Bundesregierung, herrscht im Bundestag mehr oder weniger Stillstand. Sitzungswochen werden abgesagt, die Tagesordnung für die kommende Woche - in der zumindest ein bisschen was im Plenarsaal stattfinden soll - "befindet sich noch in Klärung".

Theoretisch können auch noch kurzfristig Gesetze zur Beratung aufgesetzt werden. Erst die Grünen und mittlerweile auch die SPD appellieren nun an die Union, das Kritis-Dachgesetz nicht versanden zu lassen. Es sei fahrlässig, "ein so wichtiges Gesetz zum Schutz unserer Bevölkerung, zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland einfach um ein gutes Jahr zu vertagen", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz am Montag.

Eine erstmalige Regulierung sei "überfällig" und angesichts der hybriden Kriegsführung, mit der man konfrontiert sei, von "essenzieller Bedeutung", so Sebastian Hartmann, der das Gesetz für die SPD-Fraktion verhandelt, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. "Die Kabinettsfassung ist nur ein Entwurf und wir sind im Interesse der Inneren Sicherheit jederzeit zu Kompromissen mit der Union bereit." Etwa bei der Reichweite und Tiefe der Regulierung.

Mehrheit mit der FDP?

Aber was ist eigentlich mit der FDP? Den Kabinettsbeschluss kommentierte der innenpolitische Sprecher, Manuel Höferlin, noch mit den Worten, das Gesetz sei ein "wichtiger Schritt zur Stärkung der Resilienz". Betreiber brauchten "klare Schutzstandards, um Ausfälle und Störungen zu vermeiden".

Mittlerweile ist die Fraktion auf Tauchstation, mag auch auf Nachfrage nicht mehr kommentieren, ob sie sich eine Zustimmung im Bundestag noch vorstellen könnte. Nicht vorstellen kann es sich der SPD-Abgeordnete Hartmann: "Angesichts der ständigen Blockade der FDP, halte ich es für ausgeschlossen mit der FDP zu einer Einigung zu kommen - egal bei welchem Gesetzesvorhaben."

Es wird knapp

Die Zeit drängt auch noch aus einem formalen Grund. Das Kritis-Dachgesetz dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie. Die Frist dafür ist bereits abgelaufen. Theoretisch könnte die Europäische Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten - was allerdings in der Praxis nicht sofort passiert.

Im Bundestag bleiben nach aktuellem Stand im Grunde noch drei Sitzungswochen für inhaltliche Entscheidungen - zwei im Dezember, eine im Januar. Der Rest ist gestrichen. Viel sei im Fluss und entscheide sich von Sitzungswoche zu Sitzungswoche, heißt es aus der Unionsfraktion noch.