Bundeswehrsoldaten

Verteidigungsministerium Kaltstart auf der "Baustelle Bundeswehr"

Stand: 17.01.2023 09:48 Uhr

"Zeitnah" soll nach dem Rücktritt Lambrechts als Verteidigungsministerin über eine Nachfolge entschieden werden - wohl schon heute. Auf die Neue oder den Neuen kommt direkt nach Amtsantritt jede Menge Arbeit zu.

Von Kai Küstner, ARD Berlin

Schrillen bei Polizei oder Feuerwehr die Alarmglocken, springen die Diensthabenden sofort in die Autos und fahren los. Bei der Bundeswehr aber würde sich - im theoretischen Alarmfall - eine solch schnelle Reaktion deutlich schwieriger gestalten. Dass die Truppe bei genau dieser "Kaltstartfähigkeit" - beim blitzschnellen Verlegen von Menschen und Material an den Krisenort - Probleme hat, darauf wies Heeresinspekteur Alfons Mais wiederholt hin.

Auch Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München sieht das so: "Das ist etwas, was die Bundeswehr nur in Ansätzen kann. Was sie aber in einem viel größeren Umfang können muss als das in den vergangenen 20 oder 30 Jahren der Fall war." Was natürlich an der gewachsenen Bedrohung durch Russland liegt.

Kaltstartfähigkeit - das ist nicht nur eine der großen Herausforderungen für die Truppe. Kaltstartfähigkeit muss auch jene Person mitbringen, die auf Christine Lambrecht im Verteidigungsministerium folgt. Der Krieg, den Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine mitten in Europa entfacht hat, lässt keine Zeit für Atemholen. Und schon gar nicht für gemächliches Einarbeiten.

Verteidigungsminister - Ein Job, den niemand machen will

Anja Köhler, ARD Berlin, Morgenmagazin

Viel Arbeit von jetzt auf gleich

Bereits diese Woche stehen wichtige Entscheidungen an. Zum Beispiel die, ob Deutschland nicht doch Kampfpanzer an die Ukraine liefern soll - oder zumindest die Exportgenehmigung für andere europäische Länder erteilt, den hierzulande hergestellten "Leopard 2" zur Verfügung zu stellen. "Es wird viel zu wenig über das Gesamtpuzzle gesprochen, immer nur über einzelne Puzzleteile", kritisiert der Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, in der ARD. Er möchte die Debatte nicht gerne verengt sehen auf den "Leopard", sondern auch über Flugabwehr und über Artillerie reden.

Wüstner geht davon aus, dass die Ukraine noch weitere Marder-Schützenpanzer brauchen wird. Am Freitag steht mit dem Unterstützer-Treffen in Ramstein, nahe Kaiserslautern, eine wichtige Wegmarke beim Thema Waffenlieferung an. Bereits einen Tag davor hat sich US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin angesagt.

Erste Anschaffungen auf den Weg gebracht

Egal ob Patriot, Panzerhaubitze oder Marder: Bei fast jeder Waffengattung, die man an die Ukraine abzugeben gedachte, kam die Frage auf, ob die Entbehrung für die Bundeswehr selbst überhaupt zu verkraften wäre. Was Bände spricht über die Ausstattung der Truppe.

Nun sind mit Hilfe des 100-Milliarden-Sondervermögens erste Anschaffungen wie der F35-Kampfjet oder der schwere Transporthubschrauber CH-47 auf den Weg gebracht - wenn auch noch lange nicht bei der Truppe angekommen. Und reichen wird das auch nicht. "Der Bundeskanzler, die Bundesregierung hat enorme Zusagen an die NATO gemacht bis 2025. Davon sind wir weit entfernt", warnt Bundeswehrverbandschef Wüstner. Eine Division, bis zu 30.000 Soldaten, voll ausgestattet, hat Deutschland der NATO unter anderem versprochen. "Dafür braucht es gute Ansätze, Reformwillen und Vollgas", so Wüstner.

Militärexperte: "Herz für die Truppe nötig"

Insbesondere das als behäbig geltende Beschaffungswesen gilt als dringend überholungsbedürftig. "Frau Lambrecht hat dieses Beschaffungswesen nicht reformieren wollen, hat nur kleinere Stellschrauben gedreht", sagt Militärexperte Masala in der ARD.

Aber nicht nur für Materialfragen ist an der Spitze des vielleicht schwierigsten Ministeriums überhaupt ein Händchen gefragt: "Man muss ein Herz und ein Verständnis für die Truppe haben, für den normalen Soldaten und die normale Soldatin und seine und ihre Bedürfnisse", meint Masala. Selbst wenn sie es hatten, gelang es so manchen Ressortchefs in der Vergangenheit recht gut, dieses Herz für die Truppe zu verstecken. Worunter dann natürlich die Autorität litt.

Bei über 250.000 Menschen, die in Uniform oder in Zivil für die Bundeswehr arbeiten, sind Management-Qualitäten gefragt, wie es sie wohl in keinem anderen Ministerium gibt. Immerhin ist die Person an der Spitze des Verteidigungsministeriums "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt", der sogenannten IBuK, wie es im Grundgesetz heißt. Genau deshalb gilt es als so wichtig, dass bei allen Baustellen, die man vom Ministersessel aus zu betreuen hat, die eigene Personalie nicht selber zur Baustelle, zum Problemfall wird.

Kai Küstner, Kai Küstner, ARD Berlin, 17.01.2023 04:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Januar 2023 um 08:00 Uhr.