Michael Kretschmer, Friedrich Merz und Mario Voigt
analyse

CDU nach den Landtagswahlen Politische Flexibilität ist gefragt

Stand: 02.09.2024 18:55 Uhr

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist klar: Ohne das BSW geht für die CDU in den Ländern nichts. In Thüringen stellt sich nun sogar die Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit mit der Linken.

Eine Analyse von Sarah Frühauf und Uli Hauck, ARD-Hauptstadtstudio

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht man die kurze Nacht deutlich an, als er gegen 9 Uhr am Morgen in der CDU-Zentrale in Berlin ankommt. Traditionell tritt hier die Parteispitze nach Wahlen zusammen. Die Kameras und Fotografen warten dann und hoffen auf ein paar Worte der Politiker. Wer den Fragen entgehen will, nimmt den Weg durch die Tiefgarage.

Der CDU-Spitzenkandidat lässt sich vor dem Haupteingang absetzen. Er wolle Sachsen eine stabile Regierung geben, verkündet Kretschmer. Aber das setze voraus, dass man die eigene Person und die eigene Partei zurückstellt.

Damit meint er wohl eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Denn dass Kretschmer kein Fan von Wagenknecht ist und die CDU ihre neue Partei mit sehr großer Skepsis betrachtet, ist kein Geheimnis. Und auch CDU-Chef Friedrich Merz sprich von einer "Red Box" und nennt das Bündnis Sahra Wagenknecht eine "Kaderpartei einer Person", die sich im Landtagswahlkampf vor allem zur Weltpolitik geäußert habe.

Kein natürlicher Partner

Eine natürliche Koalitionsoption für die CDU ist das BSW also wahrlich nicht. Auf mögliche Schnittmengen der CDU zum BSW angesprochen sagte Merz auch, er könne die Frage nicht beantworten.

Aber der CDU-Chef hat den Landesverbänden trotzdem freie Hand für Verhandlungen gegeben. Denn beispielsweise Michael Kretschmer hat keine andere Option. Seine bisherige Koalition mit den Grünen und der SPD ist abgewählt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD bleibt ausgeschlossen.

Und dabei kann sich Kretschmer fast noch glücklich schätzen. Seinem Parteikollegen in Thüringen, Mario Voigt, stehen noch schwierigere Gespräche bevor.

Voigt kommt kurz nach Kretschmer in Berlin an. Er wirkt frischer und besser gelaunt - trotz schwierigerer Ausgangslage. Denn für seine CDU kommt theoretisch für eine klare Mehrheit nur eine Koalition mit dem BSW und den Linken in Frage. In der Realität könnte das aber schwierig werden.

Die Zusammenarbeit mit dem BSW ist die erste große Kröte, die die CDU-Spitze schlucken müsste. Denn Sahra Wagenknecht war früher SED-Mitglied und Frontfrau der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei. Im Wahlkampf hatte sie unter anderem ein Nein zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine zur Bedingung für eine Koalition gemacht.

Tolerieren ist nicht regieren

Voigt gibt sich gelassen. Über Außenpolitik werde nicht auf Landesebene entschieden. Er scheint sich sicher, dass man sich irgendwie einig wird. Das Vertrauen von CDU-Chef Merz hat Voigt jedenfalls. Der hatte den Wahlkämpfern bereits vor ein paar Wochen Beinfreiheit zugesichert. Nur gilt das auch für Gespräche mit der Linkspartei, mit der die CDU eigentlich kategorisch ausgeschlossen hatte, zusammenzuarbeiten?

Am Tag nach der Wahl stellte CDU-Chef Merz klar, dass der gültige Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU mit der Linkspartei aus dem Jahr 2018, der vergleichbar auch für die AfD gilt, weiter Bestand haben wird. Eine Regierung aus CDU, BSW und Linkspartei in Thüringen ist damit offenbar ausgeschlossen.

Debatte um Umgang mit der Linken

Wohl auch wegen dieser schwierigen Ausgangslage winden sich die anderen Mitglieder der Parteispitze am Morgen um eindeutige Antworten. Doch einige Aussagen lassen Interpretationsspielraum - zum Beispiel die von Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner. Er sagte am Morgen, dass punktuell in den Ländern selbst entschieden werden solle. Das Wichtigste wäre nun eine stabile Regierung.

Thorsten Frei dagegen, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion, sieht, was die Linke angeht, keinen Spielraum. Die CDU habe eine klare Beschlusslage als Bundespartei und daran sei die Partei im Ganzen gebunden.

Einer, der seit Längerem für einen offeneren Umgang mit der Linken wirbt, ist Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, den einige in der Partei abwertend "Genosse Günther" nennen. Über diesen Vorstoß hatte es in der CDU viel Kopfschütteln gegeben. Günther hat am Morgen den Weg über die Tiefgarage gewählt. Aber er muss nun auch nichts mehr sagen. Die Debatte um die Linkspartei kommt nun mit aller Macht und sie bietet viel Sprengstoff.

Es könnte also doch wieder auf eine Minderheitsregierung hinauslaufen, mit umgekehrten Vorzeichen. Die Linke toleriert eine CDU? Tolerieren ist nicht regieren, darauf scheint man sich im Konrad-Adenauer-Haus einlassen zu wollen. Klar ist nur eines: Es ist kompliziert.

Flexibilität gefragt

Grundsätzlich ist in der CDU die Gefahr groß, dass ein Aufweichen des Nichtvereinbarkeitsbeschlusses mit der Linken auch eine Diskussion über die AfD aufmacht. Vor allem in der Ost-Basis rumort es seit Langem. Dort ist immer wieder zu hören: In der AfD gebe es doch vernünftige Leute. Warum es nicht mal mit ihnen versuchen?

Außerdem droht CDU-Chef Merz Gegenwind aus der konservativen Ecke der Partei, aus der er normalerweise viel Unterstützung bekommt. Denn mit "Kommunisten" wie es dort heißt, egal ob BSW oder Linken, will man eigentlich nichts zu tun haben. Doch nach den schwierigen Wahlergebnissen von Thüringen und Sachsen ist offenbar mehr denn je politische Flexibilität gefragt.

Eva Ellermann, tagesschau, 02.09.2024 17:16 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk in den Nachrichten am 02. September 2024 um 19:00 Uhr.