Björn Höcke, Mario Voigt und Katja Wolf
analyse

Landtagswahl in Thüringen Schwierige Gespräche - für alle Beteiligten

Stand: 01.09.2024 22:09 Uhr

Auch wenn Höcke darauf besteht: An der Regierung in Thüringen wird die AfD wohl nicht beteiligt sein. Jetzt kommt es darauf an, ob die CDU ein Bündnis mit BSW und SPD schmieden kann - vielleicht auch mithilfe der Linken.

Eine Analyse von Thomas Vorreyer

Es ist passiert. In Thüringen ist die AfD erstmals bei einer Landtagswahl stärkste Kraft geworden - in einem Bundesland, in dem die Partei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Sie bleibt aller Voraussicht nach zwar wieder ohne Koalitionspartner und Regierungsbeteiligung, aber diesmal nicht ohne Macht. Der neue Landtag wird mitunter von ihr abhängig sein, da sie wohl mehr als ein Drittel aller Abgeordneten stellen dürfte.

So ist - nur ein Beispiel - ausgerechnet jenes Gremium nicht arbeitsfähig, dass den Verfassungsschutz kontrollieren soll: die Parlamentarische Kontrollkommission. Auch für deren Besetzung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit und damit nun Stimmen aus der AfD.

AfD ist extrem - und doch für viele normal

Björn Höcke hat die AfD in diese Lage geführt. Höcke hat jedes Problem aufs Äußerte zugespitzt. Er versprach den Menschen im Wahlkampf nicht eine geordnete Migration, sondern eine, die praktisch gegen null laufen würde und die letzten wenigen Asylsuchenden entrechten würde. Verfassungskonform war davon wenig.

Höcke sprach über die Stellung der Erdachse statt über Klimaschutz. Den "amerikanischen Hegemon" wollte er aus Europa vertreiben, das "Gender Mainstreaming" - und damit das Lernen über Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt - aus den Thüringer Schulen.

Seine Ideologie verharmloste der aus Westdeutschland stammende Lehrer mit dem Wahlspruch "Der Osten macht’s" und mit Fotofahrten auf dem DDR-Kult-Moped Simson. Vor allem hat es die Höcke-AfD aber geschafft, sich durch Kritik an Corona-Maßnahmen, Ukraine-Krieg und Inflation neue Wählerschichten zu erschließen.

Auf dem Weg zur Normalisierung half der AfD auch eine Diskursverschiebung. "Früher mussten Leute sich dafür rechtfertigen, wenn sie für die AfD waren. Heute ist das so bei den Grünen." So fasste ein AfD-Funktionär die Stimmung kurz vor der Wahl zusammen. Daran haben CDU, Sahra Wagenknecht und ein Teil der Medien kräftig mitgewirkt.

CDU-Chef Friedrich Merz etwa hatte, der Wucht des missratenen Heizungsgesetzes folgend, die Grünen zum "Hauptgegner" seiner Partei erklärt. Auslöser dafür war vor einem Jahr ausgerechnet jene Wahl in Thüringen, die das Potenzial der AfD offenlegte: die Landratswahl in Sonneberg. Die Logik von "Alle gegen einen, alle Demokraten gegen die AfD" bekam so Risse, auch wenn es einen Anti-AfD-Effekt bis heute gibt.

CDU: Voigts Strategie geht auf

Der andere Gewinner heißt Mario Voigt. Er hat den lange im Vorhinein geplanten CDU-Wahlkampf vom Gegner Bodo Ramelow auf Höcke umgepolt. Statt am beliebten Ministerpräsidenten zog der eher unbekannte Voigt sich am AfD-Chef nach oben - und damit an Ramelow vorbei. Anders als es noch im Frühsommer aussah, wurde ihm das Bündnis Sahra Wagenknecht dabei nicht mehr gefährlich.

Für Voigt war der Platz zwei in den Umfragen offenbar wahlentscheidend: Die CDU profitiert in Thüringen massiv von einem Anti-AfD-Effekt. Die Partei, die einst allein in Thüringen regierte, bekommt damit eine zweite Chance, sich in der Bevölkerung zu verankern.

Voigt will sich nun mit der SPD zusammensetzen. Danach soll eine Zusammenarbeit mit dem BSW ausgelotet werden. Und sollten die drei Parteien zusammen knapp eine Mehrheit im Landtag verfehlen, wonach es am späten Sonntagabend aussieht, müsste auch die Linkspartei einbezogen werden. Für Mario Voigt werden dieser zweite und dritte Schritt die eigentliche Prüfung.

Denn das Ergebnis der CDU ist zwar wohl stark genug, um diejenigen still zu halten, die innerhalb der Partei eine Zusammenarbeit mit der AfD fordern. Eine klare Mehrheit der Thüringer lehnt zudem eine Beteiligung der AfD an der Regierung ab. Die Wagenknecht-Partei würde allerdings keinesfalls ein einfacher Partner sein.

BSW: Neue Chancen, neue Probleme

Ein Teil der Bevölkerung hat nach dieser neuen Partei gelechzt. Schon eine Woche nach Parteigründung stand das BSW in einer Umfrage bei 17 Prozent in Thüringen. Bei der Wahl läuft die junge Partei nun knapp darunter ein. 

Der Landesverband ist klein, hat nur ein paar Dutzend Mitglieder. Diese kennen sich zum Teil aber schon länger. Der Ton im Thüringer BSW ist durchaus konstruktiver als der von Namensgeberin Sahra Wagenknecht, der Ton gegenüber Wagenknecht selbst selbstbewusst.

Die Parteichefin werde nicht persönlich an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen, sagte Spitzenkandidatin Katja Wolf nach der Wahl in der ARD. Genau das hatte Sahra Wagenknecht gegenüber tagesschau.de und anderen Medien zuvor aber in Aussicht gestellt.

Für die gemeinsamen Positionen zu Waffenhilfen an die Ukraine und Raketenstationierungen in Deutschland, die Wagenknecht zu "roten Linien" erklärt hatte, dürften sich Kompromisse finden lassen. Notfalls könnte eine Koalition sich auf weniger verständigen als einen klassischen Koalitionsvertrag. Auch diese Überlegungen gibt es. Die Chance für einen neuen Politikstil ist da.

Eine Vorlage gibt es mit dem sogenannten Stabilitätspakt auch, den die rot-rot-grüne Minderheitskoalition 2020 mit der damals oppositionellen CDU-Fraktion schloss. Dieses Papier müsste, wenn nötig, ohnehin wiederbelebt werden, sollten CDU, SPD und BSW die Stimmen der Linkspartei brauchen. Die damalige Praxis lehrt: Innerhalb der CDU wird das nicht als Widerspruch zum Abgrenzungsbeschluss von der Linken gesehen.

Fraglicher ist, wie stabil das BSW dann ist - und wie viel Interesse Wagenknecht selbst an einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit CDU und SPD hat. Denn der Erfolg des BSW ist vor allem der ihrer Person und ihres Populismus. In der AfD setzen viele ihre Hoffnung jedenfalls auf das BSW.

Nur eine Ampel-Partei gerettet

Die AfD wird in den nächsten Monaten darauf drängen, dass nach der Wahl eines Landtagspräsidenten auch schnell die Wahl des Ministerpräsidenten anberaumt wird. Bis dahin müsste sich eine Koalition geeinigt haben. Denn die Wahl des Ministerpräsident ist geheim. Schon vor vier Jahren trickste die AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich ins Amt des Ministerpräsidenten und löste die Thüringer Krise aus.

Kemmerich ist nun nicht mehr im Amt. Sein klarer Anti-Ampel-Kurs hat der FDP nicht genützt. Für die FDP war Thüringen allerdings genau wie für die Grünen nie ein Kernland. 

Den Grünen hat weder geholfen, dass die Partei im Bund als "Friedenspartei" lautstark auf Waffenlieferungen an die Ukraine drang. Noch dass sie in Thüringen in einer merkwürdigen Rochade ein Jahr vor der Wahl ihr Spitzenpersonal austauschte. 

Und der SPD trauten am Ende offenbar mehr Menschen zu, Teil einer stabilen Mehrheitsregierung werden zu können als den ungeliebten Grünen.

Linke: Ramelows Grenzen

Noch heißt der Ministerpräsident Bodo Ramelow. Deutschlands einziger linker Regierungschef war in der Corona-Pandemie an seine Grenze gestoßen. Nicht, weil er "Candy Crush" während der langen Sitzungen mit der Kanzlerin zockte, sondern weil er Gräben nicht mehr überwinden konnte.

In den Monaten vor der Wahl verging kaum ein Termin, bei dem er nicht über persönliche Angriffe von Rechtsextremen und Querdenkern aus dieser Zeit berichtete. Der Ministerpräsident rechtfertigte sich oft. Er überzeugte so als Mensch, nicht aber als Politiker.

Schon bevor es das BSW gab, hatte die Linke bereits fast ein Drittel ihres Zuspruchs in Thüringen verloren. Das konnte ein derart angefasster Ramelow gegenüber Wagenknecht und der desolaten Lage der Linken nicht mehr aufholen. Da half diesmal selbst kein Ministerpräsidentenbonus.

Aber Bodo Ramelow tritt nach der Wahl nicht ab, sondern bleibt bei seiner Botschaft: Er wolle jetzt die Koalitionsbildung unterstützen. "Ich werde meinen Teil dazu tun", so Ramelow in der ARD. Dafür müsste die Linke aber gebraucht werden.

Thüringen wird nach diesem Abend vielleicht wieder eine Regierung mit einer eigenen Mehrheit haben. Lähmende politische Diskussionen drohen dem Land dank der AfD-Sperrminorität aber weiterhin. Die Wähler haben es so gewollt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. September 2024 um 20:00 Uhr.