Demonstration gegen rechts
reportage

Im Fokus der Landtagswahlen Die AfD und ihre Gegner

Stand: 27.08.2024 17:45 Uhr

In den Wahlkämpfen in Thüringen und Sachsen tritt die Polarisierung rund um die AfD deutlich zutage. Die Partei bringt Anhänger und Gegner auf die Straße. Letztere wandeln zwischen Frust und Hoffnung.

Eine junge Frau tritt an einen kräftigen Mann heran, der zum Marktplatz läuft. Ob sie ihm ein Heft mit Recherchen zu Rechtsextremismus mitgeben dürfe.

Ich bin ein Nazi", sagt der im Vorbeigehen.
"Wie bitte?"
"Ich bin ein Nazi."
"Okay, das ist scheiße.

In Sömmerda nördlich von Erfurt hält die AfD an diesem Samstagnachmittag ein "Sommerfest" ab. Acht Tage sind es noch bis zur Landtagswahl. In Thüringen könnte die AfD dann wie auch in Sachsen und später in Brandenburg stärkste Kraft werden. Der Rückenwind ist groß - der Gegenwind auch.

In der Universitätsstadt Jena haben Demonstrierende wenige Tage zuvor die Anfahrt von Spitzenkandidat Björn Höcke blockiert. Hier auf dem Land bleibt es ruhig, auch wenn die Dialoge in der Fußgängerzone die verhärteten Fronten zeigen. Rund 50 Leute sind auf der Gegendemo, gut fünfmal so viele bei der AfD.

Höckes Agenda

Für manche hier mag das Label "rechts" eine Zuschreibung sein, die sie aus Trotz angenommen haben. Andere verhehlen ihre Gesinnung kaum. "Alles hat einen Haken, nur das Kreuz hat vier" steht auf einem T-Shirt, "Abschiebehelfer" auf einem anderen.

Björn Höcke hat die Ärmel hochgekrempelt. Er spricht mit Headset, gestikuliert viel. Die Bühne ist klein, dadurch wirkt das Gedränge davor noch dichter.

Höcke redet über seine Gegner. Er macht die Demonstranten mitverantwortlich für den Messeranschlag von Solingen, nennt sie "geistige Brandstifter". Andere Parteien sind für ihn nur "Kartellparteien".

Einer Gruppe von Familienunternehmen, die sich gerade gegen die AfD positioniert haben, wünscht Höcke "schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen". Hinter anderen Initiativen vermutet er "Strippenzieher jenseits des großen Teiches", also nicht weniger als eine globale Verschwörung.

Den Menschen verspricht er ein Deutschland, in dem Asylsuchende an der Grenze alle Wertsachen, Handys und Geld abgenommen würden. In dem nur noch das politische Asyl Schutz gewährte - und die Genfer Flüchtlingskonvention wohl ausgesetzt wäre. In dem nicht mehr über Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt an Schulen unterrichtet wird und Schüler mit Behinderungen nur an Förderschulen lernen dürfen.

"Der auserwählte Politiker"

Vor Höcke hat Torsten Czuppon gesprochen. Der Polizist, rechtskräftig verurteilt wegen der Verfolgung Unschuldiger, hat hier vor fünf Jahren das Direktmandat geholt. Von Erfolgen als Abgeordneter kann er nicht berichten: Die AfD wird im Landtag nahezu vollständig ausgegrenzt. Aber Czuppon sagt: "Wenn Sie mich wählen, dann wählen Sie Björn Höcke. Er ist mein großes Vorbild."

Über dieses Vorbild haben extrem rechte Aktivisten gerade einen Film gedreht. Er soll den Menschen Höcke zeigen, der Ministerpräsident werden will. Höcke hat sich begleiten lassen, reden tut aber nicht er, sondern Vertraute wie der Verleger Götz Kubitschek.

Es geht viel um Taktik. Wie Höcke als praktizierender Ideologe der Neuen Rechten die westdeutsche "Professoren-Partei" AfD dem Rechtsextremismus zugewandt hat. Wie er die Gerichtsprozesse gegen ihn als politische Einflussnahme darstellt.

Warum ein Spitzenkandidat kurz vor einer Wahl solchen Themen so viel Zeit einräumt, erschließt sich kaum. Zurück bleibt der Satz des AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Haseloff über Höcke und die Polarisierung, die die AfD selbst bedient: "Für seine eigenen Leute ist er der auserwählte Politiker, der dieses Land verändern kann, und für seine Feinde (wird er) zum Teufel erklärt."

Wer das Werk, das auf Höckes Abgeordneten-YouTube-Kanal hochgeladen wurde, finanziert hat, dazu macht sein Büroleiter auf Nachfrage keine Angaben. Auch eine Interviewanfrage lehnt er für Höcke ab.

Demonstrationen gegen die AfD

Erfurt, einen Tag später. Gewerkschaften, Umweltschutzgruppen und Demokratiebündnisse haben zu einer Demonstration "gegen rechts" aufgerufen. Einige Tausend Menschen ziehen vom Erfurter Anger hoch zum Landtag. Sie rufen nach einem AfD-Verbot. Eine ältere Frau hält ein Pappschild hoch: "Wer AfD wählt, gefährdet die Demokratie."

Parallel finden in Leipzig und Dresden, aber auch in Zittau, Sonneberg oder Meiningen Proteste statt. Im Januar hatten die Correctiv-Recherchen Zehntausende auf die Straßen getrieben. Die Mobilisierung hat seitdem zahlenmäßig abgenommen, aber sie hat angehalten.

Jassin Baum vom Aktivismus-Netzwerk "Campact", glaubt, dass man der AfD noch "Prozentpunkte stehlen" könnte. "Wir haben jetzt noch eine Woche Zeit!", ruft Baum von der Bühne vorm Landtag. In den jüngsten Umfragen stand die Partei durchweg stabil bei 30 Prozent. Und da war der Messeranschlag von Solingen noch nicht geschehen.

Baum und andere wollen verhindern, dass die AfD mehr als ein Drittel aller Abgeordneten stellt. Mit einer solchen Sperrminorität könnte sie wichtige Entscheidungen wie die Besetzung des Landesverfassungsgerichts oder - wenn nötig - eine Auflösung des Landtags blockieren.

Unter den Demonstranten ist Jens-Christian Wagner. Der Stiftungsleiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora hat gerade einen Brief an 365.000 Thüringer Haushalte verschickt. Darin warnt Wagner, Höcke versuche, "die nationalsozialistische Sprache wieder salonfähig zu machen", und bittet darum, "demokratische Parteien" zu wählen. Finanziert wurde die Aktion von Campact. Wagner ist seit der Aktion mehrfach bedroht worden, teils unter Klarnamen.

In Thüringen herrsche "eine ganz fatalistische, auch unzufriedene Stimmung", sagt Wagner im Gespräch. Auch wenn die tatsächliche Lage eine andere sei. Sollte die AfD nun eine Sperrminorität oder gar Einfluss auf eine Regierung erhalten, wäre das eine Katastrophe für alle Thüringer mit Migrationshintergrund, mit Behinderung, mit anderen Meinungen, so Wagner. "Die müssen sich wirklich Sorgen machen, ob sie in Thüringen so noch leben können."

Viele Kampagnen, viel Frust

Im Umgang mit der AfD fahren alle Parteien eigene Strategien. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt hat früh versucht, durch ein eigenes TV-Duell mit Höcke den Wahlkampf zu einem Zweikampf zu stilisieren.

In den Tagen vor der Wahl nennt Voigt Höcke etwa "eine Gefahr nicht nur für das Image, sondern auch für die Substanz Thüringens". Was er damit meint: Die AfD würde dafür sorgen, dass vor allem Fachkräfte nicht mehr nach Thüringen kämen oder wegzögen.

Den Demonstrationen, die vor allem SPD, Grüne und Linkspartei unterstützen, bleiben CDUler in Thüringen und Sachsen eher fern. Genau wie das Bündnis Sahra Wagenknecht, das allerdings bei jeder Gelegenheit betont, dass Frustrierte nun eben eine "seriöse Alternative" wählen könnten.

Und so dreht sich auch der Wahlkampfendspurt in Thüringen, aber auch Sachsen um die AfD. Die CDU ruft in beiden Ländern dazu auf, CDU zu wählen, damit wenigstens eine Partei noch vor ihr landet. SPD, Grüne und in Sachsen auch die Linke bitten um Stimmen, damit ihre jeweilige Partei sicher im Landtag ist - ansonsten drohe die AfD-Sperrminorität. Taktisches Wählen soll das verhindern.

Bei der Demonstration in Erfurt steht Katja Maurer, Landtagsabgeordnete der Linken, am Rand. Die Leute hätten Angst, sagt Maurer. Sie wüssten nicht genau, was mit einer starken AfD passiert. "Aber sie wissen, dass irgendwas passiert."

Die verschiedenen Kampagnen hätten da vor allem Verwirrung gestiftet, so Maurer. Dabei sei es doch viel einfacher: Je mehr Menschen "demokratisch" wählten, desto kleiner werde der Balken der AfD. "Über diese Kraft sind sich viele noch nicht bewusst."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 27. August 2024 um 08:05 Uhr.