Thüringen und Brandenburg Zweimal Neustart mit Ballast
Thüringen und Brandenburg haben neue Regierungen. Ruhe dürfte trotzdem nicht so schnell einkehren: Die Mehrheiten bleiben kompliziert. Und der neue Koalitionspartner BSW drängt auf größere Bühnen.
Kaum ist Mario Voigt als Thüringens Ministerpräsident vereidigt, da erhält er eine Mahnung. "Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung", steht in einem kleinen Rahmen, den Linksfraktionschef Christian Schaft ihm überreicht. Es ist der Schwur der Überlebenden von Buchenwald. Hüte dich vor der AfD, heißt das.
Zuvor war Voigts Wahl trotz aller Unkenrufe glatt durchgegangen. 51 Stimmen von 88 bekommt der CDU-Politiker an diesem Donnerstagvormittag gleich im ersten Versuch - sieben mehr als die Koalition aus CDU, Bündnis Sahra Wagenknecht und SPD hat. Die oppositionelle Linke hatte die Wahl intern freigegeben und Voigt nun offensichtlich gestützt.
Und weil die Koalition eben keine eigene Mehrheit hat, wird sie auch in Zukunft Unterstützung aus anderen Fraktionen brauchen: der Linken oder der AfD. Deshalb die Mahnung aus der Linken. Die Koalition hat vereinbart, die Opposition frühzeitig in jedes Gesetzesvorhaben einzubinden. Thüringen bleibt ein politisches Experimentierfeld.
Thüringen: Voigts Glück
Der Laborleiter heißt Mario Voigt. In seiner ersten Rede verspricht der Ministerpräsident sichere Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und eine Migrationspolitik der "Menschlichkeit und Klarheit". Den Weg hierhin hat sich Voigt selbst geebnet - mit Geschick und mit Glück. Die Neuwahlen im Bund haben ihn letztendlich gerettet.
Der Druck, unter dem die Parteien in Berlin nun stehen, macht es möglich, dass das BSW sich in Thüringen mit kleinen Geländegewinnen in der "Friedensfrage" zufrieden gab. Und in der CDU erstickte die Kritik an einer Zusammenarbeit mit der Partei einer radikalen Sahra Wagenknecht.
Dem Erfurter Labor ist zudem ein Papier entsprungen, das die Koalitionsparteien mit der Linken zusammenschweißt, ohne dass diese Teil des Papiers wäre. Denn ihre Stimmen gab es für Voigt nicht umsonst.
In einem sogenannten parlamentarischen Pflichtenheft erklären CDU, BSW und SPD also, die Linke dauerhaft gesondert einbinden zu wollen. Die Linke, die zunächst auf eine Vereinbarung bestanden hatte, ließ sich darauf ein, um der AfD die Möglichkeit zu nehmen, die Ministerpräsidentenwahl zu sabotieren. Es ist wie eine Unterschrift mit Zaubertinte. Den eigenen Unvereinbarkeitsbeschluss, der eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschließt, versucht die Thüringer CDU damit schon zum zweiten Mal kreativ zu umgehen - mit stiller Billigung aus Berlin.
AfD wird noch eine Rolle spielen
Wie lange das hält, hängt von einem weiteren Kunststück ab, das die Koalition noch vollbringen muss: eine Art Verabredung mit der in Teilen rechtsextremen AfD. Die stellt im Landtag mehr als ein Drittel aller Abgeordneten. Ganz ohne sie geht es eben nicht. Das haben die Wähler so entschieden.
Dank ihrer Sperrminorität kann die AfD wichtige Entscheidungen blockieren. Das ist längst konkret geworden. Die Wahlausschüsse für Richter und Staatsanwälte, die mit Zwei-Drittel-Mehrheit besetzt werden müssen, sind zu besetzen. Für SPD und Linke ist die AfD-Beteiligung aber ein No-Go.
Einer, der um die Schwierigkeit weiß, gibt Mario Voigt noch einen selbstbewussten Gruß mit. Bodo Ramelow, bis eben noch Ministerpräsident und bald wohl auf den Weg in den Bundestag, sagt, jeder Nachfolger müsse sich "daran messen lassen", wie er, Ramelow, das Land jahrelang mit einer rot-rot-grünen Minderheitskoalition geführt habe.
In der Bevölkerung startet die neue Koalition mit Skepsis. Einer Umfrage zufolge, die die Thüringer Allgemeine in Auftrag gegeben hat, befürwortet nur etwa jeder Dritte das neue Bündnis. Das hat die Brombeere mit ihren Brandenburger Kollegen gemein. Hier zeigt eine Umfrage des rbb ein ähnliches Bild. Und auch hier stellt sich jetzt die Frage, ob die Regierung dauerhaft halten kann.
Brandenburg: Woidke und das BSW
Für Dietmar Woidke, Brandenburgs alten und neuen Ministerpräsidenten, ist der Start in seine vierte Amtszeit beschwerlich verlaufen. Er muss am Mittwoch in Potsdam durch zwei Wahlgänge. SPD und BSW haben zusammen 46 von 88 Sitzen, 45 sind nötig. Doch zunächst bekommt Woidke nur 43 Ja-Stimmen. Im zweiten sind es dann 50 - mindestens vier Oppositionsabgeordnete sind also plötzlich dazugekommen.
Während sich AfD und CDU einander bezichtigen, für Woidke gestimmt zu haben, muss der sich fragen, wie das mit dem BSW fünf Jahre lang gut gehen soll.
Zumindest geben sich die Neuen pragmatisch. Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach sagt, um verändern zu können, brauche es die SPD. Als Dietmar Woidke zum ersten Wahlgang aufbrach, hat Crumbach ihm einen Klaps mitgegeben. "Freundschaftlich Mut zusprechen", nennt er das. Die Arbeitsbeziehung zwischen beiden scheint vorerst zu funktionieren.
Die Flexibilität, die Woidke im Umgang mit dem BSW beweist, beweist dieses wiederum im Umgang mit dem eigenen Abgeordneten Sven Hornauf. Hornauf hat gegen Woidke gestimmt. Er kritisiert die Unterstützung der Bundeswehr im Koalitionsvertrag und hält sich offen, für einzelne AfD-Anträge zu stimmen. Das sagt Hornauf offen auf dem Landtagsflur, während andere BSW-Vertreter erklären, er solle weiterhin in der Fraktion bleiben. Auf dem offiziellen Fraktionsfoto zur Ministerpräsidentenwahl fehlt Hornauf dennoch.
Woidkes Nachfolgerdebatte
Dietmar Woidke wird in fünf Jahren 68 sein. "Opa muss arbeiten", rief er seinem Enkel im Landtag zu. Weil Woidke seinen Verbleib als Ministerpräsident an das Wahlergebnis geknüpft hatte, läuft die Nachfolgedebatte schon seit Sommer. Katrin Lange, die vom Finanz- ins Innenministerium wechselt, Wissenschaftsministerin Manja Schüle und Neu-Wirtschaftsminister Daniel Keller sind nun miteinander im Rennen.
Doch Keller ist Woidkes erstes Problem. Der 38-Jährige stieg binnen fünf Jahren vom neuen Abgeordneten zum Parlamentarischen Geschäftsführer, Fraktionsvorsitzenden und nun Minister auf. Am Mittwoch ist Keller mit einem Bestätigungsschreiben der Fernuni Hagen in der Sakkotasche unterwegs. Denn wie die Bild-Zeitung berichtet, besitzt er seinen Bachelor, den Keller öffentlich führt, gar nicht. Es gibt eine Abschlussarbeit, die Urkunde allerdings fehlt. Möglicherweise hat Keller sich sogar strafbar gemacht. Er bestreitet ein Fehlverhalten.
Verhalten im Bundesrat
Während der Fall die Landespolitik weiter beschäftigen wird, drängt das BSW auf größere Bühnen. Die Partei ist angetreten, um die Außen- und Sicherheitspolitik im Bund zu verändern. Die Koalitionsverträge müssten an dieser Stelle "mit Leben gefüllt" werden, heißt es. Sahra Wagenknecht erwartet entsprechende Positionierungen von ihren neuen Ministern.
Eine Möglichkeit dazu bietet sich schon bald. Immer rund um den Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine erklärt sich der Bundesrat solidarisch mit der Ukraine. Dabei bekannten sich die Länder bislang auch zu Waffenhilfen. Zuletzt einstimmig.
Das BSW ist gegen diese Hilfen und beruft sich auf die Vertragstexte. Thüringen und Brandenburg könnten diesen Konsens aufkündigen - aus Überzeugung oder aus Uneinigkeit. Die Solidaritätsnote würden sie so nicht aufhalten, aber die Aufmerksamkeit hätten beiden Ländern wieder für sich. Für CDU und SPD wäre es der nächste Test.