Ein Teilnehmer einer Demo trägt ein Schild mit Aufschrift "München ist bunt!".
Kontext

Druck auf Vereine wächst Gemeinnützige Organisationen im Fadenkreuz der AfD

Stand: 18.06.2024 13:03 Uhr

In mehreren Bundesländern gehen AfD-Abgeordnete offenbar gezielt gegen gemeinnützige Vereine vor, mit dem Ziel, dass diesen der Status aberkannt wird. Möglich macht das eine undurchsichtige Gesetzeslage.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"So wie die linken Zecken unsere Arbeit behindern, wo immer sie nur können, so werden auch wir AfD-Abgeordnete in Bund und Land nicht müde werden, deren Verfehlungen anzuprangern" - mit diesen Worten verkündete der damalige bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Uli Henkel im Januar 2023 in einem YouTube-Video, dass er die Gemeinnützigkeit des Vereins "München ist bunt!" bei den zuständigen Finanzbehörden angefochten habe. Als Beweis habe er mehrere Hundert Dokumente an den zuständigen Leiter der Finanzbehörde in München übergeben.

Der Vorwurf des AfD-Politikers: Der Verein "München ist bunt!" richte sich mit seinem Engagement fast ausschließlich gegen die AfD und ihre Aktivitäten. Gemeinnützige Körperschaften sind jedoch zu Parteineutralität verpflichtet. Henkel forderte deshalb von der Finanzbehörde, dem Verein den Status der Gemeinnützigkeit abzuerkennen.

"Bekannte Strategie der AfD"

Den Verein "München ist bunt!" gibt es bereits seit dem Jahr 2010. Der Verein verstehe sich als zivilgesellschaftliche Initiative, die sich für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die Förderung einer eigenverantwortlichen und solidarischen Bürgergesellschaft auf lokaler Ebene einsetze, sagt die Vorsitzende des Vereins, Micky Wenngatz. "Dazu betreiben wir intensive Informations- und Bildungsarbeit, bieten eine Plattform zur Vernetzung gleichgesinnter Organisationen und schaffen Öffentlichkeit zum Beispiel durch die Organisation von Kulturfesten und Demonstrationen."

Die Arbeit des Vereins gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus mache ihn für die AfD zur Zielscheibe, sagt Wenngatz. Daher habe es sie nicht gewundert, dass die AfD gegen den Verein vorgehe. "Es ist eine mittlerweile bekannte Strategie der AfD, missliebige oder sie kritisierende Organisationen mit parlamentarischen Anfragen, 'Anzeigen' beim Finanzamt und ähnlichem zu bearbeiten und unter Druck zu setzen", sagt sie.

Das Finanzamt habe den Verein zunächst schriftlich über die Vorwürfe des AfD-Abgeordneten Henkel und die daraus resultierende Prüfung der Gemeinnützigkeit informiert.

Ein Sprecher der AfD in Bayern teilte auf Anfrage mit, dass die AfD gemeinnütziges Engagement sehr begrüße, aber dafür auch "bestimmte Voraussetzungen" gegeben sein müssten. "Wenn Vereine Steuergeld zweckentfremden und ihre Vereinsziele missachten, um gegen eine demokratische Oppositionspartei zu agitieren, ist dies nicht mehr der Fall." In manchen Fällen sei es daher nötig zu überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit tatsächlich gegeben seien. Beschwerden beim Finanzamt habe man nicht eingereicht.

Kleine Anfragen in den Landesparlamenten

Das Vorgehen der AfD gegen "München ist bunt!" ist kein Einzelfall, sagt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand bei der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung". In mehreren Bundesländern versuche die AfD gezielt, die Gemeinnützigkeit von ihr unliebsamen Vereinen und Organisationen infrage zustellen - beispielsweise durch Kleine und Große Anfragen in den Landesparlamenten. "Da entstehen regelrechte Listen feindlicher Vereine", so Diefenbach-Trommer. Die AfD wolle erreichen, dass demokratiefördernde Aktivitäten ausblieben.

In den vergangenen Jahren gab es eine ganze Reihe von solchen Anfragen, beispielsweise in Bayern bezüglich Greenpeace und dem Bayerischen Flüchtlingsrat, in Berlin zur Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten oder in Sachsen-Anhalt zum Verein "Miteinander".

Zudem gibt es mehrere Berichte von Organisationen, gegen die beim zuständigen Finanzamt Beschwerden eingereicht wurden. Beim hessischen Finanzamt in Fulda wurden beispielsweise nach Angaben des Vereins "Fulda stellt sich Quer" mehr als 30 Anzeigen gegen den Verein eingereicht, der schon seit Jahren im Fokus der örtlichen AfD steht. In Sachsen ging die AfD unter anderem gegen die staatlichen Förderungen des Vereins "Treibhaus" in Döbeln vor, in Sachsen-Anhalt gegen die Gemeinnützigkeit des Vereins "Miteinander". Auf eine Anfrage zu dem Vorgehen in Bund und Ländern reagierte die AfD nicht.

"Anzeigen wegen vermeintlichen Verstößen gegen das Gemeinnützigkeitsrecht muss das Finanzamt in aller Regel nicht aktiv nachgehen", sagt Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). "Hinweise auf gemeinnützigkeitsschädliches Verhalten können aber bei der regelmäßigen Überprüfung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt eine Rolle spielen."

Ob die Zahl der Beschwerden bei den Finanzämtern über gemeinnützige Vereine in den vergangenen Jahren zugenommen hat, lässt sich nicht überprüfen. Eine Anfrage an die Finanzministerien aller Bundesländer ergab, dass diese Anzahl der Beschwerden nicht erfasst werden. Einzig aus der Antwort einer Kleinen Anfrage des niedersächsischen Landesregierung geht hervor, dass in Niedersachsen die Zahl der Anzeigen von vier im Jahr 2010 auf 22 im Jahr 2019 gestiegen ist. In zwei Fällen folgte im Zeitraum 2015 bis 2019 auf die Anzeige der Entzug der Gemeinnützigkeit.

Gemeinnützigkeit bringt viele Vorteile

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das zuständige Finanzamt kann weitreichende Folgen für einen Verein oder eine Organisation haben. Denn mit der Gemeinnützigkeit sind einige Privilegien verbunden: So können Spenderinnen und Spender ihre Zuwendungen teilweise von der Steuer absetzen, es müssen zudem keine Körperschafts- und Gewerbesteuern gezahlt werden. Auch für viele Fördermittel ist die Gemeinnützigkeit eines Vereins oder einer Organisation eine Voraussetzung.

Die zuständigen Finanzämter entscheiden, ob ein Verein als gemeinnützig anerkannt wird. Alle drei Jahre wird geprüft, ob ein Verein die Kriterien dafür erfüllt. Entscheidet das Finanzamt, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, so geschieht das rückwirkend. Das bedeutet, dass für die Vereine in dem Fall unter anderem eine hohe Steuernachzahlung droht. Da die Gemeinnützigkeit die Bildung finanzieller Rücklagen eines Vereins einschränkt, kann das existentielle Folgen haben.

"Schon das Anzweifeln der Gemeinnützigkeit beim Finanzamt hat einen Effekt", sagt Diefenbach-Trommer. "Denn so ein Verfahren bedeutet viel Arbeit und auch Kosten." Das könne schon eine große bundesweite Organisation mit Rücklagen und Justiziaren ausbremsen. "Bei einem kleinen Verein kann das den gesamten Vereinsbetrieb zum Erliegen bringen."

"Gemeinnützigkeitsrecht ist veraltet"

Dass viele Vereine überhaupt um ihre Gemeinnützigkeit bangen müssen, hängt vor allem an der Gesetzgebung, sagt Selinger. "Das geltende Gemeinnützigkeitsrecht ist veraltet und hinkt den Realitäten der Zivilgesellschaft um Jahrzehnte hinterher."

Im Katalog der gemeinnützigen Zwecke fehlten viele gesellschaftlich relevante Anliegen wie das Engagement für Demokratie und Menschenrechte oder für soziale Gerechtigkeit. "Zudem ist nach der Gesetzeslage nicht klar, ob Vereine ihre gemeinnützigen Ziele auch mit politischen Mitteln verfolgen dürfen. Das erschwert das Engagement für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit."

Spätestens seit dem Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) gegen die Nichtregierungsorganisation Attac herrsche große Unsicherheit bei den gemeinnützigen Vereinen, sagt Selinger. Im Jahr 2014 hatte das Frankfurter Finanzamt Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt, da die Organisation zu politisch sei. Das Hessische Finanzgericht gab zwei Jahre später jedoch einer Klage von Attac statt und bestätigte die Gemeinnützigkeit. Dieses Urteil hob der Bundesfinanzhof 2019 allerdings wieder auf.

"Die Attac-Entscheidung des Bundesfinanzhofs hat das Problem, dass viele gesellschaftlich relevante Themen nicht als gemeinnützige Zwecke anerkannt sind, drastisch verschärft", sagt Selinger. "Viele Vereine hatten sich bis dahin auf den Zweck der 'politischen Bildung' berufen, wenn eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht unter einen der bestehenden Zwecke gefasst werden konnte." Dem habe der Bundesfinanzhof eine Absage erteilt und geurteilt, dass die Teilhabe an der öffentlichen Willensbildung unter dem Zweck "politische Bildung" sich auf rein bildungspolitische Fragen beschränken müsse.

Auf dieses Attac-Urteil verweist die AfD oft auch in ihren Anfragen zu den gemeinnützigen Vereinen. Zudem forderte die AfD-Fraktion im Bundestag in einem Antrag mit dem Titel "Keine Gemeinnützigkeit für politische Agitation" die Bundesregierung auf, "ab sofort die Steuerverwaltungen von Bund und Ländern anzuweisen in allen in Betracht kommenden Fällen dem Tenor des BFH zu folgen".

Verunsicherung bei gemeinnützigen Vereinen

Die unsichere Rechtslage und der Druck vonseiten der AfD führe zu einer großen Verunsicherung bei den gemeinnützigen Vereinen, sagt Diefenbach-Trommer.

Im Februar 2022 hat das Finanzministerium einen Anwendungserlass herausgegeben, an den sich die Finanzämter der Länder halten sollen. Dort heißt es, dass sich Vereine "außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen" äußern dürfen. Allerdings dürfe Tagespolitik nicht die Hauptbeschäftigung sein und ein Verein müsse parteipolitisch neutral auftreten.

"Diese Klarstellung ist wichtig, weil Vereine sich zumindest vereinzelt über den Satzungszweck hinaus betätigen können, ohne ihre Gemeinnützigkeit auf Spiel zu setzen, etwa ein Sportverein, der sich zu rassistischen Anschlägen äußert", sagt Selinger. Die Formulierung "vereinzelt" werfe jedoch weiterhin Fragen auf, weil unklar sei, wann die Grenze "vereinzelter" Stellungnahmen überschritten sei und führe damit weiterhin zu großen praktischen Unsicherheiten.

Zudem gebe es einige prominente Beispiele aus den vergangenen Jahren, die die Unsicherheit weiter gefördert hätten. So wurden neben Attac unter anderem auch der Kampagnenplattform Campact die Gemeinnützigkeit aberkannt, ebenso der Petitionsplattform Change.org. Kürzlich traf es auch das Faktencheck-Team vom Volksverpetzer.

Gemeinnützigkeitsrecht soll überarbeitet werden

Eigentlich hatte die Ampelkoalition angekündigt, das Gemeinnützigkeitsrecht zu überarbeiten. Passiert ist bislang allerdings nicht viel, bemängeln die Vereine. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums teilt auf Anfrage mit, dass sich die Bundesregierung derzeit noch in Erörterungen befinde, "welche konkreten Regelungen zur Erreichung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele notwendig sind".

Bereits nach der geltenden Rechtslage sei es für gemeinnützige Organisationen möglich, für Demonstrationen gegen Rechtsextremismus aufzurufen.

"München ist bunt!" weiter gemeinnützig

Der Verein "München ist bunt!" gilt weiterhin als gemeinnützig. Auch weil das Finanzamt München sehr kooperativ war und sich der Verein juristischen Beistand geholt hatte, sagt Wenngatz. "In der Folge haben wir unsere Satzung ergänzt, insbesondere haben wir die gemeinnützigen Zwecke weiter differenziert."

Dennoch habe das ganze Verfahren deutliche Spuren hinterlassen, sagt Wenngatz. Der ganze Prozess habe fast ein Jahr gedauert. "Und auch heute denkt man eher ein drittes Mal darüber nach, wie man Texte und Aktionen formuliert."

Die momentane Situation führe dazu, dass sich viele Vereine aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu gesellschaftlich wichtigen Themen nicht mehr äußern. "Die AfD wird ihre Strategie, Vereine und Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, anzugreifen, fortsetzen. Ein solches Damoklesschwert beeinträchtigt das Denken und Handeln der Vereine und bindet enorme ehrenamtliche Ressourcen, die im Kampf gegen Rechtsextremismus besser eingesetzt wären."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 24. Juni 2024 um 09:10 Uhr.