Christian Lindner, Martin Hagen und Stefan Naas
analyse

FDP nach den Landtagswahlen Ändern müssen sich nur die anderen

Stand: 10.10.2023 11:55 Uhr

In Bayern an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, in Hessen mit Ach und Krach wieder im Landtag: Die FDP steht nicht gut da. Doch Selbstkritik fällt den Liberalen schwer.

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Wer die Wahlnachlesen der FDP in den vergangenen zwei Jahren verfolgt, erlebt gleich mehrmals im Jahr ein Déjà-vu. Seit ihrem Eintritt in die Ampelkoalition verliert die FDP eine Landtagswahl nach der anderen, macht aber jedes Mal weiter wie zuvor. Zwar ruft Parteichef Christian Lindner regelmäßig dazu auf, die Regierungsarbeit kritisch zu überprüfen, doch er meint damit letztlich nicht sich selbst, sondern die Koalitionspartner SPD und Grüne.

Eigentlich - davon gibt sich Lindner bei der Pressekonferenz am Tag nach den Wahlen in Bayern und Hessen überzeugt - hätten die Bürger ja ganz im Sinn der FDP gestimmt. Es gehe den Menschen um die Stärkung der Wirtschaft, um eine Eindämmung der Migration, um eine Klimapolitik mit Augenmaß und um weniger Verbote und Bürokratie.

Für all das stehe die FDP. Nur leider werde die Partei in Mithaftung für das schlechte Image der Ampelkoalition genommen. Und ihr selbst gelinge es in der Ampelkoalition nicht, ihre Positionen sichtbar und glaubwürdig darzustellen. Lindner folgert: "Für die Koalition in Berlin insgesamt ist der gestrige Wahlsonntag jetzt ein Arbeitsauftrag." Schließlich hätten alle drei Koalitionspartner verloren.

Immer mehr Abgeordnete fremdeln mit der Ampel

Das ist natürlich richtig: Nach Prozentpunkten gerechnet mussten die Grünen die stärksten Verluste hinnehmen. Die SPD wiederum sackte in Bayern und Hessen auf historisch schlechte Ergebnisse ab. Doch für die FDP kam dazu, dass sie in Bayern aus dem Landtag geflogen ist und auch in Hessen lange um den Wiedereinzug in das Landesparlament bangen musste.

Zuletzt hatte es eine ähnliche Zitterpartie in Bremen gegeben (5,1 Prozent), aber auch das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde im Saarland (4,8 Prozent) und in Niedersachsen (4,7 Prozent) im vergangenen Jahr sowie in Berlin (4,6 Prozent) in diesem Jahr.

Die Frage ist nur: Wie lange kann sich die FDP den Niedergang in den Bundesländern leisten? Wann ist womöglich der Punkt gekommen, an dem Lindner wie 2017 - damals bei seinem Ausstieg aus den Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und Grünen - sagen müsste: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren"?

Schließlich sprechen interne Kritiker der Ampelkoalition wie der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler schon lange davon, dass die Ampel wie ein Mühlstein um den Hals der Partei hänge und diese immer weiter in den Abgrund ziehe. Nicht nur FDP-Wähler "fremdeln" mit der Ampel, wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki immer wieder feststellt, sondern auch mehr und mehr Abgeordnete.

Teile der Partei fordern seit langem "FDP pur"

Erst kürzlich machte sich der innerparteiliche Frust Luft. Bei der internen Neuwahl des FDP-Fraktionsvorstands zur Halbzeit der Legislaturperiode wurden etliche Mitglieder mit deutlich schlechteren Ergebnissen gewählt als vor zwei Jahren.

Während Fraktionschef Christian Dürr mit knapp 93 Prozent bestätigt wurde, kamen Abgeordnete, die als stärker "Ampel-freundlich" gelten, nur auf Ergebnisse zwischen 60 und 65 Prozent. Fraktions-Vize Lukas Köhler wurde sogar von Schäffler herausgefordert und musste in einen zweiten Wahlgang.

"FDP pur" fordern Teile der Partei daher seit langem. Beim Parteitag im April erreichten Schäffler und Co. mit ihren kritischen Anträgen, dass sich die FDP beim Heizungsgesetz öffentlich viel kritischer positionierte als zuvor in den internen Verhandlungen. Auch beim Thema Migration wird deutlich, dass sich die Partei nicht auf Diskussionen hinter den Kulissen einlassen wird, wie das SPD und vor allem Grüne gerne hätten.

Zu denjenigen, die für ein eigenständigeres Profil in der Ampel stehen, gehört FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der die Grünen wegen ihrer Migrationspolitik vor kurzem als "Sicherheitsrisiko für unser Land" bezeichnet hatte. Er forderte nach den Landtagswahlen am Sonntag, die Ampel müsse bei wichtigen Themen wie Wirtschaft und Migration "ein gemeinsames Verständnis entwickeln". Das sei bislang nicht der Fall gewesen: "Da müssen wir uns in der Tat noch einmal zusammensetzen und überlegen, was wir gemeinsam als Koalition erreichen können oder ob wir überhaupt in der Lage sind, diese Ziele zu erreichen."

Für die FDP steht viel auf dem Spiel

Allerdings: Welche konkreten Konsequenzen das für das weitere Miteinander der Ampel hat, ob sie sich auch ein vorzeitiges Scheitern der Ampelkoalition vorstellen können - das lassen Kritiker wie Djir-Sarai, Kubicki oder Schäffler offen.

Ob das sprichwörtliche "Ende mit Schrecken" für die Partei womöglich besser zu verkraften wäre als ein "Schrecken ohne Ende"? Parteichef Lindner widerspricht klar. Sein Argument: Die FDP sei eine "staatstragende Partei" und setze durchaus inhaltliche Akzente in der Koalition - sogar stärker als es das politische Gewicht erwarten lasse.

Was er nicht sagt, was aber womöglich hinter verschlossenen Türen eine Rolle spielt: Für die Partei stünde bei einem Auseinanderbrechen der Koalition viel auf dem Spiel. Wahrscheinlich zu viel. Die FDP müsste in diesem Fall ihre Ministerien aufgeben, insbesondere das Finanzministerium, das Lindner bereits vor der Bundestagswahl anvisiert hatte und in dem er aus FDP-Sicht auch einiges erreicht hat.

Belastetes Miteinander in der Ampel

Für Maßnahmen wie die Abmilderung der Kalten Progression sowie das Wachstumsförderungsgesetz wird Lindner insbesondere von Wirtschaftsvertretern gelobt. So sagte die Chefin des württembergischen Maschinenbauers Trumpf, Nicola Leibinger-Kammüller, auf die Frage der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", ob die Regierung der Wirtschaft zuhöre: "Auf Bundesebene zumindest eine Partei, die FDP. Ich bin jeden einzelnen Tag froh, dass die FDP in dieser Regierung ist."

Allerdings: Ob die FDP dafür gewählt wird, dass sie aus Sicht vieler bürgerlicher Wähler Schlimmeres verhindert, ist fraglich. Sollte es also zu Neuwahlen kommen, müsste die Partei wie bei vielen Landtagswahlen um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.

Und somit bleibt die FDP im Ampel-Dilemma: Sie ist Teil einer Regierung, in der sie sich bei vielen Themen als bürgerliches Korrektiv einer "linken Regierung" sieht. Das muss sie um ihres Profils willen auch immer wieder betonen, was freilich das Miteinander in der Ampel belastet. Und damit auch das Image der Koalition, deren Teil die FDP ist.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Bayern1 am 09. Oktober 2023 um 18:00 Uhr.