Bundesparteitag der Linken Wissler ruft zu Neuanfang auf
Die Linkspartei steckt in einer tiefen Krise. Zum Auftakt des Bundesparteitags beschwor die angeschlagene Vorsitzende Wissler deshalb einen Neuanfang. Das Engagement für die Menschen müsse wieder in den Fokus rücken.
Linken-Chefin Janine Wissler hat die Partei angesichts ihres desaströsen Zustandes zu einem grundlegenden Neuanfang aufgerufen. "Unsere Partei, die wir vor 15 Jahren gegründet haben, befindet sich in einer tiefen Krise", sagte Wissler in einer kämpferischen und umjubelten Rede zum Auftakt des Bundesparteitags in Erfurt. "Wir haben Niederlagen bei der Bundestagswahl und den letzten Landtagswahlen erlebt, zu viele Mitglieder haben die Partei verlassen." Es komme nun darauf an, die Partei zu verändern.
"Provozieren, polarisieren und zuspitzen"
"Zur Wahrheit gehört auch, dass wir in den letzten Jahren häufiger verloren haben, als es zu verschmerzen gewesen wäre", sagte Wissler vor den Delegierten. Die Partei habe immer wieder den Eindruck hinterlassen, als wären ihr "die Kämpfe untereinander" wichtiger als das Engagement für die Menschen. "Das müssen wir ändern." Die Partei werde als zerstritten wahrgenommen und müsse sich fragen, warum sie die Menschen nicht mehr erreiche.
Die Linke dürfe keine widersprüchlichen Signale senden. "Linke Politik muss provozieren, polarisieren und zuspitzen, immer entlang von oben und unten und niemals von unten nach noch weiter unten", betonte Wissler. "Wir sollten nicht die eigene Wähler- und Mitgliedschaft polarisieren, sondern zwischen uns und dem politischen Gegner."
Forderung nach "größtem Investitionsprogramm aller Zeiten"
Mit Blick auf die aktuelle Politik der Bundesregierung sagte Wissler, die Ampel-Koalition lasse "viel Platz" für eine linke Politik. Die Linke müsse ihre Rolle "als einzige sozialistische Gerechtigkeitspartei" finden. "Lasst uns bitte um diese Partei kämpfen, und zwar mit aller Kraft", appellierte Wissler an die Delegierten. Sie habe seit ihrem Amtsantritt vor 15 Monaten viele Mitglieder getroffen, "die sich ein Bein ausreißen" für die Linke. "Ich will dass diese Mitglieder wieder stolz sein können auf ihre Partei, wenn sie morgens in die Zeitung schauen."
Wissler plädierte für einen Einsatz ihrer Partei für ärmere Menschen und eine konsequente Klimawende mit sozialer Absicherung. "Die drohende Klimakatastrophe erfordert ein demokratisches Eingreifen in die Wirtschaft", sagte Wissler. "Wir brauchen das größte Investitionsprogramm aller Zeiten." Das solle anstelle des 100-Milliarden-Programms für die Bundeswehr treten, das die Linke ablehnt.
Wissler kämpft um Wiederwahl
Die Linke wählt in Erfurt nach den jüngsten Wahlschlappen und der Sexismus-Affäre am Samstag einen neuen Vorstand. Wissler, die in der Sexismus-Affäre unter Druck geraten ist, bewirbt sich erneut für den Vorsitz. Ihre einstige Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow war im April zurückgetreten und hatte dies unter anderem mit der Affäre begründet.
Wissler sieht sich innerparteilicher Kritik ausgesetzt. Die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat einen personellen "Neuanfang" verlangt. "Die letzten Monate waren alles andere als leicht und einfach", sagte Wissler - das gelte für die Partei und auch für sie selbst. Sie wolle nicht behaupten, dass sie keine Fehler gemacht habe, jedoch sei alles, was sie getan habe, "in bester Absicht" geschehen. Bei den Frauen, die in der Partei "Sexismus oder sogar Übergriffe" erfahren und zugleich kaum Unterstützung erhalten hätten, wolle sie sich "aufrichtig entschuldigen".
Streit über Russland-Antrag erwartet
Kontroversen werden auf dem Parteitag über den Krieg in der Ukraine erwartet. In einem Leitantrag des Vorstands wird Russland eine "imperialistische Politik" vorgeworfen und Solidarität mit der Ukraine verlangt. Wagenknecht, die eine Mitverantwortung des Westens an dem Krieg sieht, hat einen Änderungsantrag vorgelegt.
"Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen", sagte Wissler dazu in ihrer Rede. Die Verantwortung trage die russische Führung um Präsident Waldimir Putin, der "imperiale und nationalistische Ansprüche" verfolge. Wissler bekräftigte zugleich, dass die Linke Waffenlieferungen an die Ukraine ablehne. Gezielte Sanktionen gegen Russland seien richtig, nicht aber solche, die "zur Verarmung der Mehrheit der Bevölkerung" in Russland führen könnten.