Flüchtlinge mit Gepäck am Eingang zur LAB Bramsche, dem Ankunftszentrum der Landesausnahmebehörde Bramsche-Hesepe in Niedersachsen.
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Zuwanderung nach Deutschland Wie geht es weiter in der Migrationspolitik?

Stand: 25.09.2023 14:54 Uhr

Obergrenze, Kampf gegen Schleuser, Grenzkontrollen - im Streit um den richtigen Kurs in der Migrationspolitik werden immer neue Forderungen erhoben. Nicht alle führen weiter. Ein Überblick.

Warum kocht die Debatte in Deutschland wieder hoch?

Seit einigen Monaten kommen wieder deutlich mehr Asylsuchende nach Deutschland. In den ersten acht Monaten dieses Jahres haben 204.461 Menschen hierzulande erstmals einen Asylantrag gestellt. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 waren es nur wenig mehr - nämlich 217.774 Erstanträge.

Da seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch mehr als eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge in Deutschland aufgenommen wurden, fehlt es vielerorts an Wohnraum. Engpässe sind teilweise auch bei der Gesundheitsversorgung sowie in Schulen und Kitas spürbar. Außerdem leisten an manchen Orten Anwohnerinnen und Anwohner Widerstand dagegen, dass eine größere Zahl von Asylsuchenden in ihrer Nachbarschaft angesiedelt werden soll.

Gibt es eine schnelle Lösung?

Eher nicht. Die Hauptbotschaft in der aktuellen Debatte sollte sein, dass eine hundertprozentige Steuerung von Migration nicht funktionieren könne, sagte der Migrationsforscher Hannes Schammann im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. "Diesen Mut, sich das einzugestehen, sollte man haben", so Schammann.

Zur Ehrlichkeit gehöre, dass es keine einfachen Lösungen gebe, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck im Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND). "Aber um das Recht auf Asyl zu schützen, müssen wir die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen - auch, wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen", so der Grünen-Politiker.

"Ich weigere mich, so zu tun, als gäbe es die eine Zaubermaßnahme. Das liefert eine populistische Schlagzeile, führt aber nicht dazu, dass auch nur ein Mensch weniger nach Deutschland kommt", sagte auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil gegenüber der "Bild am Sonntag". Klingbeil sprach sich für schnellere Verfahren aus, damit Asylsuchende Klarheit haben, ob sie bleiben und hier arbeiten können.

Welche Maßnahmen werden gefordert?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat sich in Anlehnung an die alte Seehofer-Idee einer Obergrenze für eine "Integrationsgrenze" von 200.000 Geflüchteten im Jahr ausgesprochen. Auch sollten Asylsuchende nur noch mit Sachleistungen unterstützt werden. Der CSU-Politiker verlangte zudem wie auch die FDP, die Liste sogenannter sicherer Herkunftsländer zu erweitern und nannte dabei die Maghreb-Staaten und Indien.

CDU-Chef Friedrich Merz forderte ebenfalls einen härteren Kurs in der Migrationspolitik. Er erneuerte sein Angebot an Kanzler Olaf Scholz, "dass wir als ersten Teil seines Deutschlandpaktes gemeinsam die Flüchtlingskrise lösen".

Bundesinnenministerin Nancy Faeser lehnte die Forderungen aus der Union für eine Neuausrichtung der Migrationspolitik ab. Im Bericht aus Berlin verwies die SPD-Politikerin darauf, dass vor allem der Schleuserkriminalität ein Riegel vorgeschoben werden müsse. Die Maßnahmen gegen Schleuser würden durch Gesetzesänderungen verschärft.

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Forderungen nach einer Obergrenze für Asylbewerber wies auch Wirtschaftsminister Habeck zurück: Die Vorstellung, man könne das Problem mit einer Zahl lösen, erhöhe am Ende nur den Grad der Enttäuschung.

Kanzler Scholz hatte zuletzt mögliche zusätzliche Maßnahmen zur Begrenzung der Migration in Aussicht gestellt. Der SPD-Politiker bekannte sich bei einer Wahlveranstaltung in Nürnberg zum Grundrecht auf Asyl, mahnte aber auch effektivere Abschiebungen an. Mit Blick auf mögliche Grenzkontrollen erklärte er, man werde je nach Lage "an den Grenzen möglicherweise weitere Maßnahmen ergreifen müssen, zum Beispiel an der polnischen".

Außenministerin Annalena Baerbock dringt auf eine europäische Lösung. Faeser und sie arbeiteten daran, "dass wir in Europa endlich zu gemeinsamen Regelungen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kommen", sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk. Es brauche Struktur und Ordnung. An den Außengrenzen müssten klare Regeln geschaffen werden, "damit endlich Menschen geordnet in Europa verteilt werden". Sie verwies auf schnelle Verfahren an den Außengrenzen und schnelle Rückführungen. Die Liste sicherer Herkunftsstaaten auszuweiten, lehnen Baerbock und ihre Grünen ab.

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Was sind sichere Herkunftsländer?

Sichere Herkunftsstaaten sind nach deutschem Asylrecht Länder, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung drohen (Paragraf 29a Asylverfahrensgesetz). Asylanträge von Menschen aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten werden in der Regel abgelehnt, solange die Betroffenen nicht glaubhaft nachweisen können, dass sie entgegen dieser Vermutung doch verfolgt werden.

Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ermöglicht den Behörden damit schnellere Verfahren und einfache Regeln für eine zentrale Unterbringung. Für den Asylbewerber kann das Arbeitsverbot und kürzere Klagefristen bedeuten.

Sichere Herkunftsstaaten nach deutschem Recht sind die EU-Mitgliedstaaten und die in Anlage II des Asylverfahrensgesetzes aufgeführten Staaten. Dazu zählen derzeit Ghana und Senegal (seit 1993), Bosnien und Herzegowina, Serbien und Nordmazedonien (seit 2014), Albanien, Kosovo und Montenegro (seit 2015). Zuletzt hatte die Ampelregierung auch Georgien und Moldau in diese Liste aufgenommen.

Was bringt eine Obergrenze?

Die Debatte um eine Obergrenze ist nicht neu. Faesers Amtsvorgänger Horst Seehofer brachte sie ins Gespräch, vor allem nachdem 2016 über 700.000 Asylanträge in Deutschland gestellt wurden.

Der CSU-Politiker hatte als Bundesinnenminister monatelang Streit mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel, weil er eine Obergrenze von 200.000 Asylanträgen forderte. Die Unionsfraktion einigte sich dann auf ein Kompromisspapier - ohne das Wort, aber mit der Idee einer Obergrenze. Darin hieß es:

Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.

In den Jahren nach dem Asylkompromiss weniger als 200.000 Asylanträge Deutschland gestellt worden. Erst 2022 lag die Zahl wieder darüber.

Allerdings gibt es einen Grund, warum die Obergrenze bisher nie gesetzlich festgelegt wurde: Sie ist nicht umsetzbar. "Es funktioniert rein rechtlich nicht", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, dazu der "Welt". "Was sollten wir denn mit dem 200.001. Menschen machen? Ihm die Prüfung auf das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Asyl verweigern?"

Müssen die Grenzen besser kontrolliert werden?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verlangt wegen der deutlich gestiegenen Flüchtlingszahlen systematische Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien. "Die Situation ist dramatisch", sagte der CDU-Politiker in den tagesthemen.

An den sächsischen Grenzen seien im August 2022 rund 2.400 Flüchtlinge angekommen, im Jahr 2023 aber schon 6.000. Stationäre Kontrollen seien daher nötig, um die Situation in den Griff zu bekommen und Menschen auch zurückweisen zu können. "Es bleibt uns gar nichts anderes übrig."

Sachsens Ministerpräsident, Michael Kretschmer, zur Migrationspolitik der Bundesregierung

tagesthemen

Auch Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen und der CDU-Fraktionschef im brandenburgischen Landtag, Jan Redmann, forderten feste Grenzkontrollen. "Die Lage hat sich zugespitzt", sagte Redmann in Potsdam. Davor dürfe die Bundesinnenministerin nicht die Augen verschließen. Zudem solle Faeser der Kompetenz der Bundespolizei vertrauen, die Grenzkontrollen so durchführen könnte, dass es keine Staus gebe, so Redmann.

Was sind stationäre Grenzkontrollen?

Stationäre Grenzkontrollen bedeuten, dass wieder regelhaft an den Landesgrenzen zu Deutschland die Einreise kontrolliert wird - mit Ausweiskontrolle und zum Teil langen Wartezeiten an den Grenzübergängen.

Bundesinnenministerin Faeser hält stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien mittlerweile für denkbar. Bislang hatte sie dies strikt abgelehnt, auch weil dies der Reisefreiheit nach dem europäischen Schengen-Abkommen widerspricht.

Gibt es Ausnahmen vom Schengen-Abkommen?

Im Herbst 2015 hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière unter der damaligen Bundeskanzlerin Merkel wieder Kontrollen in Bayern an der Grenze zu Österreich eingeführt. Grund waren Zehntausende Flüchtlinge und andere Migranten, die sich von Griechenland über die Balkan-Route auf den Weg nach Westeuropa gemacht hatten. Die Ausnahmeregelung wurde immer wieder verlängert.

Wegen der Corona-Pandemie wurden im März 2020 außerdem vorübergehende Grenzkontrollen auch an anderen deutschen Landgrenzen eingeführt. Damit sollten die Maßnahmen beim Infektionsschutz umgesetzt werden.

Im Mai haben Bund und Länder die Einführung stationärer Kontrollen wie zwischen Bayern und Österreich abhängig von der Lage auch an anderen Grenzen Deutschlands zu Nachbarländern vereinbart.

Wie soll die Schleuserkriminalität bekämpft werden?

Zuletzt sprach Innenministerin Faeser immer wieder davon, die Schleuserkriminalität bekämpfen zu wollen. Dazu sollen nun unter anderem die stationären Grenzkontrollen dienen, bei denen Schleuseraktivität aufgedeckt werden soll.

Eine weitere Idee, die die Ministerin auf EU-Ebene verfolgt, sind Migrationspartnerschaften mit den Ländern, aus denen die Migranten nach Europa reisen - etwa Tunesien. Tunesien soll rund 127 Millionen Euro von der EU bekommen, um die Migration zu verringern. Ein Anteil von rund 67 Millionen Euro soll im Zusammenhang mit einer umstrittenen Migrationsvereinbarung der EU-Kommission mit Tunesien bereitgestellt werden.

Sind solche Migrationspartnerschaften die Lösung?

Dass Migrationspartnerschaften nur bedingt funktionieren, hat der EU-Türkei-Deal gezeigt. Er sah vor allem eine Regelung für Asylsuchende vor, die die Türkei als Transitland genutzt haben und auf den griechischen Inseln erstmals das Territorium der EU betraten. Die Türkei verpflichtete sich, diese Migranten wieder zurückzunehmen.

Das im März 2016 geschlossene Abkommen hatte allerdings einige Probleme. Die griechischen Behörden konnten nur langsam die Asylanträge bearbeiten und hat somit nur einen Teil der angekommenen Asylsuchenden wieder in die Türkei zurückgeschickt.

Im März 2020 hat die Türkei dann angekündigt, Geflüchtete an der griechisch-türkischen Grenze nicht mehr aufzuhalten. Auch die Wiederaufnahme von syrischen Geflüchteten aus den griechischen Camps erklärte die türkische Regierung für beendet. Die Türkei verwendete das Abkommen als Mittel für politischen Druck auf die EU.

Kritiker merken immer wieder an, dass derartige Migrationspartnerschaften die EU den Launen autokratischer Machthaber aussetzt. "Ist Kais Saied ein verlässlicher Partner für die Europäische Union? Ich glaube das nicht", sagte der FDP-Europaabgeordnete Jan Christoph Oetjen unlängst über den tunesischen Machthaber.

Wie aussichtsreich ist eine Einigung in der EU?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor einer Woche in Lampedusa Hilfe wegen der hohen Belastung versprochen. Sie hat einen Zehn-Punkte-Plan vorgestellt: Zum Beispiel soll mit der Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex die Überwachung auf See und aus der Luft verstärkt werden. Außerdem soll die EU-Asylagentur Italien bei der Registrierung neuer Flüchtlinge helfen und die anderen EU-Länder freiwillig Migrantinnen und Migranten aus Italien aufnehmen. Wie und wann das passieren soll, ist aber nicht klar.

Die EU-Staaten ringen nicht erst seit der umfangreichen Zuwanderung in den Jahren 2015 und 2016 um einen gemeinsamen Kurs in der Asylpolitik. Zuletzt hatte es im Kreis der Innenminister zwar eine Mehrheit dafür gegeben, die Regeln zu verschärfen. Ob das wirklich so kommt, ist allerdings unklar, da sie noch mit dem Europaparlament abgestimmt werden müssen. Und die Zeit läuft ab: Im Juni wird das EU-Parlament neu gewählt.

Besonders um die Krisenverordnung gibt es Gezerre. Diese sieht etwa längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen an den Außengrenzen vor, außerdem die Möglichkeit für niedrigere Standards bei Unterbringung und Versorgung. Die Bundesregierung sieht das Vorhaben eher skeptisch, Polen und Ungarn gehen die Pläne dagegen nicht weit genug. Die Gespräche auf EU-Ebene dazu sollten eigentlich im Juli abgeschlossen sein - doch die Bundesregierung enthielt sich. Bislang ist noch unklar, ob der Streit über die Krisenverordnung andere Teile der Asylreform blockieren könnte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Anne Will am 24. September 2023 um 21:45 Uhr.