Vor Bundestagssitzung Union fordert vom Kanzler "Asylwende"
Das Thema Migration ist wieder ganz oben auf der Agenda - Grund sind stark gestiegene Zahlen. Die Union fordert nun vom Kanzler, eine "dringend benötigte Asylwende" einzuleiten. "Wir schaffen das nicht mehr", glaubt Unionsfraktionsvize Spahn.
Weniger illegale Migration nach Deutschland - das fordert die Union von der Bundesregierung. In einem Antrag der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, über den heute im Bundestag beraten wird, spricht sie sich für einen "Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik" aus.
Bundeskanzler Olaf Scholz müsse "die dringend benötigte Asylwende" nun zur Chefsache machen, verlangt die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz. "Die Bundesinnenministerin ist damit erkennbar überfordert, die Außenministerin praktisch untätig", sagte die CSU-Innenexpertin der "Rheinischen Post" mit Blick auf Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Was die Union fordert
Wer bereits in anderen Mitgliedstaaten einen Asylantrag gestellt habe oder wessen Asylantrag abgelehnt worden sei, solle "bei eigenmächtiger Weiterreise innerhalb der EU an den Binnengrenzen zurückgewiesen werden können", fordert die Union in ihrem Antrag. Außerdem soll die Liste der asylrechtlich sicheren Herkunftsstaaten um Georgien, Moldau, Indien sowie um die Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko und Algerien erweitert werden, um Asylverfahren beschleunigt durchzuführen.
Auch soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz stationäre Grenzkontrollen mit ergänzender flexibler Schleierfahndung etablieren. Zudem sollen Anreize für eine Sekundärmigration nach Deutschland gesenkt werden. Erreicht werden soll dies laut Antrag, "indem die Sozialstandards in der EU für Asylbewerber und Schutzberechtigte unter Berücksichtigung der Kaufkraft der Mitgliedstaaten einander angenähert werden."
Spahn: "Wir schaffen das nicht mehr"
Unionsfraktionsvize Jens Spahn sagte im ZDF, es sei eine gemeinsame Entscheidung in der demokratischen Mitte zum Thema Migration nötig, um Populisten von links und rechts und Radikalen das Wasser bei dem Thema abzugraben. "Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis", sagte Spahn. "Und da bin ich mir nicht sicher, ob es das innerhalb der Bundesregierung gibt", sagte er.
"Wir sind an der Grenze dessen, was geht. Und diese Zahlen müssen deutlich, sehr deutlich in sehr kurzer Zeit runter", sagte Spahn mit Blick auf die Migrationszahlen. "Wir schaffen das nicht mehr."
Im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF warnte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann vor "scharfen Tönen und Parolen" im Wahlkampf. Auch sie sehe das Thema mit Sorge, allerdings gebe es keine einfachen Lösungen. "Ich weiß, dass das unbequem ist." Den Kommunen stellte sie weitere finanzielle Unterstützung in Aussicht.
Faeser setzt auf Migrationsabkommen
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte im ZDF davor zu glauben, dass es einfache Lösungen gebe. Die irreguläre Migration müsse begrenzt werden, räumte sie ein. "Wir wollen über Migrationsabkommen das stärker steuern", sagte sie. Diese sollten Menschen ermöglichen, auf legalem Weg nach Deutschland zu kommen - und die vertraglich gebundenen Länder sollten sich dann verpflichten, Menschen, also abgelehnte Asylbewerber, zurückzunehmen.
Faeser bekräftigte die Weigerung der Regierung, in Italien ankommende Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. "Italien hält sich nicht an die Dublin-Rückübernahme. Und solange Italien das nicht macht, werden wir auch keine weiteren Geflüchteten aufnehmen", so Faeser. In der Europäischen Union sei ein Solidaritätsmechanismus verabredet. Rom müsse jetzt wieder auf Deutschland zugehen und seinen Verpflichtungen nachkommen.
Reformen geplant
Innenpolitisch plant Faeser offenbar weitreichende Reformen in der Migrations- und Flüchtlingspolitik, die für mehr Zuzug nach Deutschland sorgen könnten. Wie die "Welt am Sonntag" berichtet, will sie die Zusammenführung von Familien erleichtern. Zudem sollen Asylbewerber und Geduldete leichter Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Das gehe aus einem Referentenentwurf zu einem Familien- und Arbeitsmarktintegrationsgesetz hervor, der der Zeitung vorliege.
Der Entwurf vom 4. September befinde sich noch nicht in einer Ressortabstimmung. Er sehe vor, dass künftig bei subsidiär Schutzberechtigten der Familiennachzug dem von anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt wird. Zudem soll die aktuell geltende Begrenzung der Personenzahl auf 1.000 pro Monat entfallen. Auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen soll es dem Bericht zufolge deutliche Erleichterungen bezüglich der Einreise von Verwandten geben.
Warnung aus Sachsen-Anhalt vor Überlastung
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) rechnet mit gravierenden Problemen in Deutschland, wenn die irregulären Einreisen von Migranten weiter wie bisher zunehmen. "Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres hatten wir über 70.000 illegale Einreisen nach Deutschland. Mit Stand vom Ende letzten Jahres waren zudem 300.000 Personen in Deutschland ausreisepflichtig", sagte Haseloff der "Mitteldeutschen Zeitung". Menschen, die wirklich asylberechtigt seien und Hilfe benötigten, könne dadurch nicht mehr wirksam geholfen werden. Zudem kämen Kommunen und Länder in eine Situation, "die sie nicht mehr bewältigen können".
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert eine Zahl zur Orientierung. "Wir sollten uns auf eine realistische Größenordnung verständigen, beispielsweise 200 000 Flüchtlinge pro Jahr", sagte der CDU-Politiker der "Freien Presse". Das sei eine Zahl, an der man sich orientieren könne. "Dann kann man darüber sprechen, mit welchen Instrumenten man diese Zahl erreicht."
Städtetag fordert zügig mehr Hilfen
Der Deutsche Städtetag wiederum verlangt schnell mehr Hilfen des Bundes. Nötig sei bei der Finanzierung "endlich ein dauerhaftes System, das sich dynamisch den Flüchtlingszahlen anpasst und uns Planungssicherheit gibt", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der "Rheinischen Post". Hier müsse die nächste Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Scholz im November endlich liefern. "Wir können uns nicht jedes Jahr von Verhandlungsrunde zu Verhandlungsrunde zwischen Bund und Ländern hangeln", sagte Dedy. "Die notwendigen Mittel dafür müssen schon im Bundeshaushalt 2024 abgesichert sein und mit der Zahl zu integrierender Menschen wachsen."
Dedy verwies darauf, es werde "vielerorts immer schwieriger, Geflüchtete angemessen unterzubringen und zu versorgen". Zwar sei die Situation von Stadt zu Stadt unterschiedlich. "Es ist aber zu befürchten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Akzeptanz für die Aufnahme von Geflüchteten weiter schwinden, wenn sich die Entwicklung der letzten Monate unverändert fortsetzt."
Zuletzt war die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber stark angestiegen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten 204.461 Menschen in Deutschland einen Asylantrag. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 waren es nur wenig mehr - nämlich 217.774 Erstanträge.