100 Tage Ampel-Regierung Die Unauffälligen
In jeder Regierung gibt es jene, die im Rampenlicht stehen. Und dann gibt es Ministerinnen und Minister, die kaum auffallen - und dennoch wichtig sind. Eine 100-Tage-Bilanz der Geräuschlosen im Kabinett.
Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Das war vor 100 Tagen noch nicht geplant: Jetzt führt eine der ersten Reisen die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, SPD, nach Rumänien. Sie besucht die Kinderhilfsorganisation UNICEF, die kurz hinter der Grenze zur Ukraine Flüchtende unterstützt. Schulzes Ministerium arbeitet ohnehin mit UNICEF zusammen, Deutschland ist der zweitgrößte Geldgeber für die Organisation.
Beim Vor-Ort-Termin in Sighet sagt Schulze sichtlich bewegt: "Es ist ein Krieg, es ist ein richtiger Krieg, es ist unmittelbar vor unseren Türen und es ist jetzt das oberste Gebot, dass wir helfen. Die deutsche Regierung wird alles tun, um den flüchtenden Menschen hier zu helfen."
Svenja Schulze besucht UNICEF-Projekte für geflüchtete ukrainische Familien in Sighet, an der Grenze zur Ukraine.
Tatsächlich hilft Schulzes Ministerium. 38,5 Millionen Euro aus laufenden Programmen sollen dafür umgeschichtet werden. Dabei hatte Schulze ursprünglich vor, vor allem Klima- und Entwicklungspolitik miteinander zu verbinden. Schließlich steht sie im Stoff: in der vorherigen Legislaturperiode war die SPD-Politikerin Umweltministerin.
Ein erstes Signal sollte ein Besuch in Ruanda Anfang März sein. Dort schloss sie eine Klima- und Entwicklungspartnerschaft. Ruanda ist Vorreiter bei der Anpassung an Klimaveränderungen. So stellen Teile der Landwirtschaft auf Terassenanbau um, weil durch die veränderten klimatischen Verhältnisse Hänge sonst abzurutschen drohen.
Jetzt muss Schulze sich fragen, wie es mit solchen Projekten weitergehen kann und woher sie das Geld nimmt, wenn ärmere Länder Hilfe brauchen, weil das Getreide aus der Ukraine fehlt und Hunger droht. Vor allem Länder in Afrika und Asien haben Weizen aus der Ukraine und Russland eingeführt. Ernteausfälle und der Preisanstieg könnten sie stark treffen. Das war so ursprünglich nicht geplant.
Volker Wissing, Bundesverkehrsminister
Der Bundesminister für Digitalisierung und Verkehr, Volker Wissing von der FDP, reist einigermaßen kurzfristig wegen des Krieges nach Polen. Es geht um Eisenbahnverbindungen für Hilfs- und Rüstungsgüter und um ein Bild von der Lage. Wissing, sonst eher kühler Stratege, sagt, es sei bewegend den Flüchtlingen, vor allem den Kindern und ihren Müttern, in die Augen zu sehen. Am Ende vereinbart er, dass Waggons aus Deutschland eingesetzt werden können, um die Flüchtlinge weiterzubringen.
Volker Wissing bei einem Besuch des Bahnhofs in Przemysl, einem wichtigen Ankunftsort für Geflüchtete aus der Ukraine.
Viel mehr kann er nicht tun. Ursprünglich hatte er vor, hier in Deutschland viel zu bewegen: obwohl die Digitalisierung im Namen seines Ministeriums ganz vorne steht, hat er sich in diesem Themenfeld noch nicht hervorgetan. Es ist eben schwierig in Deutschland mit all den verschiedenen Zuständigkeiten.
Dafür kümmert Wissing sich um die Sanierung maroder Brücken. Bei einem "Brückengipfel" bringt er alle Beteiligten zusammen. Das ist auch nötig, denn es gibt viel zu tun: Bis 2030 sollen mehr als 4000 sanierungsbedürftige Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen renoviert oder ersetzt werden. Grundsätzlich allerdings nennt er nur ungern verbindliche Daten für die Fertigstellung. Er sagt, "ein Verkehrsminister sollte damit vorsichtig sein". Das gilt wohl erst recht in Zeiten, in denen fast nichts mehr ist, wie es war und alles sich um den Krieg dreht.
Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung
Sie fühle sich eigentlich nie als Randfigur, sagt Bettina Stark-Watzinger von der FDP. Denn Bildung sei schließlich die Grundlage von allem. "Solange die Bildungsgerechtigkeit noch nicht erreicht ist, arbeiten wir kontinuierlich weiter", so die Ministerin für Bildung und Forschung und zählt auf, was sie vorhat. Zentrales Projekt: eine BAföG-Reform. Das Ziel: Es sollen mehr junge Menschen während ihres Studiums unterstützt werden. Die Bedingungen passen sich den Lebensrealitäten von heute an: Es gibt unter anderem höhere Fördersätze und eine Anhebung der Altersgrenze. Stark-Watzinger hat es eilig. Die Reform sei parlamentsreif, die Änderungen könnten zum Wintersemester 2022/23 schon Studierenden zugutekommen.
Bettina Stark-Watzinger auf einer Pressekonferenz zum Thema "Mit Forschung gegen Fake News".
Außerdem schiebt die Bildungsministerin ein Startchancen-Programm an, von dem vor allem Schülerinnen und Schüler profitieren sollen, die während der Pandemie zu kurz gekommen sind. Im Bereich Forschung hat Stark-Watzinger eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation ins Leben gerufen.
Es geht darum, aus Forschungsergebnissen marktreife Produkte zu entwickeln. Und zwar hier, damit nicht andere das Geld mit deutschem Knowhow verdienen. Obwohl Stark-Watzinger im Windschatten anderer Regierungsmitglieder steht: Vorgenommen hat sie sich eine Menge.
Unter anderem möchte sie die Aufgabenteilung im föderalistischen Bildungssystem neu organisieren. Daran haben sich schon andere die Zähne ausgebissen. Dass Stark-Watzinger nun mit den Kultusministerinnen und -ministern der Länder darüber berät, wie man Schulunterricht auch schnell für ukrainische Flüchtlingskinder ermöglichen kann, das war sicherlich vor 100 Tagen noch nicht geplant.