Klage zu Nachtragshaushalt Wie kreativ darf Haushaltsführung sein?
Das Bundesverfassungsgericht verkündet heute, inwieweit die Umwidmung von Corona-Krediten zugunsten von Klimaschutzmaßnahmen zulässig war. Es könnte ein weitreichendes Urteil für die Finanzpolitik werden.
Es war eine der ersten Taten der Ampelkoalition. Kurz nach Amtsantritt verkündete Finanzminister Christian Lindner, dass 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Corona-Krediten stattdessen für Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden sollten. "Im Zuge der Koalitionsverhandlungen haben sich die drei Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf dieses Verfahren verständigt", so Lindner damals.
Tatsächlich war die Umwidmung von Corona-Krediten für den Klimaschutz bereits im Koalitionsvertrag der Ampelparteien verabredet worden - und zwar auf Drängen der SPD und vor allem der Grünen. Sie wollten mit Milliarden-Mitteln den Klimaschutz zu einem Kernthema der gemeinsamen Regierungszeit machen.
60 Milliarden Euro in den Klimafonds verschoben
Die rechtliche Begründung für die Umwidmung der Schulden lautete: Es gehe darum, die wirtschaftlichen Langzeitfolgen der Pandemie abzuwenden, viele Investitionen müssten nun nachgeholt werden. Also verschob FDP-Finanzminister Lindner mit einem Nachtragshaushalt die 60 Milliarden Euro an Corona-Krediten in das sogenannte Sondervermögen Klimafonds.
Lindner machte damit praktisch Schulden auf Vorrat für den Klimaschutz. Dabei kam dem Finanzminister zugute, dass die Schuldenbremse Pandemie-bedingt gerade ausgesetzt war, was Lindner mehr Spielräume gab.
"Genau das will die Schuldenbremse ja verhindern"
Gegen diese Aktion reichten CDU und CSU eine Klage in Karlsruhe ein. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg hält die Umwidmung auch heute noch für höchst unehrlich und unsolide, wie er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio sagt. "Man tut so, als würde man eine solide Haushaltspolitik machen." Tatsächlich nehme man aber 60 Milliarden Euro an Krediten auf, die man thematisch umdeklariere von Corona-Geldern zu Klimageldern, um sie über mehrere Jahre einzusetzen. "Genau das will die Schuldenbremse des Grundgesetzes ja verhindern", so Middelberg.
Die Finanzpolitiker in Berlin schauen nun mit Spannung nach Karlsruhe. Denn 60 Milliarden Euro sind richtig viel Geld, beinahe die gesamte Rücklage des 210 Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds KTF, der bis 2027 zu großen Teilen durchgeplant ist - etwa zur sozialen Abfederung des Heizungsgesetzes, für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und die Förderung der Elektromobilität. Aus dem KTF fließt aber auch Geld für Förderung der Mikroelektronik, etwa Subventionen für die Ansiedlung einer Chip-Fabrik in Magdeburg.
Grünen-Chefin hält das Geld für unverzichtbar
Aus Sicht von Grünen-Chefin Ricarda Lang kann der Bund nicht auf das Geld verzichten. "Das ist ganz klar, dass die Gelder, die im KTF veranschlagt sind, absolut gebraucht werden. Die werden gebraucht, weil wir uns vorgenommen haben, unsere Wirtschaft zu modernisieren und wettbewerbsfähig zu bleiben", so Lang. Es gehe um die Frage, wer der erste klimaneutrale Wirtschaftsstandort werde. Lang betont, dass die Grünen die Schuldenbremse sowieso nicht mehr für zeitgemäß halten. In der kommenden Legislaturperiode brauche es daher eine Reform.
Der Koalitionspartner FDP sieht das erklärtermaßen anders. FDP-Fraktionschef Christian Dürr betont, dass man sich die anstehende Karlsruher Entscheidung genau anschauen werde. Und dabei gelte: "Jede Maßnahme, die wir ergreifen, muss im Rahmen der Schuldenbremse bleiben." Das FDP-geführte Finanzministerium will sich im Vorfeld der Verfassungsgerichts-Entscheidung nicht äußern.
Grundsätzliche Bedeutung für die Finanzpolitik
Egal, ob die Karlsruher Richter die Schulden-Umwidmung einkassieren oder auch nicht: Die Entscheidung dürfte grundsätzliche Aussagen zum Umgang mit der Schuldenbremse beinhalten. Wie kreativ dürfen Haushaltspolitiker mit den Schuldenregeln umgehen? Welche Voraussetzungen gelten für eine Notlage, um die Schuldenbremse aussetzen zu können? Welche Rolle dürfen die sogenannten Sondervermögen spielen - also Nebenhaushalte, die in den vergangenen Jahren eine immer größere Bedeutung bekommen haben.
Der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hält eine Klärung durch das Gericht für dringend erforderlich. "Es kann nicht angehen, dass der vom Parlament beschlossene Bundeshaushalt engen Grenzen unterliegt und die Bundesregierung aber in Schattenhaushalten frei von solchen Restriktionen Subventionen in fast beliebiger Höhe verteilen und durch Schulden finanzieren kann." Büttner ist auch der Chef des Beirats des Stabilitätsrates, einem offiziellen Gremium, das die Haushaltsführung von Bund und Ländern überwachen soll.
Auch die Finanzminister der Länder dürften mit Interesse nach Karlsruhe schauen. Denn auch dort werden immer mehr Sondervermögen aufgelegt, um sich finanzielle Spielräume zu verschaffen, insbesondere für Klimaschutzinvestitionen - kreative Haushaltsführung hart an der Grenze oder auch jenseits der Grenze der Schuldenbremse.