Deutschlands Außenpolitik Strategie für mehr Sicherheit gesucht
Noch ist es eher eine Worthülse: Deutschland arbeitet an einer Nationalen Sicherheitsstrategie - wegen Putins Krieg gegen die Ukraine schneller als geplant. Aber was heißt das eigentlich?
Als die Ampel-Koalition am 7. Dezember ihren Koalitionsvertrag unterzeichnete, da wirkte der Satz noch wie eine leere Worthülse: "Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen." Dieser Satz steht da auf Seite 114, etwas verlassen und einsam und ohne nähere Erläuterungen.
Nun sorgt Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg in Europa dafür, dass diese Worthülse zügig mit Inhalt gefüllt werden muss. "Der Sicherheit der Freiheit unseres Lebens", sei diese Strategie gewidmet, erläuterte Außenministerin Annalena Baerbock, als sie den Startschuss für deren Erarbeitung gab.
Und die Grünen-Politikerin stellte damit auch klar, dass sie und die Bundesregierung unter dem Begriff "Sicherheit" natürlich den Schutz vor Krieg und Gewalt verstehen, aber eben noch mehr: nämlich genauso den Schutz von Demokratie und Leben in Freiheit sowie die Bewahrung der Lebensgrundlage, also den Planeten. "Sicherheitspolitik ist mehr als Militär plus Diplomatie", sagt Baerbock. Auch in Unternehmen, Kommunen und Universitäten würden folglich Entscheidungen über Sicherheitspolitik getroffen, nicht nur im Außen- und Verteidigungsministerium.
Bestes Beispiel dafür: der Versuch, sich schnell aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien. Auch das wird in die deutsche Sicherheitsstrategie einfließen.
"Soft power" reicht nicht aus
Wenn Deutschland und Europa nun eine "Zeitenwende" erleben, dann bedeutet das jedoch vor allem: Erstmalig seit drei Jahrzehnten besinnt sich im Angesicht der russischen Bedrohung eine Bundesregierung ernsthaft darauf, dass die so viel beschworene "soft power" nicht ausreicht, sondern von "hard power", also militärisch flankierter Abschreckungspolitik, begleitet werden muss.
Und so begrüßt Unionsfraktionsvize Johann Wadephul zwar die Nationale Sicherheitsstrategie der Ampel-Regierung. Er äußert im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio aber Zweifel, dass alle die Zeichen der "Zeitenwende" wirklich verstanden haben: "Wenn ich der Außenministerin zuhöre, dann habe ich Vertrauen. Aber wenn ich dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich zuhöre, dann habe ich Zweifel, ob ihm klar ist, wie unmittelbar die Gefährdungslage für Deutschland, Europa und das NATO-Bündnis ist."
Auch NATO und EU suchen neue Strategie
Passenderweise sind auch NATO und EU derzeit damit beschäftigt, ihre Strategien neu auszurichten: Die Europäische Union verpasst sich einen "strategischen Kompass", die NATO wird sich nach dem langen Afghanistan-Einsatz wieder mehr auf die Verteidigung des Bündnisgebiets und die Stärkung der Ostflanke konzentrieren. Das von Kanzler Olaf Scholz versprochene 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr ist insofern auch ein Signal, sich künftig stärker im Bündnis einzubringen. Die Menschen in Deutschland scheinen da mitzugehen: Einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung zufolge befürwortet erstmalig eine breite Mehrheit ein stärkeres Engagement bei internationalen Krisen.
Inhalte fehlen noch
Doch fertig ausformuliert und komplett mit Inhalt gefüllt ist die Nationale Sicherheitsstrategie damit noch nicht. Die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, erinnert im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio an das Thema Cybersicherheit: "Dort haben wir noch keine umgesetzte Strategie, wie wir mit den neuen Bedrohungen umgehen können." Dabei werde eine intensive Abstimmung zwischen den zuständigen Ministerien nötig sein, sagt die SPD-Politikerin.
Die Opposition vermisst bei den Haushaltsplänen der Ampel Anzeichen dafür, dass man es mit der neu austarierten Mischung aus "hard und soft power" ernst meine: "Kein Hinweis darauf, wie sie eine Nationale Sicherheitsstrategie mit glaubwürdiger Verteidigung, vernünftiger Entwicklungszusammenarbeit und einer schlagkräftigen Diplomatie verknüpfen wollen", beklagte etwa CDU-Außenpolitiker Roderich Kieswetter.
Bis Sommer soll ein erster Entwurf der Nationalen Sicherheitsstrategie vorliegen, erfuhr das ARD-Hauptstadtstudio aus Regierungskreisen. Erst dann wird klar sein, mit welchen Inhalten die einstige Worthülse gefüllt wird.