Neun-Euro-Ticket Angst vor dem Ansturm
Das Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr kommt - aber was bringt es mit sich? Fahrgäste, Beschäftigte und Verkehrsunternehmen eint die Sorge, ob der ÖPNV dem erwarteten Ansturm gerecht werden kann.
Buxtehude, Niedersachsen, früher Morgen. Trotz 10-Minuten-Takt der S-Bahn ist der Bahnsteig ziemlich voll. Und viele machen sich Sorgen, wie voll es wird, wenn ab Juni auch die "Schnupperkunden" mit dem Neun-Euro-Ticket in die Züge drängen.
Manche hoffen, dass nicht alle gleich im Berufsverkehr fahren, andere machen sich Sorgen, dass die Corona-Ansteckungsgefahr in vollen Zügen wieder steigt. An sich sei es zwar toll, das viele bald weniger für den ÖPNV zahlen müssten, aber es gebe eben häufig schon jetzt Kapazitätsengpässe.
Die Vertreter der Bahn-Beschäftigten sorgen sich vor allem um Überfüllung auf den Ausflugsstrecken am Wochenende: Thorsten Klimm, Betriebsratsvorsitzender bei der S-Bahn Hamburg, sagt: "Schönes Wetter, Ausflugsverkehr, Fahrräder mitnehmen. Da haben wir ja auch jetzt schon immer wieder Schwierigkeiten gehabt."
Als Härtetest gilt das Pfingstwochenende
Oft ist auf Regionalstrecken neben dem Lokführer oder der Lokführerin nur noch eine weitere Person im Zug. Zu wenig, sorgen sich manche, wenn eine Bahn etwa wegen Überfüllung nicht losfahren kann, die Fahrgäste aber auch nicht aussteigen wollen. Als Härtetest gilt das Pfingstwochenende vom 4. bis 6. Juni.
Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn warnt: "Sie werden in einigen Regionen damit rechnen müssen, dass Sie in den Zug nicht mehr reinkommen, und dass Sie auch Ihr Fahrrad unter Umständen nicht mehr mitnehmen können, weil alle Fahrradplätze belegt sind." Das erwartet Naumann insbesondere auf den Strecken von Hamburg nach Westerland, von Berlin an die Ostsee und auch von München in die Alpen.
Es fehlt auch an zusätzlichen Zügen
Mit zusätzlichen Zügen - oder wenigstens zusätzlichen Wagen - könnte man dieses Problem vielleicht lösen. Hier und da wird das auch möglich sein, aber viel mehr als zurzeit geht nicht. Lars Wagner vom Verband der Verkehrsunternehmen betont, dass die Branche bereits jetzt auf Hundert-Prozent-Betrieb ausgelegt sei - für das einmalige Angebot für drei Monate, das in kurzer Zeit umgesetzt werde, bekomme man so schnell nicht zusätzliche Fahrzeuge und vor allem auch kein zusätzliches Personal.
Volle Züge, unzufriedene Fahrgäste - so wäre das Neun-Euro-Ticket keine Werbung für Bus und Bahn, fürchten manche Bundesländer, die am Freitag dem Neun-Euro-Ticket im Bundesrat nur unter Protest zustimmten.
Ein Eigentor für die Verkehrswende?
Der grüne Verkehrsminister Winfried Herrmann aus Baden-Württemberg befürchtet, das Neun-Euro-Ticket könne ein Eigentor für die Verkehrswende werden, wenn am Ende Menschen, die zum ersten Mal mit der Bahn fahren, möglicherweise am Bahnsteig stehen und nicht mitgenommen werden, weil der Zug schon voll ist. Sein FDP-Kollege aus Schleswig Holstein, Bernd Buchholz, hat sicherheitshalber zusätzliche Kapazitäten bei den Verkehrsunternehmen bestellt. Das werde das Land einen Millionen-Betrag kosten, den der Bund nicht ersetze.
Auch die Grünen im Bund machen Druck auf den Bundesverkehrsminister, bald, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, mehr Geld für den Nahverkehr bereitzustellen. Doch Volker Wissing will darüber erst im Herbst mit den Ländern sprechen. So bleibt die Sorge bei den Ländern, dass sie im Herbst die Ticketpreise deutlich erhöhen müssen, um die gestiegenen Kosten der Verkehrsunternehmen, etwa durch höhere Energie- und Personalkosten, auszugleichen. Ob dann die "Schnupperkunden" auch bereit sind, diese Preise zu zahlen, ist offen.
Das Neun-Euro-Ticket ist unter anderem Thema im Bericht aus Berlin, am Sonntag um 18:00 Uhr im Ersten.