OB-Wahl in Nordhausen Wie die AfD die Provinz erobern will
Kommunalwahlen sind auf Personen ausgerichtet - so auch am Sonntag bei der OB-Wahl im thüringischen Nordhausen. Der AfD-Kandidat gibt sich gemäßigt und gilt als Favorit. Eine Blaupause für AfD-Erfolge?
Die AfD reitet in Thüringen auf einem Umfragehoch. 34 Prozent der Menschen würden laut einer mdr-Umfrage aus dem Sommer der Partei ihre Stimme zur Landtagswahl geben. Kurz zuvor eroberte die AfD das erste Landratsamt Deutschlands. Im Thüringer Landkreis Sonneberg holte Robert Sesselmann in der Stichwahl den Sieg.
Drei Monate später könnte die Partei den nächsten kommunalpolitischen Erfolg feiern. Im ersten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl Nordhausens holte der AfD-Kandidat Jörg Prophet aus dem Stand 42,1 Prozent. Der parteilose Amtsinhaber Kai Buchmann landete abgeschlagen auf Platz zwei - mit nur 23,7 Prozent.
Die etablierten Parteien wurden abgestraft. Die Kandidaten von SPD und CDU erreichten nur die hinteren Ränge, FDP und Grüne blieben einstellig. Die Linke, die Partei des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, trat nicht an.
Die Stichwahl in Nordhausen am 24. September wird nun zur Entscheidungswahl. Rein rechnerisch könnten die Wähler ein AfD-Stadtoberhaupt noch verhindern: Eine Mehrheit von 57 Prozent hat Jörg Prophet nicht gewählt. Trotzdem stehen die Zeichen dafür nicht sehr gut, denn die politischen Lager in Nordhausen gelten als zerstritten.
AfD profitiert von Dauerzoff
Die Gründe dafür liegen einige Jahre zurück. Nach der Wiedervereinigung wurde Nordhausen 18 Jahre lang von einer SPD-Bürgermeisterin regiert. Politische Stabilität und Fördermittel ließen die Stadt aufblühen: Eine Hochschule wurde gegründet, die Landesgartenschau zog ein, und Nordhausen erhielt die modernste Bibliothek Thüringens. Doch nach dieser Zeit wurde es deutlich unruhiger.
Seit 2013 regierten vier verschiedene Personen die Stadt: Zwei Oberbürgermeister und zwei kommissarisch-regierende Bürgermeisterinnen. Einer von ihnen ist der derzeitige Amtsinhaber Kai Buchmann. Buchmanns Wahl 2017 galt bereits als Protest gegen die etablierten Parteien. Der Betriebswirt war als Parteiloser angetreten, landete im ersten Wahlgang auf Platz zwei und eroberte in der Stichwahl überraschend das Rathaus.
Die Hoffnung der Wähler: weniger Parteienstreit, mehr Sacharbeit. Doch der frische Wind im Rathaus blieb aus. In den vergangenen sechs Jahren zerstritt sich der Hoffnungsträger mit regionalen Medien und legte sich mit dem Stadtrat an.
Zum Höhepunkt der Streitigkeiten kam es allerdings erst in diesem Jahr. Ende März wurde Buchmann des Amts enthoben. Erst im August, kurz vor der Wahl, durfte er per Gerichtsbeschluss zurückkehren. Der SPD-Landrat warf ihm vor, Stadtratsbeschlüsse nicht umgesetzt zu haben. Außerdem soll er seine Stellvertreterin, die Bürgermeisterin, gemobbt haben. Der juristische Streit sorgte für unzählige Schlagzeilen in Thüringen. Das Ansehen des Rathauses und des Landratsamts sank.
AfD-Kandidat mit Naturschutz-Faible
Die Wahlkampfstrategie der AfD war einfach, aber effektiv: Ruhe statt Krawall. Jörg Prophet machte in der Öffentlichkeit weder flüchtlingsfeindliche Sprüchen, noch gab er den polterigen Populisten im Stadtrat. Der 61-Jährige Unternehmer bezeichnete sich in einer Podiumsdiskussion gar als "weltoffen, wertkonservativ und mittelstandsorientiert".
Angesprochen auf Björn Höcke, den rechtsextremen Fraktionsvorsitzenden der AfD Thüringen, glich Prophets Antwort einer Distanzierung: Welche Ansichten Herr Höcke habe, müsse man ihn fragen. Er selbst trete als Person an, nicht als Partei.
Prophet warb sogar mit dem Thema Naturschutz. Die Karstlandschaft um Nordhausen wolle er schützen. Im Stadtgebiet wolle er mehr Bäume pflanzen. "Man muss kein Grüner der Grünen sein, um sich für Umwelt- und Naturschutz einzusetzen", schrieb er.
Auf seinen Wahlplakaten wirbt er ausschließlich mit dem weißen Hemd eines Saubermanns und den schwarzen Hosenträgern eines Machers. Sein Wahlkampfmotto bedient das politische Bauchgefühl Nordhausens: "Neustart im Rathaus".
In Nordhausen geht AfD-Kandidat Jörg Prophet mit Amtsinhaber Kai Buchmann in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters.
Auftritt für "Compact"
Nur einmal ließ Prophet sein Weltbild durchblicken: Das vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte "Compact"-Magazin hatte sein diesjähriges Sommerfest in Sachsen-Anhalt abgehalten. Der Stargast: Jörg Prophet. Der Trailer zur Veranstaltung zeigte ihn als ersten angekündigten Gast - noch vor bekannten Bundestagsabgeordneten.
Geschadet hat ihm der Auftritt bisher nicht. Im Gegenteil. Gerade, weil Kommunalwahlen stark auf Personen ausgerichtet sind, hatte die AfD ihre Lautstärke heruntergefahren und die Person wirken lassen.
Der Nordhäuser Wahlkampf hat das Zeug zur Blaupause für die AfD: Mit einem seriösen Kandidaten in einem ruhigen Wahlkampf die Provinz erobern. Sich leise vom Wind des Umfragehochs tragen lassen, Ausfälle vermeiden. Aus vielen kleinen Etappensiegen auf dem Land könnte so Schwungkraft für die großen Erfolge in Städten entstehen.
Angst vor einem AfD-Oberbürgermeister wächst
In Nordhausen gibt es zwei überregional bekannte Institutionen, die sich wegen eines möglichen AfD-Oberbürgermeisters sorgen: die technisch-orientierte Hochschule und die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. In letzterer ließen die Nationalsozialisten die Rakete "V2" von Tausenden Zwangsarbeitern unter mörderischen Bedingungen bauen. Der Vater des US-amerikanischen Weltraumprogramms, Wernher von Braun, leitete die Produktion und wohnte in dieser Zeit in der Nähe von Nordhausen.
Der Stiftungsleiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora bezeichnet einen AfD-Oberbürgermeister in Nordhausen als "Katastrophe". Jens-Christian Wagner hatte der Gedenkstätte Mittelbau-Dora selbst 13 Jahre vorgestanden. Eine solche Institution mache nur Sinn, wenn sie in ihr gesellschaftliches Umfeld integriert sei. Mit Amtsinhaber Buchmann habe man gut zusammengearbeitet. Jörg Prophet dagegen sei Teil eines vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Landesverbandes. Mit solch einem Oberbürgermeister sei eine Kooperation "undenkbar".
An der Hochschule herrscht ebenfalls Unruhe. Die Zahl der Ingenieurstudenten geht bundesweit seit Jahren zurück. Auch in Nordhausen sind die Zahlen deutscher Studenten am Institut für Regenerative Energietechnik in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent eingebrochen. Umso erfolgreicher zieht der Campus ausländische Studenten an. Die Mehrheit kommt aus Indien, Pakistan, Ägypten und Nigeria.
In den Studienberatungen ist die AfD längst ein Thema. Studierende äußern bereits Ängste über Ausländerfeindlichkeit in der Stadt, heißt es aus dem Präsidium. Die Hochschule sorgt sich bereits um ihren Nachwuchs.