Nationaler Radverkehrsplan Warum Deutschland kein Fahrradland ist
Deutschland soll ein lückenloses Radverkehrsnetz bekommen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg: Gut ausgebaute Radwege fehlen vielerorts nach wie vor. Warum kommt der Ausbau nicht voran?
Rund 20 Kilometer fährt Rolf Hidding zu seiner Arbeitsstelle nach Koblenz, und zwar mit dem Fahrrad und der Bahn. Längst nicht überall auf der Strecke gibt es geschützte Radwege. Am Saarkreisel, einem Verkehrsknotenpunkt in der Koblenzer Innenstadt, ist zwar ein Radstreifen auf der Fahrbahn eingezeichnet. Dort zu fahren sei aber durchaus riskant, kritisiert Hidding.
Das Gefährliche sei der dichte Autoverkehr. "Das Problem ist: Wenn man sich mit dem Fahrrad am äußeren Rand befindet, hat man es mit Autofahrern zu tun, die rechts abbiegen wollen und den Schulterblick nicht beherrschen." Dass Radwege teilweise im Nichts endeten und die Verkehrsplanung sehr auf Autos ausgerichtet sei, mache ihm das Pendeln mit dem Rad unnötig schwer.
"Wir brauchen komfortable, sichere Radwege"
Nach wie vor sind gut ausgebaute Radwege in vielen Regionen im Land die Ausnahme. Von einem lückenlosen Radverkehrsnetz, wie es im Nationalen Radverkehrsplan als Leitziel bis zum Jahr 2030 formuliert wurde, ist Deutschland nach Einschätzung des Allgemeine Deutsche Fahrrad-Clubs (ADFC) noch Lichtjahre entfernt. "Wir sind noch kein Fahrradland", kritisiert die Bundesgeschäftsführerin des Interessenverbands für Radfahrerinnen und Radfahrer, Ann-Kathrin Schneider. "In Städten und Gemeinden fehlen Zehntausende Kilometer Alltagsradewegenetz. Damit hier endlich Tempo ins Spiel kommt, braucht es Impulse von Bundesverkehrsminister Wissing."
Laut einer Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2019 werden in Deutschland rund elf Prozent der Wege mit dem Rad zurückgelegt. In den Niederlanden sind es 25 Prozent, also mehr als doppelt so viel. Wenn es eine bessere Radinfrastruktur gäbe, stiege der Anteil der Radfahrer in Deutschland deutlich, davon ist der ADFC überzeugt. Die Menschen fühlten sich aktuell beim Radfahren nicht sicher. "Wir brauchen komfortable, sichere Radwege. Und wir brauchen mehr Radwege", fordert die ADFC-Geschäftsführerin.
Antrag der Union im Bundestag
Die Unionsfraktion im Bundestag will den Druck auf die Bundesregierung mit einem Antrag zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans erhöhen. Abgeordnete von CDU und CSU werfen der Bundesregierung Untätigkeit vor.
"Seit gut einem Jahr ist nichts in Sachen Radverkehr passiert. Und dabei liegt Bundesverkehrsminister Wissing schon von Beginn seiner Amtszeit an ein in der letzten Wahlperiode entwickelter Masterplan auf dem Tisch, den er nur umsetzen müsste", sagt Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Wissings Aufgabe ist, bei Bundeskanzler und Bundesfinanzminister mehr Geld für die klimafreundliche Mobilität zu besorgen. Leider ist letztes Jahr das Gegenteil passiert." Die Ampel kürze auch beim Radverkehr; von 750 Millionen im Bundeshaushalt 2022 auf 560 Millionen Euro im Haushalt für dieses Jahr.
Mehr Geld vom Bund gefordert
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr verweist darauf, dass im vergangenen Jahr Mittel aus dem Klimaschutzsofortprogramm zur Verfügung standen, aber nur einmalig. Außerdem habe der Bund die finanziellen Rahmenbedingungen für die Radverkehrsförderung längerfristig gesichert. "Das war ursprünglich nicht der Fall. Wir haben das geändert und die Finanzierung bis 2028 gesichert", sagt Oliver Luksic, Parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesverkehrsminister. Das schaffe Planungssicherheit für Länder und Kommunen.
Die Verkehrsminister der Länder halten eine langfristige Erhöhung der Fahrradförderprogramme des Bundes auf mindestens eine Milliarde Euro im Jahr für notwendig. Auch die ADFC-Bundesgeschäftsführerin fordert mehr Bundesmittel: "Natürlich braucht der Radverkehr eine angemessene Finanzierung vom Bund, die jährliche Fahrradmilliarde, die auch die Länder fordern." Stattdessen habe der Bundesverkehrsminister die Mittel kürzlich sogar zurückgeschraubt, kritisiert Ann-Kathrin Schneider. Die Kommunen könnten die Verkehrswende auf keinen Fall allein stemmen. Es brauche starke Impulse für den Radverkehr von Minister Wissing.
Aktuell 36 Radschnellwegeprojekte gefördert
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr betont, dass für die Radverkehrsinfrastruktur vor Ort weitestgehend Länder und Kommunen verantwortlich seien, verweist aber gleichzeitig darauf, dass der Bund sie dabei unterstützt. Aktuell würden bundesweit beispielsweise 36 Radschnellwegeprojekte mit Bundesmitteln gefördert.
Dass Deutschland im Bereich Radverkehr Nachholbedarf hat, wird aus Sicht des Interessenverbands der Radfahrerinnen und Radfahrer gerade auch bei den Radschnellwegen deutlich. In Deutschland gibt es nach Angaben des ADFC weniger als 50 Kilometer Radschnellwege, in den Niederlanden hingegen mehr als 500 Kilometer. Radpendler Jörg Hidding würde sich für seine Strecke zur Arbeit auch einen Radschnellweg wünschen. Das würde seine Fahrt nach Koblenz deutlich verkürzen und sicherer machen.