Aktien für den Ruhestand Wie die Ampel die Rente plant
Die Rente ist sicher - dieses Versprechen von 1986 gilt längst nicht mehr. Das deutsche Rentensystem ist in die Jahre gekommen - eine Reform überfällig. Die Ampelkoalition will dazu an den Aktienmarkt. Das birgt auch Risiken.
Die Ausgangslage
In den kommenden Wochen will die Bundesregierung ihre nächste große soziale Reform auf den Weg bringen und die Renten in Deutschland fit für die Zukunft machen. Auch der Aktienmarkt soll bei der Absicherung der Renten erstmals eine zentrale Rolle spielen. Zwar gibt es private Vorsorgemöglichkeiten und betriebliche Altersvorsorge - doch für die meisten Menschen ist die gesetzliche Rente im Alter die zentrale Einkommensquelle. Mit der Aktienrente soll sie einen neuen Baustein bekommen. Das birgt auch Risiken.
Warum soll das Rentensystem geändert werden?
Die Altersstruktur in Deutschland ändert sich - es gibt immer mehr alte und immer weniger junge Menschen. Das bedeutet auch: Es gibt immer mehr Rentnerinnen und Rentner und immer weniger Beitragszahlende. Schon heute bezuschusst der Staat die gesetzliche Rentenkasse jährlich mit gut 100 Milliarden Euro bei steigender Tendenz. Die Ampelkoalition will die Rente nicht kürzen und auch das Renteneintrittsalter nicht weiter heraufsetzen. Kanzler Olaf Scholz hat sich erst gerade wieder klar gegen eine weitere Erhöhung der Lebensarbeitszeit ausgesprochen.
Nach geltender Rechtslage wird die Altersgrenze ohne Rentenabschläge schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Für jene, die 1964 aufwärts geboren wurden, gilt definitiv die Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Vor 1953 Geborene konnten ohne Abschläge mit 63 in Rente gehen. In Deutschland gehen die Menschen laut Angaben der Deutschen Rentenversicherung im Schnitt im Alter von 64,4 Jahren in Rente. Einer Studie zufolge wollen 70 Prozent der sogenannten Babyboomer, das sind die Menschen mit Geburtsjahren in den 1950er-und 1960er-Jahren, vorzeitig aufhören zu arbeiten.
Am Renteneintrittsalter will die Koalition also nicht rütteln, zugleich sollen aber die Beiträge nicht zu stark steigen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aktienrente soll helfen, dass all diese Ziele erreicht werden. Ob dies funktioniert, ist aber offen.
Was will die Ampel mit einer weiteren Reform erreichen?
Die 2018 beschlossene Reform zu den großen Linien der Rente reicht nur bis 2025. Bis dahin soll das Rentenniveau von heute 48,1 Prozent nicht unter 48 Prozent sinken und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Heute liegt er bei 18,6 Prozent vom Bruttoeinkommen. Doch was passiert dann? Wird nicht gegengesteuert, droht das Absicherungsniveau der Rente nach offizieller Prognose bis 2030 auf 46,6 Prozent zu sinken. Der Beitragssatz dürfte bis 2036 auf 21,3 Prozent steigen. Denn Millionen Babyboomer wechseln in den Ruhestand und werden von Einzahlenden zu Rentnerinnen und Rentnern.
Was ist das Rentenniveau?
Das Rentenniveau gibt das Verhältnis von Rentenhöhe zum Lohn an. Es sagt aus, wie viel Prozent des aktuellen Durchschnittslohns jemand als Rente erhält, der exakt 45 Jahre lang immer zum Durchschnittslohn gearbeitet und Beiträge gezahlt hat. Bei einem sinkenden Rentenniveau steigen die Renten weniger stark an als die Löhne.
Was plant die Regierung?
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wollen ihre Rentenpläne demnächst präsentieren. Die zwei zentralen Punkte: Das Rentenniveau soll laut Arbeitsministerium dauerhaft bei 48 Prozent gesichert werden. Und mit dem Aufbau eines sogenannten Generationenkapitals soll der Beitragssatz langfristig stabilisiert werden - hier kommen die Aktien in Spiel. "Die gesetzliche Rente wird sich dann zukünftig aus drei Quellen finanzieren", kündigte Heil an. Also aus den Rentenbeiträgen, dem Steuerzuschuss und - neu - aus Erträgen vom Kapitalmarkt.
Werden Rentner automatisch zu Aktienbesitzern?
Nein - und es sollen auch keine Rentenbeiträge in Aktienfonds fließen. Denn vom ursprünglichen FDP-Plan einer Aktienrente ist das "Generationenkapital" ein ganzes Stück entfernt. Die FDP hatte im Wahlkampf dafür geworben, dass zwei Prozent des Einkommens in eine kapitalgedeckte Vorsorge gesteckt wird. Stattdessen will die Regierung zunächst zehn Milliarden Euro aus öffentlichen Darlehen am Kapitalmarkt anlegen. Die Summe soll jährlich um drei Prozent bis auf 200 Milliarden Euro steigen. Die einzelnen Renten sollen damit auch nicht aufgebessert werden - sondern in rund eineinhalb Jahrzehnten die Rentenbeiträge stabilisiert werden.
Wie das "Generationenkapital" angelegt werden?
Möglichst sicher. "Die Sicherheit ergibt sich aus der Breite und der Langfristigkeit der Anlagen", sagte Lindner in einem Interview. Vorgesehen ist eine global diversifizierte und langfristige Kapitalanlage. Die Renditen fließen der gesetzlichen Rentenversicherung zu. Sollten die Aktienkurse sinken und die Anlagen einmal weniger Rendite abwerfen, soll dies vom Bund kompensiert werden.
Gemanagt werden soll die Anlage von einem Staatsfonds in Form einer politisch unabhängigen Stiftung. Finanzminister Lindner möchte dies dem Kenfo übertragen - diese Stiftung verwaltet den Fonds zur Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung von Atommüll. Das geht aus dem Gesetzentwurf hervor, den Lindner vergangene Woche an seine Kabinettskollegen verschickte. Nach "Spiegel"-Informationen legte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Einspruch gegen Lindners Konzept ein. Der Kenfo untersteht seinem Ministerium, deshalb reklamiert er Mitspracherecht.
Welche Fragen sind offen?
Unklar ist unter anderem, welche konkreten Vorgaben für die Anlagestrategie des Fonds gelten sollen. Lindner verweist hier auf die Vorgaben, die für den Kenfo gelten. Demnach müssten unter anderem ökologische und soziale Kriterien berücksichtigt werden. Umstritten ist auch, ob künftig ein Teil der regulären Rentenbeiträge in den Fonds gesteckt werden könnten. Lindner kann sich nach eigenen Worten vorstellen, dass sich die Beitragszahlerinnen und -zahler an dem Fonds "individuell beteiligen".
Welche Kritik gibt es an den Plänen?
Sozialverbände sprechen von "risikoreichen Experimenten" und "Spekulationen am Aktienmarkt". Auch SPD, Grüne und Linkspartei sowie die Gewerkschaften blicken teils skeptisch auf das vor allem von der FDP vorangetriebene Vorhaben. Es wird befürchtet, dass selbst bei einer komfortablen finanziellen Ausstattung des Fonds der Effekt für die Stabilisierung des Rentensystems gering ausfällt - zumal die Erträge zunächst einmal die Schuldzinsen der für die Einzahlungen notwendigen Kredite abdecken müssten.
Kritiker weisen auch darauf hin, dass der Kenfo im Jahr 2022 statt Erträgen einen Milliardenverlust eingefahren hat. Vor allem von Seiten der Grünen hieß es daher wiederholt, Lindners Plan berge hohe Risiken. Nach Ansicht des Grünen-Rentenexperten Markus Kurth könnten die Pläne zudem gegen die Schuldenbremse und das Beihilferecht der EU verstoßen. Die Debatten in der Koalition dazu dürften also erstmal nicht abreißen.
Gibt es alternative Vorschläge?
Von der Linkspartei, aber auch aus Grünen und SPD kommt stattdessen die Forderung, dass alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rente einzahlen sollen, also auch Selbstständige und Beamte. Ein solches Modell gibt es beispielsweise in Österreich, wo die gesetzlichen Altersbezüge deutlich höher sind als in Deutschland.
Mit Blick auf die Zunahme von Altersarmut in Deutschland fordert die Linkspartei auch eine einmalige Rentenerhöhung von zehn Prozent als Inflationsausgleich. Zudem solle das Rentenniveau auf 53 Prozent angehoben und eine Mindestrente von 1.200 Euro einführt werden. Wie das finanziert werden soll, blieb offen.
Soll man auch privat künftig anders fürs Alter vorsorgen können?
Ja. Eine Regierungskommission hat bereits Vorschläge für neue Möglichkeiten vorgelegt, privat und staatlich gefördert fürs Alter vorzusorgen. Nach einer Reform der privaten Altersvorsorge könnten demnach auch Vorsorgeformen mit geringeren Garantien und höheren Renditemöglichkeiten als bei der heutigen Riester-Rente angeboten werden - auch mit Anlagen in börsengehandelten Indexfonds (ETFs). Die Riester-Rente soll den Vorschlägen zufolge auslaufen, bestehende Verträge sollen Bestandsschutz erhalten. Die SPD-Fraktion hatte die Vorschläge bereits begrüßt.