Scholz bei Netanyahu "Gibt auch eine humanitäre Logik"
In einer Sache waren sich Kanzler Scholz und Premier Netanyahu einig: Die Hamas sei ein legitimes Ziel Israels. Doch der Gast mahnte auch zu mehr Hilfe für die Zivilbevölkerung - und warnte vor einer Rafah-Offensive.
Bei einem Besuch in Israel hat Bundeskanzler Olaf Scholz größere humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen gefordert. "Wir können nicht zusehen, wie Palästinenser den Hungertod riskieren", sagte der SPD-Politiker in Jerusalem bei einem gemeinsamen Pressestatement mit Premierminister Benjamin Netanyahu. Humanitäre Hilfe müsse sehr viel umfangreicher, kontinuierlich und zuverlässig ankommen.
Scholz warnte erneut vor einer israelischen Offensive bei Rafah im Süden des Gazastreifens, wo Hunderttausende Vertriebene Zuflucht vor den israelischen Angriffen gesucht haben. Je höher die Zahl der zivilen Opfer steige, desto verzweifelter werde die Situation der Menschen im Gazastreifen, sagte Scholz.
"Schrecklich hohe Kosten"
Scholz unterstrich zugleich, dass Deutschland an der Seite Israels stehe. Die Terrororganisation Hamas zu bekämpfen, sei ein legitimes Ziel Israels. Noch immer würden mehr als 100 Geiseln von der Hamas festgehalten. Das sei ein grausames Verbrechen, das umgehend enden müsse.
So wichtig das Ziel Israels auch sei - es sei zu fragen, ob es "so schrecklich hohe Kosten rechtfertigen" könne oder ob es andere Möglichkeiten gebe, es zu erreichen. Bei einer Offensive in Rafah sei die militärische Logik eine Überlegung. "Aber es gibt auch eine humanitäre Logik", sagte Scholz. "Wie sollten mehr als 1,5 Millionen Menschen geschützt werden? Wo sollten sie hin?"
Netanyahu verspricht Schutz der Zivilbevölkerung
Netanyahu sagte nach dem Treffen, man sei sich einig gewesen, dass "die Hamas eliminiert werden muss". Es werde keinen Frieden geben, solange die islamistische Terrororganisation im Gazastreifen bestehen bleibe.
Vor einer Offensive in Rafah werde die Zivilbevölkerung in Sicherheit gebracht. Israel unternehme außerdem äußerste Anstrengungen, um Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen "über Land, über See und aus der Luft" zu ermöglichen.
Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen, Schraffur: Israelische Armee
Besuch auch in Jordanien
Schon zuvor hatte Scholz bei einem Besuch in Jordanien eine Waffenruhe gefordert. "Es ist ganz klar, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Situation nicht noch schlimmer wird als sie ist", sagte er nach einem Gespräch mit König Abdullah mit Blick auf Rafah.
Netanyahu hatte am Freitag die umstrittene Bodenoffensive in Rafah genehmigt. Dort suchen nach Schätzungen 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Schutz. Hilfsorganisationen warnen vor vielen weiteren zivilen Toten.
Neue Gespräche in Katar?
Örtlichen Medienberichten zufolge will Israels Kriegskabinett noch heute mit Netanyahu zusammenkommen, um über die Entsendung einer Delegation nach Katar zu entscheiden. Dort sollen die zuletzt ins Stocken geratenen Gespräche weitergehen, nachdem die Hamas den Vermittlern einen neuen Vorschlag vorgelegt hatte.
Luftbrücke angelaufen
Während Scholz in Akaba den jordanischen König traf, bereitete die Luftwaffe knapp 400 Kilometer entfernt auf der King Abdullah II Airbase weitere Hilfsflüge vor. Damit beteiligt sich Deutschland an der jordanischen Initiative einer Luftbrücke für den Gazastreifen.
Nachdem am Samstag die erste Lieferung von vier Tonnen Lebensmitteln - unter anderem Reis und Mehl - aus einem Transportflugzeug an Fallschirmen über dem Norden des Palästinensergebietes abgesetzt worden war, gab es heute den zweiten Hilfsflug. Auch andere Staaten beteiligen sich.
Scholz sagte, Deutschland unterstütze die jordanische Armee auch weiter mit Kerosin. Jordanien gilt vielen Beobachtern als eines der Schlüsselländer bei den Bemühungen, mäßigend auf die palästinensische Seite einzuwirken. Rund 60 Prozent der jordanischen Bevölkerung haben palästinensischen Wurzeln. Außerdem hat das Land gute Beziehungen zu Israel und verwaltet die drittheiligste Stätte des Islam - die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem.
Mit Informationen von Tilo Spanhel, ARD-Studio Kairo