"Taurus"-Debatte "Stierkampf" im Bundestag
Die Union wirft dem Kanzler Täuschung in der "Taurus"-Debatte vor. Der reagiert mit einer Gegenoffensive. Auffällig ist allerdings, wer dem Kanzler im Bundestag applaudiert - und wer nicht.
Der Reiz an Formaten wie der Kanzlerbefragung liegt darin, dass all die, die sich sonst in Talkshows und Zeitungsinterviews schwere Vorwürfe machen, direkt aufeinandertreffen. Und da sitzen sie nun. Zum Beispiel der CDU-Politiker Norbert Röttgen und Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, die dem Verteidigungsausschuss vorsitzt. Nur wenige Meter vor ihnen sitzt der Mann, dem sie vorwerfen, die Ukraine nicht ausreichend zu unterstützen: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Vor allem von Norbert Röttgen (CDU) wurde Scholz zuletzt nicht geschont. In einem Gastbeitrag, den er gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter geschrieben hat, warf er dem Kanzler "katastrophalen Defätismus" vor, was sich mit Mutlosigkeit, Schwarzmalerei und der Neigung zum Aufgeben übersetzen lässt. Es dürfte wenig überraschen, dass dieser Text keine große Begeisterung beim Koalitionspartner SPD ausgelöst hat.
Scholz will "Stier bei den Hörnern packen"
Über einzelne Waffensysteme sehr erregt zu diskutieren ist eine deutsche Eigenart, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine immer wieder aufgeführt wird. Und so sehr sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wünscht, dass die "Taurus"-Debatte ein Ende findet, wird im Bundestag wieder lebhaft über genau dieses Thema diskutiert.
Weil Scholz offenbar geahnt hat, dass das passiert, ist er schon im Eingangsstatement auf sein Nein zur "Taurus"-Lieferung eingegangen. Er wolle "den Stier bei den Hörnern packen" und erklären, warum er so entschieden habe. Als Kanzler habe er besonnene Entscheidungen zu treffen, gerade in Fragen von Krieg und Frieden. Dass Taurus ein lateinisches Wort ist und übersetzt Stier bedeutet, ist entweder Zufall oder ein etwas kurioses Verständnis von Humor.
Der Marschflugkörper vom Typ "Taurus" ist rund fünf Meter lang und wiegt fast 1.400 Kilogramm. Er ist mit einem eigenen Triebwerk und mehreren Navigationssystemen ausgestattet, die einen autonomen Tiefflug durch gegnerisches Gebiet ermöglichen. Das bedeutet, die Marschflugkörper können im Krieg aus sicherer Entfernung von Kampfflugzeugen abgefeuert werden und Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung treffen und zerstören.
Da die Marschflugkörper besonders tief fliegen und relativ klein sind, können sie von der gegnerischen Flugabwehr nur schwer getroffen werden. Die Bundeswehr hat das Waffensystem "Taurus" seit 2005. Es kann mit den Kampfflugzeugen "Tornado" und "Eurofighter" zum Einsatz gebracht werden. Hersteller ist eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns MBDA.
Der Marschflugkörper "Taurus" ist das deutsch-schwedische Gegenstück zu den parallel entwickelten britisch-französischen Marschflugkörpern "Storm Shadow" und "Scalp".
Scholz wirft Röttgen Halbwahrheiten vor
Es ist weiterhin vor allem die Union, die versucht, den Kanzler vor sich herzutreiben. Was der wirkliche Grund sei, dass Scholz keine "Taurus" liefere, wollte ein Unionsabgeordneter wissen. Es ist einer der gängigen Vorwürfe von CDU und CSU. Sie unterstellen dem Kanzler, die Unwahrheit zu sagen.
Auch der CDU-Außenexperte Röttgen wagt einen Vorstoß. Er will ebenfalls wissen, warum der Kanzler beim Marschflugkörper so zögerlich agiere. Es ist der einzige Moment in den rund 70 Minuten Befragung, in dem Scholz' Blutdruck spürbar in die Höhe schnellt. "Lieber Norbert", beginnt er seine Ausführungen, die dann alles andere als liebevoll klingen.
Scholz wirft Röttgen vor, mit Halbwahrheiten öffentliche Kommunikation zu betreiben - wider besseres Wissen. Als Kanzler sei es seine Aufgabe, die Sicherheit in Deutschland zu garantieren, argumentiert Scholz. Darauf habe er seinen Eid geschworen. Den Vorwurf, stets zögerlich zu agieren, vor allem bei den Lieferungen von Waffen, kontert Scholz mit Zahlen.
Er verweist auf die Statistiken, die zeigen, dass Deutschland mittlerweile zu den stärksten Unterstützern der Ukraine gehört. Gerade deswegen sei Besonnenheit wichtig, sagt Scholz. Darauf habe die Bevölkerung einen Anspruch.
Hoffen auf Risse in der Koalition
Auch in der heutigen Parlamentsdebatte sind es die immer gleichen Antworten, auf die immer gleichen Fragen. Auffällig ist allerdings, wer dem Kanzler für seine Antworten applaudiert - meist nur die Abgeordneten der SPD. Die Zurückhaltung aus den Reihen der Koalitionspartner von Grünen und FDP ist deutlich.
Und als dann auch noch ein Lob von der AfD kommt, ist die Verwirrung perfekt. Ein Abgeordneter der Partei, die im Parlament rechtsaußen sitzt, spricht Scholz seine Unterstützung für den besonnenen Kurs in der "Taurus"-Frage aus. Und während sich einige Unionsabgeordnete ins Fäustchen lachen, sagt Scholz nur: "Auf diese Unterstützung verzichte ich."
Doch auch wenn die Argumente ausgetauscht scheinen, soll schon morgen wieder der "Taurus" zum Thema werden. Die Union will erneut über die Lieferung des Marschflugkörpers abstimmen lassen. Sie hofft, dass die Ampelkoalition Risse bekommt. Beim letzten Mal hatte bereits die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann für den Antrag der oppositionellen Konkurrenz gestimmt. Vielleicht werden es dieses Mal noch etwas mehr, so die Hoffnung bei Friedrich Merz und Co.
Doch selbst wenn eine überwältigende Mehrheit im Parlament dem CDU-Antrag zustimmen sollte, würde deswegen kein einziger "Taurus" in die Ukraine geliefert werden. Darüber entscheidet letztlich der Kanzler. Und der wirkt fest entschlossen, es derzeit nicht zu tun.