Waffenlieferungen Wie Deutschland der Ukraine hilft
Zu wenig, zu spät: Dieser Vorwurf hat die Bundesregierung über Monate begleitet. Tatsächlich ist die Liste der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine lang: von Panzerfäusten über Raketenwerfer bis zur Flugabwehr.
Die Ausgangslage
Als Olaf Scholz drei Tage nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs ans Rednerpult tritt, ist bereits klar, dass dies eine besondere Bundestagssitzung wird. "Wir erleben eine Zeitenwende", sagt der Kanzler damals. "Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor."
Die Sondersitzung des Parlaments am 27. Februar vergangenen Jahres markiert den Beginn großer Umwälzungen in der deutschen Politik. Eine davon betrifft den Grundsatz, wonach die Bundesrepublik keine Waffen in Kriegsgebiete liefert. Bis zum Überfall auf die Ukraine ist dies zumindest die offizielle Haltung in Berlin, auch wenn man sich dort in den Augen von Kritikern schon vorher nicht immer an dieses Prinzip gehalten hat. Jetzt aber vollzieht die Bundesregierung in aller Klarheit einen Kurswechsel. "Auf Putins Aggression", so Scholz, "konnte es keine andere Antwort geben."
Wie hat Deutschland die Ukraine anfangs unterstützt?
Als das russische Regime im vergangenen Winter Zehntausende Soldaten an die Grenzen zur Ukraine schickt, bittet Kiew den Westen um erste Waffenlieferungen. Doch zunächst zögert die Bundesregierung: Die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) verspricht lediglich 5000 Helme - und will das als "ganz deutliches Signal" verstanden wissen. Eine Formulierung, die der Bundesregierung viel Spott einbringt.
Doch gleich nach Kriegsbeginn leitet die Regierung einen Kurswechsel ein - und ringt sich zu ersten Waffenlieferungen durch: Zwei Tage nach dem russischen Einmarsch wird die Entscheidung bekannt, dass Berlin 1000 Panzerabwehrwaffen und 500 Boden-Luft-Raketen bereitstellt. Die Waffen kommen kurze Zeit später in der Ukraine an. Es folgen Tausende weitere Panzer- und Fliegerfäuste.
Welche schweren Waffen wurden geliefert?
Im Laufe des Frühjahrs steigt der Druck auf die Bundesregierung, auch schwere Waffen zu liefern, also Artilleriegeschütze oder Panzer. Entsprechende Forderungen kommen aus Kiew, aber auch aus den Reihen der Ampelkoalition. Zwei Monate nach Kriegsbeginn sagt Lambrecht schließlich zu, der Ukraine Flakpanzer vom Typ "Gepard" zu liefern. 32 dieser Panzer hat das angegriffene Land inzwischen erhalten, fünf weitere sollen noch geliefert werden. Bei der Bundeswehr ist der "Gepard" längst ausgemustert, doch die ukrainischen Verteidiger setzen ihn erfolgreich zur Flugabwehr ein - beispielsweise bei Drohnenangriffen.
Anfang Mai kündigt Berlin an, schwere Artillerie aus Bundeswehrbeständen abzugeben. 14 "Panzerhaubitzen 2000" wurden mittlerweile geliefert. Es handelt sich um ein selbstfahrendes gepanzertes Geschütz, das Ziele in einem Umkreis von 30 bis 40 Kilometern erreichen kann. In dieser "großen Kampfentfernung" sieht die Bundeswehr die Stärke dieses Waffensystems. Eine noch größere Reichweite haben die Raketenwerfer des Typs "Mars II", von denen Deutschland bisher fünf geliefert hat. Damit können Ziele in einer Entfernung von bis zu 84 Kilometern bekämpft werden - also weit hinter den Frontlinien.
Welche Rolle spielt die Luftverteidigung?
Eine große. "Priorität Nummer eins ist die Luftverteidigung", sagt der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Hintergrund sind die russischen Angriffe mit Raketen und Drohnen auf ukrainische Städte sowie die Energieinfrastruktur des Landes.
Um die Luftverteidigung der Ukraine zu stärken, hat Deutschland bisher ein System vom Typ "Iris-T SLM" geliefert, drei weitere sollen folgen. Es besteht aus einem Radar, Abschussvorrichtungen und Raketen. Ganze Städte sollen damit vor Luftangriffen geschützt werden können. Darüber hinaus will die Bundesregierung der Ukraine eine Flugabwehrbatterie vom Typ "Patriot" zur Verfügung stellen. Das System kann laut Bundeswehr fünf Ziele gleichzeitig bekämpfen, bei einer Reichweite von fast 70 Kilometern.
Welche Kampf- und Schützenpanzer will die Bundesregierung liefern?
Anfang Januar geschieht das, was manche "Panzerwende" nennen. Nach fast einem Jahr Krieg kündigt die Bundesregierung an, Kiew 40 Schützenpanzer zu liefern. Die Kettenfahrzeuge vom Typ "Marder" stammen aus der Zeit des Kalten Kriegs, sind aber bis heute bei der Bundeswehr im Einsatz. Der "Marder" ist für den sicheren Transport von Soldaten ins Gefechtsfeld gedacht, er ist unter anderem mit einer Bordkanone und einem Maschinengewehr ausgestattet. Die Ukraine soll die Schützenpanzer noch im Frühjahr bekommen, aus Industrie- und Bundeswehrbeständen.
Ende Januar verspricht die Bundesregierung auch die Lieferung von Kampfpanzern, nach monatelanger Debatte. Geplant ist, dass die Bundeswehr 14 moderne Panzer vom Typ "Leopard 2 A6" abgibt. Andere Staaten sollen weitere Kampfpanzer beisteuern - allerdings bleiben die Zusagen mancher Partnerländer bisher hinter den Erwartungen zurück. Die ukrainische Regierung hofft, mithilfe westlicher Kampfpanzer eine neuerliche Offensive der russischen Angreifer abzuwehren und besetzte Gebiete zurückzugewinnen.
Zusätzlich soll die Ukraine den älteren "Leopard 1"-Panzer erhalten. Nach einem Beschluss der Bundesregierung dürfen bis zu 178 Exemplare aus deutscher Produktion exportiert werden. Wie viele es am Ende werden, hängt davon ab, in welchem Umfang die bei Rüstungsfirmen gelagerten Panzer instandgesetzt werden können.
Welche Waffen will die Ukraine darüber hinaus erhalten?
Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz in der vergangenen Woche entwickelt sich eine Diskussion darüber, ob die Ukraine auch Streumunition und Phosphorbomben bekommen sollte - angestoßen von ukrainischer Seite. Streumunition ist allerdings international geächtet. Sie setzt in der Luft dutzende kleinere Sprengsätze frei, die wahllos Menschen verletzen oder töten können. Russland wird vorgeworfen, in der Ukraine auch diese Form der Munition einzusetzen. Phosphorbomben können schwerste Verbrennungen verursachen. Die NATO erteilt der Lieferung solcher Waffen an Kiew umgehend eine Absage.
Seit Langem bittet die ukrainische Regierung zudem um westliche Kampfjets. Doch die Bundesregierung stellt schon in der Anfangsphase des Kriegs klar, dass eine solche Lieferung nicht zur Debatte stehe. Kurz nach der Panzerentscheidung der Bundesregierung flammt die Diskussion zu Beginn dieses Jahres zwar wieder auf. Berlin will aber nach wie vor keine Kampfjets liefern - unter anderem wegen des befürchteten Eskalationspotenzials. Außerdem verweist der neue Verteidigungsminister darauf, dass Deutschland in dieser Frage ohnehin nicht im Fokus stehe. Tatsächlich dreht sich die Diskussion eher um US-amerikanische "F-16"-Jets, über die die Bundesrepublik nicht verfügt.
Welche Partei ist für Waffenlieferungen, welche dagegen?
Von den im Bundestag vertretenen Parteien setzen sich vor allem Grüne und FDP in den vergangenen Monaten dafür ein, dass Deutschland die Ukraine auch mit schweren Waffen wie Panzern unterstützt. Ihr Argument: Die russische Invasion lasse sich nur mit massiver Militärhilfe stoppen. Bleibe diese aus, werde sich das Putin-Regime ermutigt fühlen, auch andere Länder anzugreifen.
Lange ist von den kleinen Koalitionspartnern Kritik am Kanzler zu hören: Er und seine SPD seien in Sachen Waffenlieferungen zu zögerlich, heißt es. Doch mit der "Panzerwende" scheint die Koalition diesen Streit beigelegt zu haben. Aufseiten der Opposition ist das Bild uneinheitlich. Die Union befürwortet die Waffenlieferungen und hätte sich von Anfang an mehr Tempo und Entschlossenheit vom Kanzler gewünscht.
Dagegen sehen AfD und Linke im Bundestag die Militärhilfen für die Ukraine kritisch - insbesondere die Lieferung von Kampfpanzern. Beide Fraktionen befürchten, dass der Krieg so erst recht eskalieren könnte.