Umbau des Verteidigungsministeriums Die Mammutaufgabe des Boris Pistorius
Verteidigungsminister Pistorius steht vor einer Mammutaufgabe: die Reform seines Hauses. Dass die dringend notwendig ist, darüber herrscht Einigkeit. Doch das heißt noch lange nicht, dass ein Erfolg garantiert ist.
Eigentlich soll ein Organigramm Übersicht und Orientierung geben, soll Strukturen erklären. Bei der Ankunft von Boris Pistorius im Verteidigungsministerium war der Eindruck jedoch ein ganz anderer. Das erzählt der SPD-Verteidigungspolitiker Johannes Arlt.
Der Minister habe sein Vorzimmer kennengelernt, seinen Schreibtisch in Besitz genommen und sich dann mit dem Organigramm vertraut gemacht. "Er wollte verstehen, wie sein Haus funktioniert. Und daran ist er gescheitert."
Es ist ein vernichtendes Urteil. Zugleich ist es ein Eindruck, den auch weniger versierte Verwaltungsmenschen als Pistorius, der schon das niedersächsische Innenministerium geleitet hat, teilen werden. Das Organigramm zeigt graue Kästchen für den Dienstsitz Berlin, weiße für Bonn. Gestreifte für beide Standorte. Zehn Abteilungen, 3000 Mitarbeitende. Für Arlt zeigt dieses Organigramm vor allem ein Haus, das so nicht führbar ist.
Pistorius habe sich nun einige Wochen Zeit genommen, um die Abläufe im Haus besser beurteilen zu können, im nächsten Schritt informiere er jetzt die Mitarbeiter - dann beginnt der Umbau. Oder, wie Arlt das nennt, Pistorius "wäscht quasi den Kopf" des Ministeriums. Und dieser Kopf ist unverhältnismäßig groß: mit 500 Leitungskräften.
Union: Führungserfolg auch eine Frage der Persönlichkeit
Wer diese Strukturen angeht, muss Widerstände einkalkulieren - besonders in einem Haus, das vor allem unter der Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) immer wieder wegen Durchstechereien auffiel. Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die den Verteidigungsausschuss leitet, liegt das auch daran, dass das Ministerium viele Jahre unionsgeführt war. Da gebe es durchaus welche, sagt sie, die Freude daran hätten, wenn ein SPD-Minister scheitere.
Doch auch die oppositionelle Union traut Pistorius allerhand zu. Selbst den Umbau dieses Riesen-Ministeriums. CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sagt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio, Führungserfolg sei auch eine Frage der Persönlichkeit - und genau die bringe Pistorius mit. Zugleich müsse er gerade zu Beginn seiner Amtszeit die schmerzhaften Einschnitte machen. Klar sei: "Das wird eine Mammutaufgabe".
Strack-Zimmermann sagt es auf ihre saloppe Art so: "Er hat nur einen Schuss", und den sollte er sehr früh setzen. Damit auch wirklich alle wissen, dass sich etwas ändert.
Pistorius richtet neuen Planungs- und Führungsstab ein
Eine erste Maßnahme hat Pistorius Anfang des Monats per Brief angekündigt. "Soldatinnen und Soldaten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", heißt es da militärisch knapp in der Anrede. Datiert ist das Schreiben auf 6. April. Das Ministerium müsse sich für die neuen Herausforderungen besser aufstellen. Pistorius kündigt zunächst einen neuen Planungs- und Führungsstab an. Den gab es auch früher schon einmal, bis er unter CDU-Minister Thomas de Mazière wegfiel.
Dieser Stab soll wie ein Brennglas die Vielfalt des Hauses für den Minister bündeln. Laut Verteidigungspolitiker Arlt bekommt ein Minister jeden Tag 150 bis 200 Vorlagen aus seinem Haus. Die müssten sortiert und gefiltert werden. Sonst könnte es sein, dass in verschiedenen Bereichen am Ende "völlig unterschiedlich über dieselbe Vorlage entschieden wird" - und niemand koordiniert.
Das Ziel: eine "kaltstartfähige" Bundeswehr
Diesen Planungs- und Führungsstab wird der Brigadegeneral Christian Freuding leiten. Auch das hat Pistorius bereits in seinem Schreiben an die Mitarbeiter angekündigt. Freuding war bislang Chef des Sonderstabs Ukraine. Zudem war er bereits im alten Planungsstab Referent und kennt damit dessen Arbeit. Damit weiß er auch, was besser und anders gemacht werden muss.
Es gehe ja nicht um "eine Kopie der alten Zeit", sagt Kiesewetter. Denn auch die sei ja nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Aufgabe sei es heute, die Fähigkeiten der verschiedenen Bereiche zu nutzen und letztlich eine "kaltstartfähige" Bundeswehr zu organisieren.
Schon aber äußern sich auch erste kritische Stimmen. Für die Linke verlagert sich damit ein Stück weit politische Führung auf die militärische Ebene. Das könne die politische Führungsfähigkeit des Hauses unter Umständen "extrem beeinträchtigen". Aus Sicht von Kathrin Vogler ist das ein Fehler. Sie findet eine solche Entwicklung "hochproblematisch".
Geforderter massiver Stellenabbau kommt wohl nicht
Ein massiver Stellenabbau zeichnet sich - zumindest derzeit - im Verteidigungsministerium nicht ab. "Massenentlassungen gibt es in Ministerien nicht", sagt Verteidigungsexperten Strack-Zimmermann.
Kritiker aber fordern genau das. So sieht es etwa Christian Mölling. Er ist Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und spricht sich für eine radikale Verkleinerung aus. Nur damit könne sich eine echte Dynamik entwickeln, so dass "die Organisation sich selbst schüttelt". Sprich: begreift, dass ein grundlegend neuer Weg beschritten werden muss. Wenn aber nur zehn Prozent der Stellen abgebaut würden, sagt Mölling, dann "absorbiert der Apparat das selber, das ist kein Problem."
Umbau wird Zeit brauchen
Mölling begrüßt, dass Pistorius den Umbau an der Spitze des Verteidigungsministeriums beginnt. Dort also, wo die meiste Macht ist. "Klar ist aber auch: Man kann da jetzt nicht stehen bleiben". Es dürfte Jahre dauern, bis die Ziele wirklich erreicht sind - wenn sie denn erreicht werden.
Fraglich ist also, wie prägend Pistorius, der jetzt 63 Jahre alt ist, für das Haus sein wird und sein kann. Zugleich liegt durchaus auch Stärke in dieser womöglich letzten Aufgabe eines politischen Lebens. "Pistorius hat ja nichts zu verlieren", so sieht es Kiesewetter. Der Minister stehe am Gipfelpunkt seiner Karriere und könne so sein ganzes Gewicht einbringen.
Dringend notwendige Zeitenwende
Die Zeitenwende muss endlich im Verteidigungsministerium selbst ankommen, auch diese Einschätzung hört man immer wieder von Verteidigungspolitikern, von Ampel bis Union. "Da muss einfach Schwung in die Bude", bringt es Strack-Zimmermann auf den Punkt.
Es gibt also viele Ratschläge für Pistorius. Der hat sich nach nicht einmal 100 Tagen im Amt eine hohe Beliebtheit erarbeitet. Mit dem Ministeriumsumbau kommt eine weitere Bewährungsprobe auf ihn zu, schließlich hat das Haus seine Beharrungskraft oft bewiesen.
Für Pistorius dürfte genau das ein ziemlich schlimmes Wort sein. Er spricht lieber von einem neuen Drive, wie zuletzt beim Chefinnenwechsel beim Beschaffungsamt der Bundeswehr. Und genau dieser Drive sei notwendig, "weil wir an jeder Beschleunigungsschraube drehen wollen und müssen, die wir finden können."