Carsten Breuer und Boris Pistorius
Analyse

Umbau des Verteidigungsministeriums Reform eines Riesen

Stand: 14.04.2023 14:03 Uhr

Das Verteidigungsministerium gilt als bürokratischer Koloss. Boris Pistorius will den Apparat verschlanken, um mehr Tempo in die Zeitenwende zu bekommen. Wie soll das gehen?

Eine Analyse von Cosima Gill und Mario Kubina, ARD Berlin

Boris Pistorius ist erst seit knapp zwölf Wochen im Amt. Doch schon in dieser kurzen Zeit hat der neue Verteidigungsminister zu erkennen gegeben, was er anders machen will als seine glücklose Vorgängerin.

Kritiker werfen Christine Lambrecht unter anderem vor, sich nicht an eine grundlegende Reform des Verwaltungsapparats gewagt zu haben. Ihr Nachfolger hat sich nun die Strukturen und Prozesse im Ministerium "genau angeschaut". So schreibt es Pistorius in einem Brief an die Beschäftigten, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Der SPD-Politiker lässt durchblicken, dass er eine umfassende Reform anstrebt, um das Ministerium "mit Blick auf die neuen Herausforderungen" besser aufzustellen.

Wer sich über das Organigramm des Hauses beugt, schaut auf ein Geflecht von Leitungsbüros, Verwaltungsstäben und Abteilungen. Insgesamt arbeiten im Verteidigungsministerium etwa 3000 Menschen, verteilt auf die Dienstsitze Berlin und Bonn. Nur das Auswärtige Amt ist größer - auch wegen der vielen Auslandsvertretungen.

Auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios teilt das Verteidigungsministerium mit, dass etwa 500 Leute im Leitungsbereich arbeiten, die meisten von ihnen in Berlin. Zum Vergleich: Das Wirtschaftsministerium kommt mit 60 Menschen auf Leitungsebene aus. Dabei hat das Haus von Minister Robert Habeck mit der Energiewende eine Herausforderung zu stemmen, die mit der geplanten Modernisierung der Bundeswehr wohl vergleichbar ist.

Abläufe sollen unbürokratischer werden

Ein effizienter Leitungsbereich dürfte entscheidend dafür sein, ob Pistorius die Modernisierung der Bundeswehr mit höherem Tempo vorantreiben kann, als das unter Lambrecht und ihren Vorgängern und Vorgängerinnen der Fall war. Folgerichtig geht es dem neuen Ressortchef darum, "vom Kopfe beginnend, die Prozesse und Strukturen schneller zu machen, unbürokratischer zu machen", wie es ein Ministeriumssprecher ausdrückt.

Ob der geplante Umbau unterm Strich einen Stellenabbau nach sich zieht oder mit internen Umschichtungen bewerkstelligt werden kann, ist dem Vernehmen nach noch offen. Fest steht aber, dass sich die Strukturen im Ministerium ändern werden.

In einem ersten Schritt will Pistorius einen Planungs- und Führungsstab einrichten - als Schnittstelle zwischen dem weit verzweigten Ministerium und der politischen Leitung des Hauses. Einen solchen Stab gab es im Verteidigungsministerium schon einmal: Er war Ende der 1960er-Jahre eingerichtet worden, um zentrale militärstrategische Ziele zu entwickeln. Im Jahr 2012, während der Amtszeit von CDU-Minister Thomas de Maizière, wurde die Einheit abgeschafft.

Mölling: "Die Reform wird zehn bis 15 Jahre dauern"

Dass Pistorius wieder auf ein solches Instrument zur Steuerung des Ministeriums setzen will, findet die größte Oppositionsfraktion im Bundestag gut. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter schreibt auf ARD-Anfrage, die Wiedereinführung eines Planungsstabs sei "hilfreich, um eine Zeitenwende im Mindset und der Haltung der gesamten Bundeswehr anzuregen". Dazu brauche es zudem starke Führungspersönlichkeiten.

Der AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen beschreibt die Aufgabe im ARD-Morgenmagazin so: "Es gilt jetzt, die - ich würde mal sagen - 'Generation Afghanistan' abzulösen und die 'Generation Landes- und Bündnisverteidigung' einzusetzen." Damit bezieht sich Lucassen auf die laufende Umorientierung der Bundeswehr: Aus einer Armee, die auf flexible Auslandseinsätze fokussiert war, soll eine Streitkraft werden, die sich auf die Verteidigung des NATO-Territoriums konzentriert.

Aus Sicht von Fachleuten sind die Umbaupläne überfällig: Es gebe einen großen Reformstau im Ministerium, stellt Christian Mölling fest, Verteidigungsexperte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Die Reform wird zehn bis 15 Jahre dauern, bis sie komplett ist", sagt er im ARD-Morgenmagazin. Lange seien Minister und Ministerinnen die Reformen nicht ausreichend angegangen. Und er ergänzt: "Über die Jahre sind die Verantwortlichkeiten im Verteidigungsministerium immer kleinteiliger geworden." Das führe zu langsamen Entscheidungsprozessen.

"Eine Gesamtaufgabe der Regierung," Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, zu Bundeswehrreform

Morgenmagazin

Keine leichte Aufgabe

Im Hinblick auf den vorgesehenen Planungsstab ist für Mölling entscheidend, welche konkrete Aufgabe die neue Einheit erhalten wird: "Geht es darum, Politik zu entwerfen, den Minister zu schützen oder das Ministerium zu steuern? Würde der Stab alle drei Aufgaben übernehmen, kann er nicht alle gleichermaßen richtig erfüllen."

Keine leichte Ausgangslage also für Brigadegeneral Christian Freuding. Er soll die Leitung des neuen Stabs übernehmen. Der Offizier managt zurzeit den Sonderstab Ukraine im Ministerium. In dieser Funktion koordiniert er die deutsche Militärhilfe für Kiew. Viele Internetnutzer kennen ihn zudem aus YouTube-Videos, in denen er auf dem Bundeswehr-Kanal unter anderem die Situation in dem angegriffenen Land erklärt.

Unlängst tauschte Pistorius schon mehrere Spitzenkräfte im Ministerium aus: Neuer Generalinspekteur ist Carsten Breuer, der in seiner Zeit als Leiter des früheren Corona-Krisenstabs der Bundesregierung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Als ranghöchster Soldat der Bundeswehr folgt er auf Eberhard Zorn.

Darüber hinaus hat das Ministerium mit Nils Hilmer einen neuen Staatssekretär bekommen. Er gilt als Vertrauter des Ministers und soll eine wichtige Rolle beim geplanten Umbau des Hauses spielen.

"Ich bitte hier um Ihr Vertrauen"

Dass man sich mit einem solchen Projekt nicht nur Freunde macht, ist Pistorius wohl bewusst. In dem Brief an die Beschäftigten verspricht er, personelle Veränderungen in Spitzenpositionen transparent zu machen. Und schiebt nach: "Ich bitte hier um Ihr Vertrauen."

Wie es im Haus weitergeht, soll die Belegschaft in der kommenden Woche erfahren. Dann wird der neue Verteidigungsminister gerade mal drei Monate im Amt sein. Keine Frage: Pistorius hat es eilig, für die geplante Reform aber braucht er einen langen Atem.

Mario Kubina, Mario Kubina, ARD Berlin, 05.04.2023 17:14 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD Morgenmagazin am 13. April 2023 um 08:12 Uhr.