Streit über "Wachstumschancengesetz" Regierung um Schadensbegrenzung bemüht
Streit in der Ampel? Die Koalition versucht, diesen Eindruck zu entkräften. Ein "Wachstumschancengesetz" werde noch im August beschlossen, sagt der Kanzler. Und Familienministerin Paus hat bei der Kindergrundsicherung offenbar noch mal neu gerechnet.
Es ist ein bemerkenswerter Vorgang: Eine Ministerin blockiert im Kabinett ein Gesetz eines anderen Ministers, obwohl der Entwurf im Vorfeld - wie üblich - zwischen verschiedenen Ressort abgestimmt worden war. Allgemein wird das als Streit innerhalb der Ampelkoalition wahrgenommen, doch die versucht, das als normalen Vorgang darzustellen:
"Ich sehe hier einen sehr sachlichen Ton der Auseinandersetzung. Und dass über so wichtige Gesetzesvorhaben wie das 'Wachstumschancengesetz' und die Kindergrundsicherung auch angesichts einer knappen Haushaltslage gerungen wird, auch über die Einzelheiten, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.
Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz spielt das Problem herunter. "Wir beschließen noch in diesem Monat ein Wachstumschancengesetz", sagte der SPD-Politiker beim NRW-Unternehmertag in Düsseldorf. Es gehe darum, Unternehmen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen auf breiter Front zu entlasten.
Nach dem Veto aufs Velo: Ministerin Paus nach Ende der Kabinettssitzung, auf der das "Wachstumschancengesetz" dann doch nicht auf der Tagesordnung stand.
"Zwei bis sieben" statt ursprünglich zwölf Milliarden Euro?
Was war geschehen? Anders als geplant kam das "Wachstumschancengesetz" von Finanzminister Christian Lindner nicht auf die Tagesordnung der Kabinettssitzung am Mittwoch. Die grüne Familienministerin Lisa Paus blockierte das Vorhaben ihres FDP-Kollegen in letzter Sekunde.
Man könne nicht so viel Geld in die Wirtschaft stecken, aber nicht mehr in die Kindergrundsicherung zur Unterstützung von Familien mit wenig Geld, argumentierte Paus nach Angaben aus Regierungskreisen.
Das Gesetzespaket aus dem Hause Lindner soll die Wirtschaft um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten - ein Vorhaben, dem der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ausdrücklich zugestimmt hat.
Die grüne Familienministerin Paus will mit der Kindergrundsicherung verschiedene Leistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag bündeln und leichter zugänglich machen - ein Vorhaben, das so im Koalitionsvertrag steht. Streitpunkt dabei ist schon lange das Geld.
Paus wollte für die Kindergrundsicherung ursprünglich mal zwölf Milliarden Euro - weit mehr, als Finanzminister Lindner eingeplant hat. Von diesen zwölf Milliarden rückt sie nun offensichtlich ab. "Die Kindergrundsicherung ist das wichtigste sozialpolitische Projekt der Bundesregierung", sagte Paus der Zeitung "Welt". Dafür brauche man Einigkeit, daher sei sie gesprächsbereit.
Ihr Haus habe verschiedene Varianten durchgerechnet, über die die Bundesregierung jetzt im Gespräch sei. In der "Welt" und im "Spiegel" nannte sie nun einen Korridor "von zwei bis sieben Milliarden Euro".
FDP-Vize: "Erpressungen können keine Zukunft haben"
Gleichzeitig wies Paus aber den Vorwurf zurück, sie habe mit der Blockade des "Wachstumschancengesetzes" mehr Geld für die Kindergrundsicherung herausschlagen wollen. "Ich halte nichts davon, wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen oder höhere Verteidigungsausgaben gegen mehr Mittel für armutsbedrohte Familien auszuspielen", sagte sie der "Welt".
Politiker aus den Reihen der Ampelparteien hatten das aber genau so verstanden. "Sie hat ihrem Anliegen einen schlechten Dienst erwiesen, denn Erpressungen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes massiv beeinträchtigen, können in der Fortschrittskoalition keine Zukunft haben", meinte etwa FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki.
Meseberg soll nun die Lösung bringen
Laut Kanzler Scholz soll das "Wachstumschancengesetz" nun bei der Kabinettsklausur in Meseberg Ende August beschlossen werden. Die wenigen Tage bis dahin werde man nutzen, um das Gesetz "noch ein bisschen schöner zu machen".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser bestritt sogar, dass es überhaupt einen Konflikt in der Koalition gibt: "Ich stelle keinen Ärger in der Bundesregierung fest", sagte die SPD-Politikerin bei einem Besuch in Hessen - wo sie sich gerade im Wahlkampf befindet und Gegenwind durch Ärger in Berlin auch nicht gebrauchen kann.