Der zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht

Urteil zur Wahlrechtsreform "Eine Klatsche für die Ampel"

Stand: 30.07.2024 12:00 Uhr

Vor allem Linke und CSU lehnten die Wahlrechtsreform der Ampel ab. Das Karlsruher Urteil kommt ihnen also gerade recht. CSU-Chef Söder sprach von einer Klatsche und kündigte an, weitere Teile der Novelle rückgängig machen zu wollen.

Die Union wertet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht als Schlappe für die Ampel-Regierung. Der CDU-Rechtspolitiker Günter Krings sprach im Deutschlandfunk von einer großen Niederlage der Ampel wegen der Verschärfung der Fünf-Prozent-Klausel.

Die CSU-Expertin Andrea Lindholz sagte RTL/ntv, es sei richtig, dass das Gericht die von der Ampel geplante Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel gestoppt habe. "Ich bin sehr froh, dass das Bundesverfassungsgericht kleine Parteien, regionale Parteien wie auch die CSU damit stärkt."

Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Wahlrecht in Teilen verfassungswidirg

Kolja Schwartz, SWR

Söder spricht von "Wahlmanipulation" der Ampel

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nahm das Wahlrechts-Urteil mit Genugtuung auf. "Das ist ein klarer Erfolg für die CSU und Bayern - und eine Klatsche für die Ampel. Die Wahlmanipulation der Ampel ist entlarvt und richterlich verworfen worden", sagte der CSU-Vorsitzende der Nachrichtenagentur dpa.

"Das Urteil ist eine Bestätigung in unserem Kernanliegen, der sogenannten Grundmandatsklausel. Damit ist nach menschlichem Ermessen sichergestellt, dass die CSU im nächsten Bundestag vertreten ist", sagte Söder. Wermutstropfen sei die Akzeptanz der neuen Zuteilungsregelung, denn diese bedeute ein Minus an direkter Demokratie.

CSU will Zuteilungsregelung korrigieren

Nach dem neuen Wahlrecht ist für die Zahl der Sitze im Parlament künftig allein das Zweitstimmenergebnis einer Partei entscheidend - auch dann, wenn sie mehr Direktmandate geholt hat. Dann gehen die Wahlkreisgewinner mit den schlechtesten Erststimmenergebnissen leer aus.

"Damit ist aber auch klar, dass ein Stimmensplitting dazu führen kann, dass Bayern im nächsten Bundestag schlechter vertreten wäre", argumentierte Söder. "Das heißt: Nur beide Stimmen für die CSU garantieren bayerische Abgeordnete im Bundestag."

Söder kündigte aber auch an, eine unionsgeführte Bundesregierung wolle die neue Zuteilungsregelung wieder korrigieren. "Klar ist auch: Sollten die Wähler uns in der nächsten Regierung sehen, werden wir dieses Ampel-Gesetz umgehend ändern. Das ist für die CSU eine Koalitionsbedingung für eine nächste Bundesregierung."

Auch Linke begrüßt Urteil aus Karlsruhe

Die Linke zeigte sich ebenso zufrieden mit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht. Die von der Ampelkoalition geplante Streichung der Grundmandatsklausel sei eine "undemokratische" Entscheidung gewesen, "die das Bundesverfassungsgericht zurecht korrigiert hat", sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch im Morgenmagazin in der ARD. Dies sei "ein Teilerfolg" für die Linke und andere kleine Parteien, stellte Lötzsch fest.

Die Linken-Politikerin nannte eine Streichung der Grundmandatsklausel "demokratisch überhaupt nicht akzeptabel". Die "Entwertung der Erststimme" sei ein "sehr, sehr großes Problem". Wenn die Wählerinnen und Wähler in einem Wahlkreis einen Kandidaten oder eine Kandidatin mehrheitlich wählen würden, "kann man diesen Menschen nicht erklären, warum diese Person nicht im Bundestag vertreten sein soll", argumentierte Lötzsch, die bei den vergangenen sechs Bundestagswahlen das Direktmandat in ihrem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg gewann.

Linken-Politiker Gysi erwartet ein neues Wahlrecht bereits im September für die Bundestagswahl 2025. Der Bundestag müsse sich nun beeilen, sagte Gysi in Karlsruhe. Schon seit Ende Juni dürften Direktkandidatinnen und Direktkandidaten für die Wahl aufgestellt werden. "Eigentlich müssen wir sehr schnell wissen, welches Wahlrecht gilt."

Ampel-Politiker sehen Kern der Reform bestätigt

Die Ampel-Fraktionen sehen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dagegen nicht als Niederlage. "Das Wichtigste steht nach diesem Urteil fest: Die Verkleinerung des Deutschen Bundestags ist vollbracht und verfassungsgemäß", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Dirk Wiese. Schließlich habe das Gericht das System der Zweitstimmendeckung für verfassungsgemäß erklärt. Damit sei nun "Schluss mit Überhang- und Ausgleichsmandaten, die den Bundestag immer weiter vergrößert haben und so seine Arbeitsfähigkeit gefährdet haben".

Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Britta Haßelmann, betonte die aus Sicht der Ampel-Koalition positiven Seiten. Sie sagte der dpa: "Die gute Nachricht des Tages: Unsere Reform, das neue Wahlrecht, hat Bestand in Karlsruhe." Der Bundestag werde dadurch künftig nicht ständig weiter anwachsen. Die Ampel halte Wort, so Haßelmann. "Der Einzug der Parteien nach ihrer Stärke ist garantiert und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gesichert."

Dass für die nächste Wahl nach dem Urteil des Gerichts die Grundmandatsklausel erhalten bleibt, sei aus ihrer Sicht nachvollziehbar, sagte Haßelmann. Wichtig sei, dass durch die Anordnung des Gerichts nun Klarheit herrsche für die anstehende Bundestagswahl im September 2025.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, betonte, es sei gut, dass der Bundestag nun eine feste Größe habe. Hartmann, der maßgeblich an der Reform mitgewirkt hatte, sagte, was die Grundmandatsklausel angehe, so hätten "aus unserer Sicht sicherlich auch andere Alternativen im Raum gestanden". Die Ampel-Koalition werde aber anhand der vom Gericht gefundenen Kriterien auch hierfür eine faire, gerechte Lösung finden.

"In der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestags bestätigt das Urteil die Reform voll und ganz", sagte FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle. Er begrüßte aber, dass es bei dem lange umstrittenen Thema durch die Entscheidung aus Karlsruhe nun die "nötige Klarheit" gebe.

CSU und Linke sahen sich durch Reform bedroht

Vor allem die Linke profitierte bei der Wahl von 2021 von der Grundmandatsklausel, die dadurch in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen konnte. Die Reform würde ihr bei der kommenden Wahl diesen Vorteil nehmen. Auch die CSU sah sich durch die Wahlrechtsreform bedroht. Deshalb zog sie gemeinsam mit der Schwesterpartei CDU vor das Bundesverfassungsgericht, ebenso wie die bayerische Staatsregierung.

Das Gericht in Karlsruhe stufte die Wahlrechtsreform in seinem vorab bekannt gewordenen Urteil in der Folge als in Teilen verfassungswidrig ein. Konkret erachten die Richterinnen und Richter die Fünf-Prozent-Hürde in Kombination mit der geplanten Abschaffung der Grundmandatsklausel als nicht verfassungskonform.

Die ebenfalls geplante Streichung der Regelung zu Überhang- und Ausgleichsmandaten, die den aktuellen Bundestag auf 733 Sitze aufgebläht haben, bemängelte das Gericht nicht. Es kommen dann auch nur noch so viele Direktkandidaten in den Bundestag, wie durch die Zweitstimmen einer Partei gedeckt sind. Dies kann dazu führen, dass einige Direktkandidaten trotz des Sieges in einem Wahlkreis nicht im Bundestag vertreten sind.