Marco Wanderwitz
interview

Wanderwitz über AfD-Verbot "Das sind Kipppunkte für die Demokratie"

Stand: 06.07.2024 10:53 Uhr

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wanderwitz hält ein Verbot der AfD für nötig. Das würde der Demokratie eine Atempause verschaffen, sagt er im Interview. Im Herbst will er einen Antrag stellen.

tagesschau.de: Die AfD wollte auf dem Bundesparteitag in Essen professioneller auftreten. Hat sie das geschafft?

Marco Wanderwitz: Die AfD sitzt in fast allen Landtagen, im Bundestag, im Europaparlament. Wenn das nicht professionalisiert, was dann? Inhaltlich hat sich in Essen nichts verschoben. Im Gegenteil. Frau Weidel hat eine bemerkenswert rechtsradikale Rede gehalten. Die Tonalität wird immer schärfer.

Die AfD ist weitestgehend durchradikalisiert und ich sehe auch keinerlei Anzeichen für eine Deradikalisierung. Im Erzgebirge beispielsweise wurde gerade ein nicht ganz so radikaler Landtagskandidat durch einen lupenreinen Rechtsradikalen ersetzt, der sich in einem rechtsextremen Verein engagierte und im Jahr 2018 Ordner bei den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz war.

Zur Person

Marco Wanderwitz sitzt seit 2002 für die CDU im Bundestag. Der Sachse war von 2020 bis 2021 Ostbeauftragter der Bundesregierung und war Parlamentarischer Staatssekretär in zwei Bundesministerien.

tagesschau.de: Sie fordern ein AfD-Verbot, obwohl die Partei gerade erst bei der Europawahl fast 16 Prozent geholt hat. Sehen Sie da überhaupt den gesellschaftlichen Rückhalt für ein Verbot?

Wanderwitz: Aus der Rechtswissenschaft gibt es vermehrt Stimmen, die zu demselben Schluss kommen wie ich: Wir haben es bei der AfD mit einer großen Bedrohung der Demokratie zu tun. Artikel 21 des Grundgesetzes, unsere wehrhafte Demokratie, war eine Lehre aus dem, was die Nazibarbarei der Welt und unserem Land angetan hat.

Auch die Zivilgesellschaft erhebt sich seit den Landtagswahlen in Bayern und Hessen zunehmend gegen die AfD. Das ging mit den Recherchen von "Correctiv" und des Bayerischen Rundfunks sowie den Russland- und China-Verbindungen der AfD-Europawahl-Spitzenkandidaten Krah und Bystron weiter.

Aber all die Skandale und der Aufstand der Zivilgesellschaft haben offensichtlich nicht dazu geführt, dass die Bedrohung namens AfD signifikant kleiner wird. Im Gegenteil: In weiten Teilen der neuen Bundesländer ist die AfD mittlerweile Volkspartei. Leider. Sie stellt Tausende Kommunalpolitiker. Das sind Kipppunkte für unsere Demokratie. Da wird ein Verbotsverfahren zwingend notwendig.

"Brauchen eine Atempause für die Demokratie"

tagesschau.de: Die Chancen eines Verfahrens gelten als ungewiss. Was wäre gewonnen, sollte es scheitern?

Wanderwitz: Wir müssen den Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern die Möglichkeit geben, eine Entscheidung zu treffen. Mit dem Wissen von heute bin ich sehr optimistisch, dass am Ende mindestens der Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung und das Verbot einzelner Landesverbände sowie der Jungen Alternative stehen würde. Ich halte auch ein gesamtes Verbot für relativ wahrscheinlich.

Das würde sozusagen ein totales Auslöschen des Lagerfeuers der AfD bedeuten. In dem Moment hört die Partei auf zu existieren. Das gesamte Parteivermögen würde eingezogen, alle Mandate vom Gemeinderat bis zum Europaparlament erlöschen. Alle Mitarbeiter der Partei und Fraktionen wären weg.

tagesschau.de: Nur verschwinden die Parteimitglieder und die AfD-Wähler damit nicht.

Wanderwitz: Aber die gesamte Organisationsstruktur der AfD, die mit Steuergeld bezahlt wird, verschwindet. Das wäre die große Atempause für eine Demokratie, die wir brauchen. Erst dann können wir überhaupt wieder einen Teil der AfD-Wählerinnen und -Wähler, die nicht in der Wolle rechtsextrem gefärbt sind, erreichen. Weil die nicht mehr wie heute 24 Stunden am Tag analog und digital mit Hass und Hetze gefüllt werden.

Die AfD hat geschafft, was NPD oder DVU nie geschafft haben: das gesamte rechtsextreme Spektrum zu einen und gleichzeitig tief in die bürgerliche Mitte einzubrechen. Mit einem Verbot würden auch die alten Grabenkämpfe dort wieder aufbrechen. Und natürlich sind dann dezidiert auch Ersatzgründungen verboten.

"Bund hätte längst prüfen müssen"

tagesschau.de: Sie haben kürzlich gesagt, Sie hätten die nötigen 37 Abgeordneten für einen Gruppenantrag zusammen. Eigentlich wollten Sie den aber vor der Sommerpause stellen. Wie ist der Stand?

Wanderwitz: Wir haben noch auf die schriftliche Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts Münster zu seinem Urteil aus dem Mai gewartet. Die liegt seit Dienstag vor. Der Verfassungsschutz hat im Verfahren viel werthaltiges aktuelles Material geliefert. Das wollen wir noch in den Antrag einarbeiten.

Danach geht der Antrag in die Fraktionen. Es gibt da gewisse Formalitäten. Wir sind also realistisch im September, Oktober im Bundestag.

tagesschau.de: Die Grünen wollen eine Bund-Länder-Taskforce bilden, um Verbotsverfahren für die AfD und ihr Umfeld zu beschleunigen. Dazu konnte sich die Innenministerkonferenz bislang nicht durchringen.

Wanderwitz: Ich kann dem Vorschlag viel abgewinnen. Man müsste halt nur mal ins Machen kommen. Die Grünen selbst stellen keine Innenminister. Wir arbeiten auch deshalb an einem Bundestagsantrag, weil der Bundesrat deutlich zu passiv ist. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben die Landesbehörden für Verfassungsschutz die AfD als gesichert extremistisch eingestuft. Aber keine der drei Landesregierungen betreibt bisher einen Verbotsantrag. Das macht nun Bremen.

tagesschau.de: Sie haben weiterhin die freie Hand Ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz in dieser Sache?

Wanderwitz: Friedrich Merz sagt völlig zu Recht: Wir als Bundestag haben keinen direkten Zugriff auf die Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Landesämter. Von den drei Antragsberechtigten - Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag - ist der Bundestag daher sozusagen der schwächste.

Die Bundesregierung hätte längst eine Prüfung tätigen müssen. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang warnt seit Monaten mit brennender Rede. Aber von Frau Faeser und Herr Buschmann als Verfassungsministern oder aber vom Bundeskanzler hört man nicht viel.

"Haben alles getan, was möglich ist"

tagesschau.de: Als sich Anfang dieses Jahres fast 50 Abgeordnete in der "taz" zu einem Verbotsverfahren positionierten, waren darunter nur zwei weitere Unionsabgeordnete.

Wanderwitz: Viele dieser Kolleginnen und Kollegen haben zunächst nur eine Prüfung seitens der Bundesregierung gefordert. In der Union jedenfalls unterstützen erheblich mehr Abgeordnete unseren Antrag, als seinerzeit genannt.

tagesschau.de: Gerade in der Ost-CDU sind die Vorbehalte gegen ein Verbotsverfahren aber groß. Hier will die Partei die AfD lieber inhaltlich stellen.

Wanderwitz: Im politischen Kampf haben wir doch jahrelang alles getan, was möglich ist - und es hat leider halt nicht sonderlich viel genützt. Laut Nachwahlbefragungen zur Europawahl ist es 82 Prozent der AfD-Wählern völlig egal, dass sie rechtsextrem ist. Das sind verfestigte Wähler. Bei der Landratswahl in Sonneberg und der Oberbürgermeisterwahl in Pirna hat nicht mal mehr das Zusammenlegen aller Demokratinnen und Demokraten geholfen. Das letzte Mittel, das uns noch bleibt, ist das Verbotsverfahren.

Das Gespräch führte Thomas Vorreyer, tagesschau.de

Das Interview führte Thomas Vorreyer

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Juni 2024 um 20:17 Uhr.