Wolfgang Schmidt Der Mann an Scholz' Seite
Wie ein Heinzelmännchen im Maschinenraum: Wolfgang Schmidt ist keiner für das Rampenlicht. Der Kanzleramtsminister zieht lieber im Hintergrund die Fäden. Mit Scholz verbindet ihn eine fast symbiotische Beziehung.
Wolfgang Schmidt hat eine große Leidenschaft. Fußball. Der FC St. Pauli spielt zwar in der zweiten Liga, genau wie Stadtrivale HSV. Aber St. Pauli ist der coole Verein in Hamburg.
Schmidt ist Fan, fiebert mit, twittert Zwischenstände, wenn es gut läuft, aber auch, wenn's nicht läuft. Für die Heimspiele seines Vereins hat er eine Dauerkarte. Nutzen kann er sie allerdings immer seltener. Seit Schmidt Kanzleramtsminister ist, fehlt ihm die Zeit für Fußball. Schon seit Monaten war er nicht mehr Im Stadion. "Zweimal war ich in der Hinrunde da. Vielleicht gibt es in der Rückrunde nochmal eine Chance", sagt er im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Wenn er nicht kann, gibt er die Karte weiter an Freunde. Die gehen dann für ihn hin, während Schmidt maximal am Fernseher zuschauen kann. Denn eine Leidenschaft von Schmidt ist vermutlich nochmal größer als seine Fußballliebe. Die Politik. Schmidt hat eine Agenda. Er möchte etwas verändern, zusammen mit seinem Chef Olaf Scholz. Dafür ist er bereit, viel zu investieren, auch persönlich.
Loyaler Teamplayer
Schmidt gilt als Workaholic, der rund um die Uhr arbeitet und mit sehr wenig Schlaf auskommt. Er ist ein Teamplayer und gegenüber dem Bundeskanzler absolut loyal.
Auf diese Art hat er eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Seit mehr als 20 Jahren ist Schmidt nun an Scholz' Seite. Im Jahr 2002 macht der damals neue SPD-Generalsekretär Scholz Schmidt zu seinem Referenten. Später folgt der Jurist seinem Chef auch ins Bundesarbeitsministerium. 2011 wird Scholz Regierungschef in Hamburg. Schmidt ist nun Staatsrat und Bevollmächtigter der Stadt Hamburg beim Bund. Damit ist er verlängerter Arm und Stimme von Scholz in Berlin.
Das bleibt auch nach der Bundestagswahl 2017 so. Scholz wird Vizekanzler und Schmidt sein Staatssekretär im Finanzministerium. Als Scholz 2021 Kanzler wird, folgt ihm Schmidt fast zwangsläufig als Kanzleramtsminister.
Fast eine symbiotische Beziehung: Kanzler Scholz und Kanzleramtsminister Schmidt
Symbiotische Beziehung
Weggefährten sprechen von einer fast schon symbiotischen Beziehung. Schmidt gleicht aus, was Scholz vielleicht fehlt. Er kann mit Menschen, ist ein guter Gastgeber und fast schon unhanseatisch freundlich, interessiert und zugewandt. Wahrscheinlich gibt es in Berlin kaum Journalistinnen oder Journalisten ohne Schmidts Handynummer. Gern erklärt er ihnen seine Sicht auf Welt.
Damit hält er seinem Chef den Rücken frei. Wenn nötig, verteidigt er ihn auch gegen Vorwürfe, zum Beispiel im Cum-Ex-Skandal. Als er noch Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ist, liefert er sich mit dem ehemaligen Linken-Finanzexperten Fabio De Masi nächtliche Twitterduelle.
Schmidt hat in der Politik drei sehr enge Freunde: Niels Annen, Björn Böhning, und Benjamin Mikfeld. Von den vier Männern ist er der Einzige, der nicht Juso-Bundesvorsitzender war. Das zeigt, wie Schmidt auf Politik blickt. Er ist kein Mandatspolitiker. Er hat fast nie ein Wahlamt angestrebt. Zeit seines Arbeitslebens war er Funktionär, der eher im Maschinenraum als auf der Brücke arbeitet. Einer, der lieber im Hintergrund die Strippen zieht als selbst im Rampenlicht zu stehen. Auch seinen Job im Kanzleramt sieht er so.
Kein öffentlicher Kommunikator
Anders als seine Vorgänger Helge Braun oder Peter Altmaier ist Schmidt kein öffentlicher Kommunikator. Er geht nicht in Talkshows. Seit er Kanzleramtsminister ist, gibt es auch keine Duelle mehr auf Twitter. Als Kanzleramtschef ist er für alles und nichts zuständig. Er möchte der Gefahr aus dem Weg gehen, über Themen von Kabinettskolleginnen und Kollegen reden zu müssen. Das macht er lieber im Stillen.
Wer ein Interview mit ihm bekommt, kann sich glücklich schätzen. Als Bundesminister für besondere Aufgaben bestehe immer die Gefahr, dass er im Vorgarten eines anderen Ministers einer anderen Ministerin rumtrample, sagt er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Und das wolle er nicht. Sein Job sei da eher vergleichbar mit dem eines Heinzelmännchens: "Nachts da zu sein, Unkraut zu jäten, Rasen zu mähen, damit am Tag betrachtet das Gesamtensemble gut aussieht." Denn wenn das Gesamtensemble gut aussehe, dann sehe auch die Regierung gut aus. "Und dann sieht auch der Kanzler gut aus."
Mit den Streitereien in der Ampel kann Schmidt nichts anfangen. Er bucht das unter Unerfahrenheit ab. Denn eigentlich will er anders regieren. Geräuschlos. Mit geschützten Räumen, aus denen nichts an die Medien dringen soll und die deshalb Raum für konstruktive Diskussionen zwischen den drei Koalitionspartnern ermöglichen. "Wenn wir uns diese Räume kaputtmachen, wenn wir alles live und in Farbe übertragen, dann kriegen wir auch keine Lösung mehr hin."
Showdown-Situationen vermeiden
Er wolle verhindern, dass es zu Showdown-Situationen komme, weil er glaube, "dass sie der Sache nicht helfen". Deshalb ist es auch kaum vorstellbar, dass Schmidt dem Kanzler so schnell wieder den Einsatz der Richtlinienkompetenz wie beim Streit um die längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke empfehlen würde.
Schmidt und Scholz haben ein gemeinsames Idealbild vom Regieren: Ein Problem wird nicht öffentlich diskutiert. Stattdessen sucht man innerhalb der Koalition gemeinsam nach Lösungen. Erst wenn die feststehen, geht man an die Öffentlichkeit.
Charakterlich mag Schmidt ein anderer Typ sein als der Kanzler. In ihrer Herangehensweise an Politik ähneln die beiden sich aber sehr. Kanzler und Kanzleramtsminister wollen Dinge immer genau wissen. Sie verlassen sich nur ungern auf Informationen von Dritten.
SPD-Chefin Saskia Esken sagt über Schmidt: Er sei ein wandelndes Lexikon des aktuellen Wissens. Er wisse immer über alles Bescheid und habe den Anspruch, Dinge von einem guten Faktenfundament aus zu beurteilen und zu entscheiden. Wenn es überhaupt eine Schwäche gebe - die sie allerdings teile - dann sei es diese Wissbegier.
Tiefpunkt: G20-Gipfel in Hamburg
Es ist aber nicht so, dass es für Schmidt immer nur bergauf ging. Seine größte Niederlage ist sicherlich der G20-Gipfel in Hamburg im Sommer 2017. Schmidt hat ihn organisiert. Es kommt zu schweren Ausschreitungen. Scholz gerät unter Druck.
Einen anderen politischen Misserfolg hat Schmidt im Nachhinein in einen Sieg umgewandelt. Nach der Niederlage von Scholz im Kampf um den Parteivorsitz der SPD ist es Schmidt, der den Blick sofort wieder nach vorne richtet, weiter davon redet, dass Scholz immer noch Kanzler werden könne. Damals wird er dafür belächelt. Heute ist man in der SPD überzeugt, dass Scholz ohne diese Niederlage niemals Kanzler geworden wäre. Dass Scholz in dieser Zeit nicht aufgibt, gehört wohl auch zu Schmidts Verdiensten.
Mit dem Beginn der Kanzlerschaft hat sich auch die Rolle von Schmidt geändert. Er weiß immer noch, wie der Kanzler tickt. Die beiden verstehen sich mit wenigen Worten. Schmidt sorgt dafür, dass das Haus dem Kanzler liefert, was er braucht. Aber er ist nun nicht mehr der erste Mitarbeiter von Scholz und damit immer an seiner Seite. Die beiden sehen sich deutlich seltener.
Behörde Kanzleramt
Schmidt ist nicht mehr auf Reisen mit dabei. Auch wenn Scholz Staatsgäste trifft, fehlt der Kanzleramtsminister meistens. Er hat nun auch eine eigene Führungsrolle. Er muss dafür sorgen, dass das Kanzleramt als Behörde funktioniert und sein Geschäftsbereich als Minister keine Probleme macht.
Unter anderem ist Schmidt in seinem Amt auch für die Geheimdienste zuständig und koordiniert in einer Dreier-Runde, mit zwei Vertretern von Grünen und FDP die Politik der Ampelregierung. Er hat nun eigene politische Verantwortung.
Andere verbringen inzwischen mehr Zeit mit dem Kanzler: Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Scholz' Büroleiterin Jeanette Schwamberger und seine politischen Berater Jens Plötner und Jörg Kukies. Schmidt bekommt vom Kanzler zwangsläufig weniger mit, weil er nun auch andere Aufgaben hat. Dafür musste er sich weiterentwickeln - weniger Funktionär, mehr Politiker.
Ausdruck dieser Wandlung: Als ein Nachfolger für die zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht gesucht wird, fällt immer wieder auch sein Name. Schmidt wird inzwischen von vielen zugetraut, auch ein Fachministerium zu leiten. Ob es dazu je kommen wird? Fraglich, der 52-Jährige ist nach wie vor wohl zu wichtig im System Scholz. Der Kanzler wäge genau ab, wo Schmidt für ihn am wertvollsten sei, heißt es. Vermutlich kommt er auch in Zukunft zu der Feststellung, dass ein Verlust seines Kanzleramtsministers zu schwer wiegen würde.