Ländliche Regionen "Nachholbedarf bei Bussen und Bahnen"
Internet, ÖPNV, Gesundheitsversorgung: Ein Regierungsbericht zeigt noch immer große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Welche Fortschritte es dennoch gibt und wo Verbesserungspotenzial, erklärt Forscher Oliver Rottmann im Interview.
ARD: Herr Rottmann, die aktuelle Bundesregierung betrachtet die Entwicklung in den ländlichen Räumen als eine ihrer Prioritäten. Wo sehen Sie denn echte Fortschritte?
Oliver Rottmann: Grundsätzlich ist es sehr begrüßenswert, dass der ländliche Raum stärker in den Fokus rückt. Aber es gibt nicht "den" ländlichen Raum. Regionen in der Nähe großer Städte profitieren natürlich sehr stark von der Ausstrahlungskraft des jeweiligen Ballungszentrums. Diese Regionen haben in der Regel weniger Probleme.
Aber es gibt auch sehr periphere ländliche Räume: etwa das nördliche Brandenburg, der Norden Sachsen-Anhalts, aber auch Regionen in Westdeutschland. Die können aus eigener Kraft die Daseinsvorsorge gar nicht mehr gewährleisten. Die Einkommen sind tendenziell geringer, die demografische Lage ist angespannt durch Alterung und Schrumpfung. Die Verkehrsanbindung ist meist schlechter. Man ist auch kaum in der Lage, die eigene Entwicklung selbst zu steuern.
Im Bereich Verkehr sind aber Fortschritte zu erkennen, insbesondere was den Straßenbau angeht. Was immer noch nicht gut funktioniert, ist der ÖPNV, die Bahnanbindung. Aber auch die Erreichbarkeit in der medizinischen Versorgung und den Breitbahnausbau - das ist alles noch nicht so vorangeschritten.
ARD: Verkehr, Breitbandausbau und medizinische Versorgung: Das sind allesamt Bereiche, wo der Staat eingreifen könnte. Und es gibt ja auch sehr viele Förderprogramme. Was läuft da schief?
Oliver Rottmann: Ich denke schon, dass in vielen Bereichen genug Fördergeld da ist. Beispiel Breitbandausbau: Da gibt es sehr viele Fördermittel. Die Frage ist eher, ob es passgenau ist und ob der ländliche Raum in der Lage ist, diese komplizierten Förderverfahren auch zu nutzen und zu begleiten. Das ist ein Problem: Die personellen Engpässe sind sehr groß in den Gemeinden. Es fehlen die Mitarbeiter, um die Fördermittel abzurufen. Das hemmt den Breitbandausbau. Deutschland steht im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich da. Die Förderverfahren sind auch relativ komplex - also zum Beispiel die Projektanträge zu stellen. Und es sind auch zu wenig Tiefbaukapazitäten am Markt. Die Firmen sind ausgelastet. Und ich bin nur verhalten optimistisch, dass Deutschland das selbstgesteckte Ziel erreicht, 2025 überall den 5G-Standard zu haben. Da hinken wir zu weit hinterher.
ARD: Der "Dritte Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume" stellt auch fest, dass die Menschen auf dem Land deutlich weitere und zeitaufwendigere Wege zu Ärzten oder Krankenhäusern haben. Lässt sich da überhaupt gegensteuern?
Oliver Rottmann: Ich finde, ein sehr wohlhabendes Land muss das nicht hinnehmen. Es gibt ja schon die Diskussionen über die Erreichbarkeit von Krankenhäusern und Hausarztquoten. Dass man auf dem Land gewisse Wege in Anspruch nehmen muss, ist sicher auch der Struktur des Landes geschuldet. Aber es gibt das Postulat der gleichwertigen Lebensverhältnisse. Nicht der gleichen, aber der gleichwertigen. Daher muss man beim Thema Gesundheitsversorgung auf dem Land auch gegensteuern, und ich sehe da auch nach wie vor Potenzial.
ARD: Viele Leute wollen auch deshalb nicht auf das Land, weil die Verkehrsanbindungen schlecht sind - gerade die öffentlichen. Da müssten sich Investitionen doch doppelt auszahlen.
Oliver Rottmann: Das ist ein gutes Beispiel. Es ist natürlich ziemlich teuer, wenn man eine Infrastruktur für wenige Nutzer vorhält. Aber in den Straßenausbau wurde ja auch investiert, was dazu geführt hat, dass ländliche Regionen mit dem Auto gut zu erreichen sind. Bei Bussen und Bahnen gibt es dagegen Nachholbedarf. Da läuft es nicht gut. Auch hier gilt aus meiner Sicht: Deutschland ist ein wohlhabendes Land und sollte dafür auch Geld in die Hand nehmen.
ARD: Was würden Sie denn der Bundesregierung empfehlen?
Oliver Rottmann: Die Bundesregierung sollte ihre Programme auf Passgenauigkeit überprüfen. Daran mangelt es häufig. Zudem haben viele Programme sogenannte Top-Down-Ansätze, also von oben nach unten. Es bräuchte aber mehr Bottom-Up-Ansätze - also von unten nach oben. Den machen auch einige Bundesländer, Sachsen zum Beispiel. In der Lausitz werden die Fördergelder so eingesetzt, dass lokale Initiativen diese Konzepte entwickeln. Das heißt "Mitmachfonds Sachsen". Da können lokale Organisationen wie Unternehmen, Kommunen, Hochschulen oder Sozialverbände Projekte anstoßen, damit Fördergeld gezielt für diese Projekte eingesetzt wird.
Das Gespräch führte Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio