Töpfer zu EU-Klage "Regierung hätte früher handeln müssen"
Die Klage der EU-Kommission gegen Deutschland sei richtig, sagt Klaus Töpfer im Interview mit tagesschau.de. Nachrüstungen seien unvermeidbar. Und auch Fahrverbote hätten längst angekündigt werden müssen.
tagesschau.de: Die EU-Kommission hat entschieden, Deutschland und fünf weitere Länder zu verklagen. Richtig so?
Klaus Töpfer: Ja. Es kann nicht sein, dass über Jahre hinweg, Grenzwerte überschritten werden und es gibt keine Reaktion darauf. Das gefährdet auch die Glaubwürdigkeit dessen, was in der EU entschieden wird. Es ist gut, dass es durch diese Klagen nun mehr Druck auf Regierungen und Städte geben wird.
Klaus Töpfer, CDU, war von 1987 bis 1994 Bundesumwelt- und von 1994 bis 1998 Bundesbauminister. Später leitete er das UN-Umweltprogramm UNEP und saß im Rat für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung.
tagesschau.de: Schon seit ziemlich genau zehn Jahren gibt es in der EU Vorschriften, um die Bürger vor Luftschadstoffen zu schützen. Dennoch überschreiten Deutschland und andere Länder die Grenzwerte zum Teil deutlich. Wieso wurde nicht früher gegengesteuert?
Töpfer: Sicherlich, die Messwerte waren bekannt. Und es war auch bekannt, dass der Straßenverkehr der Hauptverursacher ist. Vielleicht hat man die Prognosen zu lange am Wunschdenken ausgerichtet statt an der Realität. Erschwerend kommt hinzu, dass wir lange Jahre unzureichende Angaben über die Emissionen der Dieselkraftstoffe hatten. Es sind Luftreinhaltepläne gemacht worden, die sicherlich im Ansatz gut waren, die aber einfach nicht ausreichten.
Fahrverbote: "Schlachten einer heiligen Kuh"
tagesschau.de: Was genau hätte passieren müssen?
Töpfer: Für den Straßenverkehr hätte man klar machen müssen, dass bestimmte ältere Autos in definierten Zonen nicht mehr oder nicht in Belastungszeiten fahren können. Für die Deutschen ist das zwar wie das Schlachten einer heiligen Kuh. Es ist klar, dass das nicht leicht ist. Ich habe selbst über viele Jahre hinweg sehr intensiv mein Auto genutzt. Man muss sich in seinem ganzen Mobilitätsverhalten umstellen.
Aber dafür hätte es eben frühzeitig die entsprechenden Signale gebraucht, damit die Bürger sich darauf einstellen und das bei ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen können. Und das geht nicht ohne entsprechende Sanktionierungen.
"Besonders schmutzige Diesel können nicht mehr fahren"
tagesschau.de: Sie plädieren also für Fahrverbote, die es womöglich schon viel früher hätte geben müssen?
Töpfer: Zumindest hätte man einen verbindlichen Zeitpunkt festlegen müssen, ab wann bestimmte Fahrzeugtypen in bestimmten Zonen nicht mehr fahren dürfen. Auch wenn so etwas natürlich nicht mit Beifall begleitet wird.
Beim Thema Fahrverbote brauchen wir eine differenzierte Vorgehensweise. Man kann nicht generell Diesel verbieten, sondern muss schauen, welcher Fahrzeugtyp hat welche Auswirkungen auf die Schadstoffbelastung. Und besonders schmutzige Fahrzeuge können in sehr belasteten Gebieten eben nicht mehr fahren. Aber Fahrverbote sind nicht der einzige Weg.
tagesschau.de: Was noch?
Töpfer: Man muss sich auch fragen, wie man gerade in solchen Zonen den privaten Autoverkehr insgesamt reduzieren kann. Man könnte dort beispielsweise mehr Fußgängerzonen machen und den öffentlichen Personennahverkehr gezielt stärken mit Bussen, die eine viel niedrigere Belastung haben.
Auch Luftschneisen müssen berücksichtigt werden, denn auch durch Wind werden Partikel verfrachtet. All das muss in der Stadtplanung eine Rolle spielen. Das ist alles recht komplex, aber es hilft nicht, nur an einer Stelle anzusetzen, wenn man mittel- und langfristig Erfolg haben will.
"Städte dürfen nicht allein gelassen werden"
tagesschau.de: Schon seit 2010 gilt der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Luft in der EU. Deutschland hat ihn 2017 noch immer in 66 Städten überschritten. Warum kommen die Städte hier nicht voran?
Töpfer: Das sind erhebliche finanzielle Belastungen für die Städte, die sind nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Von der Erstellung wirksamer Luftreinhaltepläne bis zu ihrer Umsetzung sind erhebliche Investitionen erforderlich. Die Stadtbudgets waren darauf nicht vorbereitet. Und die Städte können damit auch nicht allein gelassen werden. Bund und Länder müssen hier ihren Beitrag leisten.
Und wir müssen auch Überzeugungsarbeit leisten. Viele Menschen haben den Eindruck, die Luftbelastung sei eine Nebensache. Das ist sie aber nicht. Man muss den Menschen klarmachen, es ist ihre Gesundheit, die da auf dem Spiel steht. So kann man ein verändertes Verhalten bewirken, ohne dass man alles anordnen muss.
"Es muss mehr getan werden"
tagesschau.de: Einiges wurde bereits in die Wege geleitet. Das "Sofortprogramm für saubere Luft", die Idee von Modellversuchen mit kostenlosem Nahverkehr, Software-Updates der Autoindustrie: Wie wirksam sind diese Maßnahmen?
Töpfer: Das sind sicherlich erste Schritte, aber im Endeffekt sind es Tropfen auf den heißen Stein. Die Kommission hat das ja durchgerechnet und gesagt: Es reicht einfach nicht, es muss mehr getan werden. Ich bin auch der Meinung, wir können uns nicht mit Software-Updates begnügen, auch Nachrüstungen sind notwendig. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das möglich ist. Klar ist aber auch, dass das Geld kostet.
tagesschau.de: Wer soll die Nachrüstungen bezahlen?
Töpfer: Die Industrie hat diese Situation verursacht, also muss sie sie auch beseitigen. Sie hat die Fahrzeuge geliefert, wissend, dass die Grenzwerte überschritten werden. Man sollte nicht immer gleich nach dem Staat rufen.
tagesschau.de: Mangelt es der Bundesregierung an politischem Willen, das Problem in den Griff zu bekommen?
Töpfer: Man hätte in der Tat nach Kenntnis der Manipulationen schon deutlich früher sagen müssen, das stellen wir jetzt ab. Und da muss man nunmal an die Unternehmen selbst rangehen. Es wurden auf Grundlage falscher Messwerte erhebliche Umsätze und Gewinne generiert. Das kann man ja nicht lassen und dann hinterher, wenn's Ärger gibt, sagen, jetzt zahlt‘s der Steuerzahler.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de