Schüler einer Erfurter Schule arbeiten bei einem Projekt gegen Cybermobbing mit einem Tablet.
#lösungsfinder

Mobbing Der alltägliche Terror

Stand: 28.08.2019 16:05 Uhr

Mobbing ist längst kein Randphänomen mehr, sondern betrifft viele Schüler im realen und im digitalen Leben. Das kann schwere psychische Erkrankungen zur Folge haben. Hilfe bekommen sie oft zu wenig.

Von Alice Hasters und Anna Mundt, NDR

Dass man sich in der Schule wohl fühlt, wünschen wohl alle Eltern ihren Kindern. Doch für viele Schüler sieht der Alltag anders aus: Im Klassenzimmer herrscht Druck. Nicht allein wegen des Leistungsanspruchs. Mobbing macht vielen Jugendlichen das Leben schwer. Einer Pisa-Studie von 2017 zufolge ist in Deutschland jeder sechste Schüler im Alter von 15 Jahren von Anfeindungen betroffen.

Doppelt so viele Jugendliche haben Angst vor Gewalt, Mobbing oder Ausgrenzung in der Klasse und auf dem Schulhof oder fürchten sich auf dem Schulweg davor, in unangenehme Situationen zu geraten und Gefahren ausgesetzt zu sein, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Risiko psychischer Erkrankungen steigt

Wissenschaftler des Bündnisses gegen Cybermobbing sprechen von Mobbing, wenn eine Person gezielten und systematischen Angriffen wie Anfeindungen, Schikanen oder Diskriminierungen ausgesetzt ist, die wiederholt auftreten und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.

Wenn die Angriffe der Klassenkameraden nicht aufhören, kann das schwerwiegende Folgen haben. Forscher haben herausgefunden, dass das Risiko einer psychischen Erkrankung durch Mobbing um ein Vielfaches erhöht wird. Laut einer Erhebung des Uniklinikums Heidelberg berichten 28 Prozent der regelmäßigen Mobbingopfer von Selbstverletzungen. Knapp 47 Prozent der jungen Erwachsenen, die gemobbt werden, sprechen gar über Suizidalität, also Todessehnsucht, Suizidgedanken und Suizidversuche.

Maßnahmen gegen Mobbing

Was können Eltern und Lehrer tun?

Das wichtigste sei Vertrauen, sagt Tom Lehel, Gründer Stiftung "Mobbing stoppen! Kinder stärken!". "Kinder müssen Personen haben, denen sie vertrauen und denen sie sagen können, wenn etwas nicht richtig läuft und sie sich nicht wohlfühlen." Eltern hätten die Verantwortung, zu sagen: "Ich bin der Fels in der Brandung. Ich höre hin, was du mir sagst und ich stehe hinter dir."

Weil die Kinder mehr Zeit in der Schule verbrächten, müssten Lehrer diese Rolle viel mehr übernehmen, sagt Lehel. "Deshalb brauchen Lehrer dafür auch eine Schulung, um zu wissen, wie sie Mobbing erkennen können und wie sie dieses Vertrauen in der Klasse aufbauen."
 
Wie erkennen Eltern oder Lehrer Mobbing?

"Wenn ich merke, dass eine Verhaltensänderung stattfindet, das heißt, mein Kind wird ruhiger, hat Appetitlosigkeit, zieht sich zurück, sagt es hat Bauchschmerzen und will nicht mehr in die Schule", sollten Eltern ihre Kinder einfach fragen, was los sei, empfiehlt Lehel. Kinder wollten ihre Eltern schützen, sagt er.

Kein Elternteil höre gern, dass sein Kind ein Opfer oder ein Mobber sei. "Da müssen wir drüber hinaus. Wir müssen einfach laut werden und lernen, es ist in der Gesellschaft und wir müssen etwas dagegen tun. Und da müssen wir bei den Eltern anfangen und da kann ich nur den Tipp geben: Schwäche zugeben ist eine Stärke und keine Schwäche."

Bei Cybermobbing hilft auch kein Schulwechsel

Doch Mobbing findet längst nicht nur im Klassenzimmer statt. Mit dem digitalen Zeitalter hat es eine neue Dimension angenommen. Schüler erreichen die Anfeindungen mittlerweile auch zu Hause - über das Smartphone, in sozialen Netzwerken, per E-Mail oder durch Anrufe.

Wenn über den digitalen Weg gemobbt wird, hilft oft auch kein Schulwechsel. Die Anzahl der potentiellen Mobber ist im Netz grenzenlos. Zudem bleiben Täter im Netz oft anonym. Das kann die Hemmschwelle senken. Beim sogenannten Cybermobbing können massive Eingriffe in die Privatsphäre drohen - indem intime Fotos, Nachrichten oder Adressen öffentlich gemacht werden.

Viele Täter waren selbst Opfer

Schaut man auf die Zahlen einer Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz, scheint sich Mobbing im Netz wie ein Virus zu verbreiten. 80 Prozent der dort erfassten Täter waren bereits selbst einmal Opfer von Mobbing oder Cybermobbing. Die Vorstellung des bösen Mobbers ist also zu kurz gedacht. Grenzen zwischen Täter und Opfer sind fließend.

Eine entsprechende Hilfestellung scheint oft nicht gegeben oder nicht zugänglich zu sein. Das Bündnis gegen Cybermobbing stellt fest, dass in den wenigsten Schulen systematisch präventive Maßnahmen durchgeführt werden. Schüler berichten in einer Studie von 2017 zwar von vorbeugenden Aktivitäten, sehen aber auch noch Handlungspotential. So gibt es nach Auskunft der Schüler in 29 Prozent der Schulen Hilfestellung, wie man sich bei Cybermobbing verhalten soll.

Mobber brauchen Publikum

Doch es sind nicht nur Kinder und Jugendliche, die unter Mobbing leiden. Überall, wo Gruppen regelmäßig zusammenkommen, kann Mobbing vorkommen. Das Thema kann also auch Menschen am Arbeitsplatz betreffen. Selbst Lehrer, die eigentlich im Idealfall Experten diesbezüglich sein sollten, sind von Mobbing nicht ausgenommen.

Mobbing ist jedoch nicht nur eine Dynamik zwischen Täter und Opfer. Diejenigen, die zuschauen - die sogenannten Bystander - spielen eine entscheidende Rolle. Mobber brauchen in der Regel ein Publikum. Wenn keiner der Umstehenden in die Situation eingreift, wirkt das wie eine stille Legitimierung - für den Täter, wie für das Opfer.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 28. August 2019 um 22:15 Uhr.