Interview mit SPD-Verteidigungsexperte Arnold "Isaf-Mandat nicht auf Kante nähen"
Der SPD-Verteidigungsexperte Arnold hat Afghanistan bereist. Seine Erkenntnis: Die Regierung Karsai hat jegliche Akzeptanz verloren. Deshalb müssten die Isaf-Schutztruppen weiter gestärkt werden. Kritisch sieht er dagegen den US-geführten Anti-Terror-Kampf, wie er im Interview mit tagesschau.de erklärt.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold ist mit seinen Fraktionskollegen Hans-Peter Bartels und Ursula Mogg sechs Tage durch Afghanistan gereist, um sich ein Bild der Situation zu machen. In Kundus und Masar-i-Scharif sprach er mit afghanischen Parlamentariern und Soldaten der Isaf-Truppen. Für ihn ist klar: Das Isaf-Mandat muss verlängert und sogar noch ausgebaut werden.
tagesschau.de: Welche Eindrücke haben Sie von Ihrer Reise mitgebracht?
Rainer Arnold: Es ist spürbar, dass die internationalen Truppen sehr vorsichtig agieren. Ein Schlendern über den Markt in Kundus, wie bei meinen früheren Aufenthalten, war nicht möglich. Auch der geplante Besuch des Südens hat nicht geklappt, weil es dort im Moment sehr viele Anschläge und Gefechte gibt. Aber wir haben gute Gespräche mit Parlamentsabgeordneten geführt, mit Vertretern afghanischer Nicht-Regierungs-Organisationen sowie einigen Stammesältesten. In Masar-i-Scharif sind wir zudem mit deutschen Soldaten aller Dienstgrade zusammengetroffen, auch mit Verantwortlichen der Tornadoeinsätze.
tagesschau.de: Was war das Ergebnis ihrer Gespräche mit den afghanischen Parlamentariern?
Rainer Arnold: Sie haben uns zwei Dinge sehr deutlich gesagt: Erstens, die Karsai-Regierung hat jegliche Akzeptanz in der Bevölkerung verloren. Sie hat in keiner Weise die Erwartungen erfüllt, dass es mit dem Land aufwärts geht und die Korruption zurückgedrängt wird. Zweitens: Die Afghanen differenzieren zwischen den ausländischen Truppen. Das deutsche Engagement wird in sehr hohem Maße geschätzt, weil die Deutschen verstanden haben, dass man auf gewachsene kulturelle Strukturen zurückgreifen muss. Dorfälteste, Stammesführer und Mullahs müssen einbezogen werden.
"Keine gute Figur gemacht"
tagesschau.de: Die Deutschen haben doch auch an Ansehen verloren. Besonders bei der Polizei-Ausbildung.
Rainer Arnold: Beim Aufbau der Polizei haben wir keine gute Figur gemacht. Was jetzt über Europa mit Eupol versucht wird, macht mir auch keinen Mut. Das ist ziemlich dramatisch. Es mangelt an Personal und an Koordination zwischen allen Akteuren. Außerdem gibt es massive Probleme mit Korruption bei der afghanischen Polizei. Wir müssen es gebacken kriegen, dass die Polizisten so viel verdienen, dass sie eine Familie davon ernähren können.
tagesschau.de: Plädieren Sie für mehr deutsche Soldaten?
Rainer Arnold: Die Ausbildungshilfe für die afghanische Armee muss deutlich erhöht werden. Außerdem soll es eine Logistikschule geben. Zudem müssen wir die Aufteilung im Norden überdenken: Das größte Kontingent der Deutschen ist in Masar-i-Scharif. Die Soldaten gehen dort aber gar nicht raus. Denn dort haben aber schon die Schweden ihre regionalen Aufbauteams. Ich unterstütze die Idee, kleine Aufbauteams auch im ländlichen Raum zu installieren.
tagesschau.de: Mehr Aufgaben heißt mehr Soldaten. Wie viele schweben Ihnen vor?
Rainer Arnold: Ich wehre mich dagegen, dass Politik als Erstes über Zahlen spricht. Wir reden erst einmal über Aufgaben. Dann sind die Militärs dran, Zahlen zu definieren. Ich halte die jetzigen Ansagen, 3500 Soldaten seien ausreichend, für verfrüht. Generell sollte das Mandat nicht auf Kante genäht sein.
Ausbildung nur für den Einsatz im Norden?
tagesschau.de: Ausbilder gehen bei den ersten Einsätzen üblicherweise mit. Werden die Deutschen ihre Schützlinge im Süden allein lassen, weil das deutsche Mandat nur für den Norden gilt?
Rainer Arnold: Erst einmal müssen die Afghanen auf einem verantwortbaren Ausbildungsstand sein. Das ist im Augenblick nicht der Fall. Wenn sich dann ein Einsatz im Süden mit unserer Vorstellung von Einsätzen deckt, würde ich das Mandat ein bisschen öffnen. Es wäre aber genauso falsch zu sagen, die Deutschen gehen überall mit hin. Man sollte das im Einzelfall entscheiden. Natürlich ist es ein Problem, wenn die Deutschen für den Norden ausbilden und der afghanische Minister verlegt die Truppen in den Süden. Dann werden sie von Amerikanern übernommen, die eine andere militärische Kultur haben als die Deutschen. Das ist nicht ganz unkritisch.
"Mut, mehr zu tun"
tagesschau.de: Ist diese Vermischung nicht ein grundsätzliches Problem? Isaf und die Operation Enduring Freedom (OEF) überschneiden sich. Von der afghanischen Bevölkerung sind sie kaum mehr auseinanderzuhalten.
Rainer Arnold: Ich habe den Eindruck, dass das vor allem für die Amerikaner eine sehr künstliche Trennung ist, die bei ihnen in der Realität so gar nicht besteht. Hauptunterschied für uns ist: Die Befehlsstränge bei OEF laufen ausschließlich über US-Hauptquartiere. Wir haben kaum Einblick. Isaf dagegen ist ein Nato-Mandat und gewährt allen Beteiligten Einblick. Außerdem betreibt Isaf keine aktive Terroristenjagd.
tagesschau.de: Beim SPD-Parteitag im Oktober wird die Afghanistan-Politik diskutiert. Wie groß ist die Unterstützung an der Basis? Was werden Sie Ihren Genossen empfehlen?
Rainer Arnold: Der zivile Aufbau macht sichtbare Fortschritte. OEF ist aus deutscher Sicht nur ein symbolisches Mandat. Es sind keine deutschen Soldaten beteiligt. Über diese Symbolik gibt es eine berechtigte Debatte: Akzeptieren wir über die Teilnahme an OEF alles, was unter US-Flagge vor sich geht? Die Intention der USA ist, nicht allein der böse Bube zu sein. Ich werde meiner Partei zum Isaf-Mandat empfehlen, den Mut aufzubringen, mehr zu tun. Ich werde bei OEF meine kritische Position beibehalten. Das OEF-Mandat muss noch einmal geprüft werden.
Das Interview führte Anja Mößner, tageschau.de