"Cicero"-Urteil "Das ist kein Freibrief für Journalisten"
Die Durchsuchung der "Cicero"-Redaktion sei nur angeschoben worden, um Informanten zu verunsichern und deren Identität herauszufinden, meint der Journalist Kuno Haberbusch. Die Pressefreiheit sieht er allerdings weniger durch staatliche Stellen als durch Fehlverhalten von Journalisten gefährdet.
Das Bundesverfassungsgericht hat Durchsuchungen von Redaktionsbüros allein aufgrund einer Veröffentlichung von Geheimdokumenten verboten. Die bloße Publikation eines geheimen staatlichen Papiers reiche nicht aus, um Razzien zu rechtfertigen, hieß es zur Begründung. tagesschau.de sprach mit dem Chef des NDR-Medienmagazins "Zapp", Kuno Haberbusch, über das Urteil.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie das Urteil?
Kuno Haberbusch: Mich hat das Urteil nicht sonderlich überrascht, da das Bundesverfassungsgericht in der Regel sehr pressefreundlich argumentiert. Nur ist das Urteil in seinen Auswirkungen weit dramatischer, als man zunächst vermuten könnte.
tagesschau.de: Inwiefern?
Haberbusch: Aktuell beispielsweise im Fall Kurnaz und dem BND-Untersuchungsausschuss: Da sind jede Menge Unterlagen geheim oder für den Dienstgebrauch gestempelt; mit der Maßgabe, dass über all die entscheidenden Punkte in der Affäre nur hinter verschlossenen Türen verhandelt werden darf. Jetzt stellt sich für Journalisten die Frage: Wie berichten wir, wenn wir in Besitz genau dieser geheimen Akten sind?
Es gibt derzeit in Hamburg und Berlin mehrere Strafverfahren gegen Journalisten, in denen man - genau wie bisher im Fall Cicero - unterstellt, die Journalisten hätten sich der Beihilfe des Geheimnisverrats schuldig gemacht. Aber in Wirklichkeit will man durch diese Strafverfahren eigentlich nur die Informanten herausbekommen, die diese Unterlagen angeblich an Journalisten gegeben haben.
tagesschau.de: Wer ist "man"?
Haberbusch: Beispielsweise der Ausschussvorsitzende im Fall Kurnaz, Siegfried Kauder, der genau diese Strafanzeigen in letzter Zeit erstattet hatte, um undichte Stellen zu finden. Das wird es wohl so nicht mehr geben, wenn das Urteil ernst genommen wird. Denn im Strafgesetzbuch unter 353b ist nicht vom Journalisten, sondern vom Amtsträger die Rede, der Vertrauliches nicht herausgeben darf. Und gegen den sollte eigentlich ermittelt werden. Wenn man den aber nicht kennt, hat man es bislang bei den Journalisten versucht. Weil man gehofft hat, bei denen etwas zu finden, was auf den Informanten hinführt. Jetzt braucht man Hinweise, dass es ein gezieltes Interesse des Amtsträgers gab. Und dafür muss ich eine Ahnung haben, wer der Täter ist.
Der Paragraf 353b des Strafgesetzbuches trägt den Titel "Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht". In seiner heutigen Fassung sieht der Passus eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vor, wenn ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter ein Geheimnis "unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet". Ferner regelt der Absatz auch die Verfolgung des Geheimnisverrats.
tagesschau.de: Welche Auswirkungen haben solche Anzeigen auf die Informanten?
Haberbusch: Eines hat die so genannte Cicero-Affäre gezeigt: Solche Vorgänge werden nur in Gang gesetzt, um Informanten zu verunsichern. Wenn sich herumspricht, dass das Material von Informanten bei uns nicht geschützt ist, dann wäre das fatal für die wenigen Journalisten, die sich noch um Recherche bemühen.
tagesschau.de: Wie sieht es aus mit der Recherche im Fall "Cicero"?
Haberbusch: Es stellte sich heraus, dass "Cicero" die betreffenden Unterlagen von einem Journalisten aus dem Ausland bekommen hatte, nicht von einem Amtsträger. Wenn allerdings ein Journalist einem anderen Journalist ein geheimes Dokument weitergibt, dann entfällt schon der Tatbestand der Beihilfe - weil der Journalist nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Daher landete die Sache nur beim Bundesverfassungsgericht, weil man anfangs diesen genauen Sachverhalt noch nicht gekannt hatte.
Kuno Haberbusch leitet das NDR-Medienmagazin "Zapp", zuvor war er lange Jahre als Redaktionsleiter für "Panorama" tätig. Außerdem ist Haberbusch einer der Köpfe des "Netzwerk Recherche".
"Geheim! Geheim! Ich hab etwas!"
Natürlich hilft das Urteil weiter. Doch sollten sich auch Journalisten an Standesregeln und Gesetze halten. Das Urteil ist kein Freibrief für Journalisten, die einfach nur "wichtig tun". Da heißt es oft: „Geheim! Geheim! Ich hab etwas!“ Man muss von Journalisten verlangen - gerade um diesem Urteil gerecht zu werden – dass sie noch sorgfältiger umgehen mit der Frage: Veröffentliche ich etwas, was geheim ist? Kann ich dieses rechtfertigen und dient es wirklich der Aufklärung?
tagesschau.de: Sie zweifeln an der Sorgfaltspflicht vieler Journalisten?
Haberbusch: Wodurch ist die Pressefreiheit in Deutschland mehr bedroht? Durch staatliche Übergriffe oder durch ein nicht mehr hinnehmbares Fehlverhalten von Journalisten? So lange PR [PublicRelation] mit Journalismus vermischt wird, so lange untergraben Journalisten die Pressefreiheit selbst.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de