Migrationspolitik Auf der Suche nach einem Kompromiss
Die Zahl der Migranten steigt, die Politik ringt um Antworten. Vizekanzler Habeck und die CDU-Spitze haben ihre Bereitschaft zu Reformen erklärt - und Innenministerin Faeser erwägt nun doch Grenzkontrollen.
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und die CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz und Carsten Linnemann haben ihre Bereitschaft zu Reformen in der Migrationspolitik erklärt. Habeck sagte im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), alle "demokratischen Parteien" seien verpflichtet, "bei der Suche nach Lösungen zu helfen".
Habeck erklärte, die Suche nach Lösungen in der Migrationspolitik sei nötig, um zu verhindern, dass "der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet". Angesichts der derzeitigen Lage sieht der Wirtschaftsminister und frühere Grünen-Chef viele Kommunen an der Belastungsgrenze.
Hilfe angekündigt
Er kündigte deshalb schnelle Hilfe durch die Bundesregierung an. Die Kommunen bräuchten finanzielle Unterstützung, zur Entlastung der Ausländerbehörden werde die Ampelkoalition es zudem möglich machen, dass die Aufenthaltserlaubnisse für Ukrainerinnen und Ukrainer "pauschal verlängert werden können statt individuell". Zudem müssten bürokratische Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt abgebaut werden, sagte Habeck.
Außerdem erklärte er, dass die Grünen zu pragmatischen Lösungen bereit seien, um den Zuzug bereits an den EU-Außengrenzen zu senken. Seine Partei habe in der Bundesregierung einem Gemeinsamem Europäischem Asylsystem zugestimmt, das unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der EU vorsieht. Dies sei "schwierig für viele Grüne" gewesen, sagte er.
Die von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) geforderte Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen hält Habeck für untauglich. "In der Praxis löst eine Obergrenze kein einziges Problem, weil im Zweifel doch mehr Menschen kommen", sagte er. Er sprach sich aber für beschleunigte Abschiebungen durch neue Vereinbarungen mit den Herkunftsländern aus.
Merz bekräftigt Bereitschaft zu Lösungen
CDU-Chef Merz bekräftigte die Bereitschaft der Union zu Lösungen im Konsens mit der Ampel-Koalition. Er sagte der "Augsburger Allgemeinen", die Unionsparteien seien bereit, die Probleme konstruktiv gemeinsam mit der Bundesregierung zu lösen.
Er forderte einen schärferen Kurs bei Abschiebungen - und nannte das sozialdemokratisch regierte Dänemark als Vorbild. Die Dänen seien "sehr konsequent", es gebe für Auszuweisende "nur noch Sachleistungen". Die Betroffenen kämen "nur noch in Sammelunterkünfte" und würden "dann auch konsequent abgeschoben". Durch ihren Kurswechsel in der Asylpolitik habe die dänische Regierung den Erfolg rechtsnationaler Parteien von über 20 auf unter drei Prozent zurückdrängen können, sagte Merz. Dies müsste man in Deutschland auch hinbekommen können.
Linnemann bringt "Schulterschluss" ins Spiel
Generalsekretär Linnemann brachte einen "Schulterschluss" wie beim Asylkompromiss im Jahr 1993 ins Spiel. Er bot der Ampel-Koalition einen parteiübergreifenden Konsens in der Asylpolitik an. Deutschland brauche "so einen Konsens wie 1993", sagte Linnemann der "Süddeutschen Zeitung". 1993 hatten sich die damalige Bundesregierung aus Unionsparteien und FDP sowie die damals oppositionelle SPD auf den sogenannten Asyl-Kompromiss verständigt, in dessen Folge das Grundrecht auf Asyl erheblich eingeschränkt wurde.
Linnemann sagte, er wolle "weg von diesen Diskussionen, die nur um die AfD kreisen". Eine Stärkung der "demokratischen Mitte" in Deutschland könne nur erreicht werden, "wenn wir das Thema Migration jetzt alle gemeinsam angehen".
Am Freitag hatte die oppositionelle Union bereits im Bundestag versucht, die Ampel-Koalition mit einem Antrag für einen "Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik" unter Druck zu setzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte dabei die Regierung gegen Vorwürfe verteidigt: "Unsere Maßnahmen wirken. Wir steuern und ordnen Migration", betonte sie.
Faeser prüft kurzfristige stationäre Grenzkontrollen
Bewegung deutet sich aber in der umstrittenen Frage der Grenzkontrollen an. Faeser sagte der "Welt am Sonntag" auf die Frage, ob es an der polnischen und tschechischen Grenze kurzfristige stationäre Grenzkontrollen geben werde: "Aus meiner Sicht ist das eine Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen."
Ein Sprecher ihres Ministeriums teilte der Deutschen Presse-Agentur unter Bezug auf das Interview mit: "Entsprechende zusätzliche grenzpolizeiliche Maßnahmen werden aktuell geprüft." Solche zusätzlichen Kontrollen müssten mit der Überwachung des gesamten Grenzgebiets durch die Schleierfahndung gut zusammengreifen, sagte Faeser. "Dafür haben wir die Präsenz der Bundespolizei an der polnischen und der tschechischen Grenze bereits stark verstärkt", erklärte die SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober.
Unionsfraktionschef Merz sagte der "Augsburger Allgemeinen" dass er die Bereitschaft Faesers, stationäre Grenzkontrollen zu Polen und zu Tschechien gegen Schleuser und illegale Einreisen zu ermöglichen, begrüße.
Kontrollen sollen unerlaubte Einreisen verhindern
Als weitere Maßnahme nannte Faeser in dem "Welt am Sonntag"-Interview Kontrollen schon in den Nachbarstaaten. Mit der Schweiz gebe es "bereits eine hervorragende Zusammenarbeit": Bundespolizisten dürften in enger Abstimmung mit Schweizer Polizeikräften auch auf Schweizer Staatsgebiet kontrollieren und unerlaubte Einreisen verhindern. Ähnliches könne es mit Tschechien geben. Die Absprachen dazu liefen bereits, sagte Faeser.
Zudem setze sie auf eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei. "Ich setze dabei auf ein Update des Bestehenden. Das braucht es. Im Moment funktioniert die EU-Vereinbarung mit der Türkei nicht gut genug", so Faeser.
Forderungen bislang abgelehnt
Bisher hatte Faeser die Forderungen nach stationären Grenzkontrollen abgelehnt. Sie bänden zu viel Personal und wären "reine Symbolpolitik, auch angesichts der hohen Umfragewerte der AfD", hatte sie gesagt. Es sei besser, "überall in den Grenzgebieten präsent zu sein - mit Teams der Bundespolizei und der anderen Grenzpolizeien".