Neue Wege im Handwerk Die Bäcker ohne Lust auf Nachtarbeit
Seit Jahren ist die Zahl der Auszubildenden im Bäckerhandwerk rückläufig. Um den Abwärtstrend aufzuhalten, muss die Branche neue Wege gehen. Eine Bäckerei in Speyer macht vor, wie es gehen kann.
Wenn Tamara Waidele die Arbeit in der Backstube verteilt, geht das recht einfach. Schichtarbeit gibt es in ihrem Betrieb nämlich nicht, schon gar nicht Nachtarbeit, wie vielerorts üblich. "Im Prinzip fangen wir morgens alle fast zur selben Zeit an. Einige kommen um 6 Uhr, manche erst um 7 oder 8 Uhr. Wir sind alle ausgeruht und können bei Tageslicht arbeiten", erklärt die 34-Jährige.
Zusammen mit ihrem Freund Sebastian Däuwel führt sie einen Backbetrieb in Speyer, der sich "Die Brotpuristen" nennt. Beide sind Seiteneinsteiger, vor fünf Jahren hat Däuwel das Unternehmen gegründet, Waidele kam ein gutes Jahr später dazu. Die Vision der beiden: Gutes Brot backen zu guten Arbeitszeiten. "Wir wollten einen ganz normalen Alltag. Wir müssen hier nicht nachts stehen und etwas machen, was dem Biorhythmus nicht guttut", erzählt Däuwel.
Mit ihren 15 Angestellten geht das Paar einen ungewöhnlichen Weg: Die Backstube öffnet erst um 6 Uhr, der Verkaufsbereich nebenan um 14.30 Uhr.
Sebastian Däuwel und Tamara Waidele leben ihren besonderen Traum vom Bäckerhandwerk.
Große Qualität, kleines Sortiment
Däuwel zeigt stolz auf den Teig im Kessel: "Das ist im Prinzip das Herzstück all unserer Brote - die selbstgezüchteten Sauerteige. Die geben dem Brot Aroma, Charakter, sorgen für die Frischhaltung und auch dafür, dass das Brot besser verdaulich und bekömmlich ist."
Im Betrieb wird nur Brot gebacken, keine Brötchen, nichts Süßes. Große Qualität, kleines Sortiment: Däuwels Mitarbeiter Luca Truisi erklärt, dass es darum überhaupt keinen Grund gäbe, die Bäckerei schon morgens zu öffnen: "Wir bieten ja kein Frühstück an, wie die klassischen Bäcker, mit Brötchen und Fleischkäse und Kaffee to go."
Däuwel ist in seiner Backstube viel mit dem Handy unterwegs. Er filmt die Kollegen bei der Arbeit und postet die Videos auf Instagram. Über die sozialen Medien hält er Kontakt zur Kundschaft, das ist gerade bei den ungewöhnlichen Öffnungszeiten besonders wichtig. Inzwischen haben "Die Brotpuristen" viele Stammkunden.
Während andere Betriebe den Ofen schon mitten in der Nacht anwerfen, öffnet die Backstube der "Brotpuristen" erst um 6 Uhr morgens.
Anders als viele Kollegen in der Branche hat der Betrieb in Speyer kein Problem, Mitarbeiter zu finden. "Wenn ich eine Anzeige schalte, schreibe ich mit einem kleinen Aufreißer 'Keinen Bock auf Nachtarbeit? Komm' zu uns!' Da bekomme ich dann schon zahlreiche Bewerbungen, oft auch von Quereinsteigern", sagt Däuwel.
Die Branche hat ein Nachwuchsproblem
Bundesweit sieht die Stellenbesetzung im Bäckerhandwerk nicht so rosig aus. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks teilt auf Anfrage von tagesschau.de mit:
Laut den Statistiken des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) blieben 2020 im Bäckerhandwerk bei den Fachverkäufer/innen insgesamt 46,6 Prozent der Stellen und bei den Bäcker/innen 28,4 Prozent der Stellen unbesetzt. Stichtag für die Statistik ist der 30. September, das heißt, nur die Ausbildungsverträge werden berücksichtigt, die bis dahin geschlossen wurden.
Auch wenn nach dem 30. September sicherlich noch Ausbildungsverträge geschlossen wurden, sprechen die Zahlen für sich: Die Branche hat ein Nachwuchsproblem.
Herausforderung Schichtarbeit
Die rückläufigen Zahlen bei den Auszubildenden führt der Verband auf verschiedene Faktoren zurück. Er verweist etwa auf einen Trend zu höheren Bildungsabschlüssen, der wiederum stark mit dem Trend zum Studium verbunden sei. Mit einer "Recruiting Kampagne" versuche man, auch im Netz und über die sozialen Medien eine junge Zielgruppe zu erreichen.
"Was die Vereinbarkeit von Work-Life-Balance und Schichtarbeit anbelangt, steht das Bäckerhandwerk sicherlich wie viele andere Berufszweige vor einer Herausforderung", sagt der Verband zu den Arbeitszeiten. "Fakt ist aber auch: Schichtarbeit lässt sich aus unserer Gesellschaft nicht wegdenken. Ob bei der Polizei, im Krankenhaus oder eben auch im Bäckerhandwerk - in vielen Bereichen wird in Schicht- und Nachtarbeit über die klassischen Tag-Arbeitszeiten hinaus gearbeitet."
Wege in die Zukunft
Däuwel glaubt, dass viele Betriebe in der Branche jetzt langsam wachgerüttelt werden und traditionelle Arbeits- und Öffnungszeiten, aber auch Prozesse in der Backstube überdenken: "Man kann sich etwa mit moderner Kältetechnik, mit modernen Backöfen, mit der Digitalisierung behelfen, dass man die Backstube so optimieren und steuern kann, dass man nicht schon nachts anfangen muss."
Dem 38-jährigen Unternehmer ist klar, dass nicht alle Bäcker den Weg gehen können und wollen, den er mit seinem Betrieb geht. Aber es gäbe da sicherlich noch viele Spielräume, sagt er. Dieser Einschätzung stimmt auch der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks zu: "Es gibt viele betriebliche Leuchttürme, die neue Modelle für sich etablieren und auf die sich die Kunden einstellen können." Dazu gehören sicherlich auch "Die Brotpuristen".