AfD-Anhänger demonstrieren in Neubrandenburg.
Interview

Interview zu Umfragewerten "Ignorieren der AfD funktioniert nicht"

Stand: 15.01.2016 15:34 Uhr

Die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition treibt die Umfragewerte der AfD nach oben, erklärt Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer im Gespräch mit tagesschau.de. Trotzdem ist er nicht sicher, dass die Partei in den Bundestag einzieht.

tagesschau.de: Die AfD steht in Umfragen bundesweit bei zehn Prozent. Die Partei hat gute Chancen, in diesem Jahr in fünf Landtage einzuziehen. Welche Gründe sehen Sie für den Erfolg?

Oskar Niedermayer: Die hohen Umfragewerte sind eindeutig auf die Flüchtlingskrise und ihre Auswirkungen zurückzuführen. Im Sommer stand die Partei nach der Abspaltung des gemäßigten Flügels um Parteigründer Bernd Lucke ja nur bei drei Prozent. Erst als die Stimmung in der Flüchtlingsfrage in der Bevölkerung ab Oktober ins Negative umschwenkte, gingen die AfD-Werte wieder nach oben. Das hat sich die Partei zu Nutze gemacht. Schon in ihrer "Herbstoffensive" stellte die AfD das Flüchtlingsthema ganz nach vorne. Heute spielt für die öffentliche Wahrnehmung der Partei kaum noch etwas anderes eine Rolle.

Oskar Niedermayer
Zur Person

Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler, war zuletzt Professor an der FU Berlin und ist inzwischen emeritiert. Schwerpunkte seiner Forschung sind politische Einstellungen sowie die Parteien- und Wahlforschung.

tagesschau.de: Höhenflüge rechtspopulistischer Parteien gab es in Deutschland immer wieder - etwa die Republikaner oder die Schill-Partei. Bisher sind alle wieder verschwunden. Wird es bei der AfD genauso sein?

Niedermayer: Die Partei kann darauf bauen, dass das Thema Flüchtlinge uns auch noch in den kommenden Jahren beschäftigen wird. Das spielt ihr in die Hände. Wie sehr es ihr nutzt, hängt aber natürlich von der Frage ab, ob die Politik das Problem in absehbarer Zeit in den Griff bekommt. Die guten Umfragewerte der AfD stützen sich nicht nur auf die stramm rechte Ecke, sondern auch auf Protestwähler, die sich beim Thema Flüchtlinge von den etablierten Parteien nicht vertreten fühlen.

tagesschau.de: Sitzt die AfD also bald im Bundestag?

Niedermayer: Ich bin nicht so weit zu sagen, dass die AfD auf jeden Fall in den nächsten Bundestag einziehen wird. Bis zur Wahl ist es noch lange hin. Wie hoch das Stammwählerpotential der AfD jetzt schon ist, lässt sich aufgrund der vielen Protestwähler kaum sagen. Ich vermute aber, dass die Partei allein mit diesen Wählern Schwierigkeiten hätte, in den Bundestag zu kommen.

tagesschau.de: Was müssten die etablierten Parteien tun, um der AfD das Wasser abzugraben?

Niedermayer: Man muss die Partei argumentativ stellen. Leider passiert das zu wenig. Im Wahlkampf in Baden-Württemberg etwa weigern sich die etablierten Parteien, mit der AfD in Talkshows aufzutreten. Das ist Wasser auf ihre Mühlen. So kann die AfD behaupten, dass die etablierten Parteien keine inhaltlichen Argumente gegen sie hätten und sie deshalb ausgrenzen. Ignorieren funktioniert nicht!

tagesschau.de: Nach den Vorfällen von Köln forderten Politiker von der Linken bis zur CSU schnellere Abschiebungen und andere Gesetzesverschärfungen. Zeigt sich da bereits der Einfluss der AfD auf die Tagespolitik?

Niedermayer: Ich denke, was die geplanten Verschärfungen des Sexualstrafrechts und der Asylbestimmungen angeht, haben andere Faktoren eine größere Rolle gespielt - aber natürlich provozieren die Umfragewerte der AfD eine Reaktion. Die Parteien müssen sich mit einem neuen Mitbewerber auseinandersetzen. Das wirkt sich aus.

tagesschau.de: Franz Josef Strauß forderte, dass es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Ist die Union in dieser historischen Mission gescheitert?

Niedermayer: Rechte Parteien werden gestärkt, wenn gerade konservative Regierungen der Bevölkerung in Fragen der Zuwanderungspolitik oder der inneren Sicherheit Versprechungen machen, die sie nicht einhalten. Das frustriert einen Teil der Wähler. Diese Menschen wenden sich dann ab. Das sehen wir im Moment. Aber die AfD zieht nicht nur ehemalige Unionsanhänger an.

tagesschau.de: Wie rechts ist die AfD?

Niedermayer: Die Partei ist durch den Austritt des Lucke-Flügels weiter nach rechts gerückt. Wenn ich mir die Programmatik und die Diskussionen in der Partei anschaue, halte ich es für extrem schwierig, die Partei nur mit einem Wort zu bezeichnen. Sie deckt einen Bereich ab, der von nationalkonservativ bis zum äußersten rechten Rand reicht.

tagesschau.de: Auch jetzt streitet die Partei wieder über ihren Kurs. Dem rechten Flügel ist Parteichefin Frauke Petry zu gemäßigt. Droht der AfD eine weitere Spaltung?

Niedermayer: Das ist denkbar, es würde die Chancen der Partei sich zu etablieren jedoch deutlich senken. Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die Ausrichtung der AfD. Ich vermute, dass die handelnden Personen den Streit zumindest bis nach den Landtagswahlen im März vertagen, um der Partei nicht zu schaden. Danach könnte es härter zur Sache gehen - schließlich steht die AfD dann kurz vor ihrem Programmparteitag.

Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de.