ARD-Vorsitzender zu "No Billag" "Wir müssen offen für Kritik sein"
Die ARD werde sich auch nach dem Rundfunkgebühren-Referendum in der Schweiz nicht zurücklehnen, macht der der ARD-Vorsitzende Wilhelm deutlich. Dialog sei wichtig, sagte er bei tagesschau24. Der Rundfunk gehöre der ganzen Gesellschaft.
tagesschau24: Eine große Mehrheit der Schweizer ist gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühren. Wie erleichtert waren Sie, als Sie die Hochrechnungen gehört haben?
Ulrich Wilhelm, ARD-Vorsitzender: Wir sind mit den Schweizer Kollegen über 3Sat und über eine Fülle von gemeinsamen Initiativen verbunden. Insofern haben wir die Diskussion und auch den heutigen Tag intensiv verfolgt. Wir begrüßen das Ergebnis, weil es bei allen Besonderheiten, die der Schweizer Rundfunkmarkt hat, etwa das Senden in vier Sprachen, doch auch Erfahrungen gibt, die auf uns übertragbar sind.
tagesschau24: Lässt sich die Stimmung in der Schweiz auch eins zu eins wohl auf Deutschland übertragen?
Wilhelm: Eins zu eins sicher nicht. Aber es gab eine umfassende Darstellung der Argumente beider Seiten. Dass sich in allen Kantonen eine so große Mehrheit im Lichte dieser Argumente für eine solidarische Finanzierung und gegen die Alternative von reinen Bezahlmodellen nach punktueller Nutzung ausgesprochen hat, ist doch ein Punkt, der glaube ich übertragbar auf uns ist.
Denn auch hier argumentieren Gegner der öffentlich-rechtlichen Finanzierung damit, dass man auch für ARD und ZDF ähnlich wie bei Netflix oder iTunes oder Amazon Prime immer nur für das bezahlen sollte, was man ganz konkret nutzt. Auf diese Argumentation hin gab es ja eine ganze Fülle von Darstellungen und Informationen in der Schweiz wozu das führen würde.
Auch für Minderheiten senden
tagesschau24: Was sagen Sie jenen in Deutschland, die nur zahlen möchten, wenn sie ein Angebot nutzen?
Wilhelm: Es ist genau so, wie Sie es ansprechen. Letztlich geht es darum, ob man weiterhin hochwertige Angebote in dieser Fülle ohne die solidarische Finanzierung über einen Beitrag oder eine Gebühr haben würde. Und da zeigt sich - auch nach Überzeugung einer großen Mehrheit der Bevölkerung - dass das nicht geht.
Das umfassende Netz von Auslandskorrespondenten, eine Vertretung in allen Ländern in allen wichtigen Regionen der Welt, wäre nicht möglich. Eine nur punktuelle Bezahlung, wenn in einem bestimmten Teil der Erde etwas Besonderes passiert, reicht nicht.
Das Korrespondentennetz im In- und Ausland sei ohne öffentliche Finanzierung nicht möglich, so Wilhelm.
Oder nehmen Sie die Fülle der regionalen Berichterstattung, sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehen, also die vielen Büros, die wir in allen Landesteilen haben und dort Themen erfassen. Nicht nur im Bereich der Politik, sondern auch Bildung Wissenschaft und Kultur. Dazu Themen des regionalen Sports. Nehmen Sie die Dritten Programme.
Was an großartiger Qualität bei den großen Abodiensten angeboten wird, sind in der Regel fiktionale Produkte, die für die ganze Welt hergestellt werden, die man also durch Bezahler in vielen Ländern refinanzieren kann. Wir bieten immer wieder auch für kleinere Publika, für Minderheiten und besondere Aspekte wie etwa Kinderprogramme oder die Übertragung von Gottesdiensten. Glaubensthemen, Wirtschaftsmagazine - all das gibt es in einer Welt nur privater Finanzierung im Rundfunk nicht. Das ist neben der Unabhängigkeit, die ein ganz großer Wert an sich ist, ein ganz entscheidender Vorteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Mit dem Publikum reden
tagesschau24: Bedeutet das Ergebnis in der Schweiz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier in Deutschland, dass wir uns bequem zurücklehnen können?
Wilhelm: Das kann sich heute keine Institution mehr leisten. Heute wird immer mehr gefordert, dass sich alle erklären, dass alle darlegen, warum sie das, was sie machen, genauso machen. Und das gilt genauso für uns.
Wir müssen in einen Dialog mit dem Publikum, mit der ganzen Gesellschaft treten. Wir müssen deutlich machen, warum wir bestimmte Angebote machen. Wir müssen aber auch offen für Kritik sein, für berechtigte Anliegen aus der Gesellschaft und auch immer wieder bereit sein, uns selbst zu überprüfen. Also ob die Angebotspalette schon umfassend genug ist oder ob von bestimmten Dingen vielleicht nicht zu viel vorhanden ist und wir auf andere Dinge besser reagieren sollten.
Ich glaube, dass ist auch ein Punkt, den die Schweiz lehrt. Als der öffentlich-rechtliche Rundfunk begann, in einen Dialog mit dem Publikum zu gehen, drehten sich die Umfragen. Als der Rundfunk als ein mindestens sehr distanziertes Gebilde oder sogar als ein abgehobenes Gebilde erlebt wurde, da bauten sich Widerstände auf.
Für uns ist wichtig, wenn wir überhaupt auf einem Sockel stehen, runter vom Sockel! In das Gespräch mit der Gesellschaft gehen und immer wieder offen für alles sein. Aber auf der anderen Seite können wir stolz sein auf den Wert, den wir verkörpern: nämlich ein unabhängiges Programm. Einen Rundfunk der der Gesellschaft gehört und der es sich auch leisten kann, dass er in regionaler Fülle und Unterschiedlichkeit alle Lebenswelten in Deutschland abbilden soll, und sich immer wieder bemüht, das zu tun.