Jahresbilanz der Opferberatungen Rassistisch motivierte Gewalt gegen Kinder nimmt zu
Rassistische Angriffe und Beleidigungen treffen offenbar in wachsendem Maße auch Kinder und Jugendliche. Beratungsstellen schlagen Alarm. Der jüngste Vorfall im brandenburgischen Heidesee hatte für Entsetzen gesorgt.
Rassistisch motivierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen nimmt zu, warnen die Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die Zahl entsprechender Angriffe habe sich innerhalb von einem Jahr fast verdoppelt, sagte Sultana Sediqi vom Thüringer Verein "Jugendliche ohne Grenzen" bei der Vorstellung der Jahresbilanz des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG).
520 Kinder und Jugendliche wurden demnach im vergangenen Jahr Opfer rechter Gewalt - 2021 waren es 288 betroffene Minderjährige.
Etwa 2900 Opfer rechter Gewalt
Auch insgesamt habe rechte, rassistische und antisemitisch motivierte Gewalt zugenommen. Laut der Jahresbilanz des VBRG ereigneten sich im Jahr 2022 täglich bis zu fünf rechte Angriffe alleine in den zehn Bundesländern, in denen Anlaufstellen für Betroffene diese systematisch erfassen. 2861 Menschen seien in Ostdeutschland, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein direkt von politisch rechts motivierten Angriffen betroffen gewesen.
Besorgniserregend sei sowohl der Anstieg von mehr als 15 Prozent bei rechten Gewalttaten mit 1340 Fällen im vergangenen Jahr (2021 waren es 1151) - insbesondere Körperverletzungsdelikten - als auch eine Verdreifachung der Nötigungen und Bedrohungen insbesondere aus rassistischen und antisemitischen Motiven (2022: 653; 2021: 197).
Die Dunkelziffer dürfte dabei deutlich höher liegen, so der VBRG. Da, wo es kein ausreichendes Beratungsangebot gebe, blieben viele Vorfälle unentdeckt, sagte VBRG-Vorstandsmitglied Robert Kusche. Zudem kritisierte er die von den Bundesländern und dem Bund geführte Statistik über politisch motivierte Kriminalität als unzureichend. Viele Fälle würden dort als nicht zuordenbar eingeordnet. Es finde eine "eklatante Untererfassung" rechter Tatmotive statt.
Faeser: Rechtsextremismus als größte Bedrohung fürs Land
Bei der Vorstellung des Berichts verwies der Verband auch auf den jüngsten Vorfall im brandenburgischen Heidesee. Am Wochenende waren Schülerinnen und Schüler aus Berlin während eines Ausflugs offenbar von alkoholisierten, teils vermummten Jugendlichen bedroht und rassistisch beleidigt worden. Die Klasse musste daraufhin die Fahrt abbrechen.
Eine gründliche Aufarbeitung sei nötig, betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Der Vorfall sei "furchtbar", sagte die SPD-Politikerin vor Journalisten in Berlin. Die Vorgänge müssten Politik und Behörden nun "sehr genau aufarbeiten". Ziel müsse es sein zu verhindern, "dass so etwas noch einmal passiert". Sie finde an dem Fall "auch sehr schrecklich, dass quasi diejenigen weichen mussten, die angegriffen wurden", sagte Faeser.
Sie verwies darauf, dass sie schon zu Beginn ihrer Amtszeit gesagt habe, dass Rechtsextremismus "die größte Bedrohung für Demokratie in unserem Land" sei. Die Bundesregierung habe deshalb das Disziplinarrecht für extremistische Staatsbedienstete verschärft, gehe mit ihren Sicherheitsbehörden härter vor und habe die Prävention verstärkt. "Ich hoffe, dass die Bundesländer ähnliche Prioritäten auch setzen", sagte Faeser.
Woidke: Gäste sind herzlich willkommen in Brandenburg
Der Staatsschutz habe die Ermittlungen wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Bedrohung übernommen, sagte der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). "Wir müssen als Gesellschaft gemeinsam dagegenhalten - ob in Schulen, Betrieben oder Freundes- und Familienkreis", erklärte Woidke weiter. Es sei "schmerzhaft und beschämend", dass Rechtsextremismus und Hass weiter ein erhebliches Problem darstellten. Wer es klein rede, befördere es.
Deshalb müsse gesagt werden, was ist, und die Demokratie müsse wehrhaft sein. "Und allen unseren Gästen sagen wir: Ihr seid in Brandenburg herzlich willkommen", erklärte Woidke. Wer sich anders verhalte, schade "unserer Heimat Brandenburg". Das dürfe nicht sein.