Symbolbild: Gewalt gegen Frauen. Ein Mann erhebt seine Faust vor einer Frau die am Boden sitzt. (Quelle: dpa/Simon)

Berlin Bericht des Opferbeauftragten: Gewalt gegen Frauen hat in Berlin deutlich zugenommen

Stand: 05.12.2024 06:00 Uhr

Die neue Bericht des Berliner Opferbeauftragten listet alarmierende Zahlen auf: Im Jahr 2023 gab es so viele Opfer von Straftaten wie nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 2012. Besonders häufig davon betroffen sind Frauen - und Kinder. Von Ulf Morling

Berlins Opferbeauftragter Roland Weber hat seinen jährlichen "Bericht zur Situation der Opfer von Straftaten im Land Berlin 2023" veröffentlicht. Darin kommt er zu einem ernüchternden Ergebnis: Seit Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 2012 sei er aktuell zu dem Schluss gekommen, dass man "mit 30 bis 40 Prozent mehr Opfern in den letzten zehn Jahren rechnen" müsse, heißt es darin.

Allein für das letzte Jahr seien 106.671 Menschen Opfer von Straftaten gewesen. Allerdings erfasse das nur die polizeilich verfolgten Verdachtsfälle laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS). Wie viele Opfer von Straftaten es tatsächlich in der Hauptstadt gebe, sei Spekulation - es gebe ein großes Dunkelfeld.

Im aktuellen Bericht geht es explizit auch um Gewalt gegen Frauen. In diesem Zusammenhang betont der von der Justizsenatorin beauftragte Rechtsanwalt Weber, dass die seit Jahren in Aussicht gestellten zusätzlichen Frauenhaus-Plätze in Berlin endlich geschaffen werden müssten. Außerdem müssten Gerichtsverfahren verkürzt und Täterprogramme verstärkt ausgebaut werden, erklärt der Jurist, der seine Tätigkeit als Opferbeauftragter des Landes Berlin ehrenamtlich ausübt.

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Deutlich mehr Vergewaltigungen und häusliche Gewalt

In der PKS sind im letzten Jahr 1.151 Vergewaltigungsfälle erfasst worden - das waren knapp 23 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Gewalttaten in Familie und Partnerschaft haben demnach um 8,8 Prozent zugenommen, in diesem Bereich wurden 18.784 gezählt.

Das Land Berlin habe zwar auch entsprechende Täteranlaufstellen, sagt Weber. Er hoffe aber, dass "jetzt nicht im Zuge der Einsparmaßnahmen die Täterarbeit abgebaut werden muss". Um Gewalt gegen Frauen effektiv bekämpfen zu können, müsse man mit Opfern und Tätern arbeiten. Er sei allerdings "relativ zuversichtlich", dass auch im neuen Haushalt die Täterarbeit einen wichtigen Raum einnehmen werde, da sich Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) stark für die Bekämpfung der Gewaltdelikte gegen Frauen einsetze.

Die Täter seien "sehr findig", sagt Weber: Gewalttätige Männer schmuggelten GPS-Tracker in Autos und Kinderspielzeug, um den geheimen Aufenthaltsort der vor ihrer Gewalt ins Frauenhaus geflüchteten Partnerin zu erfahren. Das allein stelle die Schutzeinrichtungen vor neue Herausforderungen: Um die Frauen weiterhin effektiv schützen zu können, bräuchten sie auch mehr Personal.

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Häusliche Gewalt mit schnelleren Verfahren bekämpfen

Weber fordert schnelle Verfahren - von der Strafanzeige bis zum Strafprozess - , so wie es bereits vor zwei Jahrzehnten bei Jugendverfahren diskutiert wurde. Zwar reagierten Polizei und Familiengerichte verhältnismäßig schnell, wenn es darum geht, einen gewalttätigen Partner aus der gemeinsamen Wohnung wegzuweisen. Aber bis zu einem Strafprozess vergehe in einer Vielzahl von Fällen bis zu ein Jahr, müsse er aus seiner Erfahrung als Opferanwalt sagen.

Mit der Zeit fühle sich der Täter oft ermutigt, sein gewalttätiges und bedrohliches Verhalten fortzusetzen. Würde die Strafe für den Täter schnell auf dem Fuße folgen, könne man eine ganze Menge erreichen, meint Weber in seinem Jahresbericht: "Zügige und schnelle Verfahren sind mit Sicherheit einer der Schlüssel, wie sich häusliche Gewalt bekämpfen lässt!“

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Sexuelle Übergriffe auf Kinder im Internet stark gestiegen

Eine weitere alarmierende Erkenntnis des neuen Opferberichts: Während es im letzten Jahr in Berlin 85 Fälle von Kindesmissbrauch weniger gab (das entspricht einem leichten Rückgang von 2,6 Prozent), stiegen die Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs ohne Körperkontakt deutlich an. Zu dieser Deliktgruppe gehört auch das "Cybergrooming", bei dem Täter den Kontakt mit Kindern etwa über soziale Medien aufnehmen und sie über das Internet zu sexuellen Handlungen nötigen.

Um 31,4 Prozent stieg der Missbrauch ohne Körperkontakt, das entspricht insgesamt 255 Fällen in der Hauptstadt. "Wo die Eltern sich nicht kümmern, oder nicht kümmern können, ist der Bereich des Missbrauchs von Kindern übers Internet viel stärker ausgeprägt", sagt Weber. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bereits im Kindergarten, später auch in der Schule, die Kinder entsprechend zu sensibilisieren.

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Besserer Schutz von Pflegebedürftigen nötig

Erstmals wird in diesem Jahr die Gruppe der Pflegebedürftigen im Bericht des Berliner Opferbeauftragten aufgeführt. 2021 wurde das Netzwerk "Gewaltfreie Pflege" gegründet und meldete für 2022 dreiundzwanzig Verfahrenseingänge mit Opfern ab 70 Jahren.

Im letzten Jahr hatten sich laut der Berliner Amtsanwaltschaft die Ermittlungsverfahren auf 42 fast verdoppelt. "Die Zahlen zeigen, dass pflegebedürftige Menschen erhöhten Schutzbedarf haben und hier unbedingt verstärkt gehandelt werden muss", schreibt Weber in seinem aktuellen Bericht.

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Weber: Opfer müssen besser über Hilfsangebote informiert werden

Als Fazit seines neuen Berichts stellt Weber fest, dass Opfern besser geholfen werden könne, wenn ihnen frühzeitig der Weg zu professioneller Hilfe gezeigt würde. "Wir sehen aber, dass die Art der Information nicht ausreicht!" Im Regelfall werde den Geschädigten nur ein Informationsblatt von der Polizei in die Hand gedrückt, nachdem sie Opfer einer Straftat geworden seien. Darin erfahren sie, wo sie Hilfe bekommen könnten.

Doch den Weg zur richtigen Hilfseinrichtung zu finden, sei für viele immer noch ein Problem. Deshalb sei der in Berlin vor einigen Jahren eingeschlagene "proaktive Weg" sehr wichtig und funktioniere sehr gut. Dabei würde die Polizei mit dem Einverständnis der Opfer einige Daten an die "proaktiv - Servicestelle für Betroffene von Straftaten" weiterleiten. Über deren Vermittlung melde sich schließlich eine geeignete, oft hoch spezialisierte Hilfseinrichtung direkt beim Opfer. Denn Geschädigte seien nach einer Straftat oft nicht in der Lage, eigenständig Hilfe zu suchen.

Die Frage sei aber, ob die Ausweitung von "proaktiv" in den nächsten Jahren in Berlin weiter so erfolgen könne, denn es bedeute "einen gewissen Mehraufwand", Schulungen und die Ansprache der Geschädigten - und das in Zeiten knapper Kassen. Einen Zettel mit Hilfsangeboten den Opfern zu überreichen, sei jedenfalls nicht ausreichend.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.12.2024, 15:30 Uhr