Berlin Bezirksamt überprüft sieben Milieuschutzgebiete in Berlin-Mitte
Der Milieuschutz soll Menschen vor Verdrängung schützen - ob die Voraussetzungen dafür noch gegeben sind, muss in gewissen Abständen geprüft werden. Derzeit betrifft das Zehntausende Menschen in Berlin-Mitte. Von Roberto Jurkschat
Das Bezirksamt Mitte lässt derzeit in sieben Wohngebieten prüfen, ob der dort geltende Milieuschutz fortbestehen kann.
Dazu hat die Landesweite Planungsgesellschaft mbH (LPG) im Auftrag des Bezirks Fragebögen an 22.000 Haushalte geschickt. Das teilte das Bezirksamt in Berlin-Mitte mit. Die Prüfung betrifft die Milieuschutzgebiete Kattegatstraße, Soldiner Straße, Reinickendorfer Straße, Alexanderplatzviertel, Thomasiusstraße, Humboldthain Nord-West und Tiergarten-Süd. Dort leben rund 57.000 Menschen in 27.000 Wohnungen.
81 Milieuschutzgebiete in Berlin
Der Milieuschutz soll Gentrifizierung verhindern und die Wohnbevölkerung in einem bestimmten Bereich vor Verdrängung schützen. Deshalb gelten in solchen sogenannten "sozialen Erhaltungsgebieten" besondere Regeln. Unter anderem sind Luxussanierungen verboten, Arbeiten, wie Fassaden-Dämmungen, Badsanierungen oder Grundrissveränderungen müssen von den Bezirksämtern genehmigt werden. Eigentümer brauchen auch Grünes Licht vom Bezirk, wenn sie Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln wollen.
In Berlin ist die Zahl der Milieuschutzgebiete in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen, derzeit gibt es nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 81 Milieuschutzgebiete, in denen 1,2 Millionen Menschen leben. Insbesondere in der Innenstadt gilt der Milieuschutz mittlerweile fast überall.
Allerdings müssen Kommunen auch in gewissen Abständen prüfen, ob die Gebiete die Voraussetzung für den Milieuschutz noch erfüllen - genau das passiert gerade im Bezirk Mitte. "Jetzt erfolgt eine erstmalige Überprüfung der vor sechs Jahren festgesetzten Gebiete", wie eine Beziskssprecherin rbb|24 mitteilte. Berlinweit einheitliche Regeln, in welchen Abständen Milieuschutzgebiete überprüft werden sollen, gibt es derzeit nicht.
Befragung nur eines von vielen Kriterien
Die bis 9. Dezember laufende Haushaltsbefragung soll nun zunächst den Sanierungsstand von Wohnungen erfassen, erklärt eine Sprecherin des Bezirks. Unter anderem wird gefragt, welches Einkommen die Menschen haben und wie viele Mitglieder die Haushalte. Neben der Haushaltsbefragung erfolgen eine Ortsbildanalyse, bei der alle Wohngebäude von außen eingestuft werden, eine Infrastrukturanalyse sowie eine ausführliche Auswertung amtlicher Statistiken.
Am Ende sprechen Gutachter dem Bezirk eine Empfehlung aus, ob der Milieuschutz fortgesetzt werden soll, oder nicht - wobei die endgültige Entscheidung die Bezirksverordneten zu treffen haben.
Dass der Milieuschutz in den sieben Gebieten in Mitte aufgehoben wird, hält der Soziologe und Privatdozent an der Berliner Humboldt Universität, Matthias Bernt für unwahrscheinlich: "Der Wohlstand in Milieuschutzgebieten wie der Reinickendorfer Straße in Wedding hat im Großen und Ganzen nicht so sehr zugenommen, dass Mietsprünge die Menschen dort nicht mehr verdrängen könnten."
Im Jahr 2022 wurden in Mitte bereits die fünf bestehenden Milieuschutzgebiete übeprüft - in allen Gebieten (Waldstraße, Sparrplatz, Seestraße, Leopoldplatz und Birkenstraße) gilt der Milieuschutz auch heute noch.
Anderderseits hat der Bezirk 2016 nach einer Evaluierung die Milieuschutzsatzung für das Gebiet in der Oranienburger Vorstadt rings um das Naturkundemuseum den Milieuschutz aufgehoben - mit der Begründung, dass dort bereits ein Großteil der Wohnungen Eigentumswohnungen waren.
"Der letzte Strohhalm der Bezirke"
Mit Blick auf die Entwicklung am Berliner Wohnungsmarkt stellt sich aber ohnehin die Frage, wie effektiv die sozialen Erhaltungsgebiete Gentrifizierung und unerwünschte Mietpreissprünge tatsächlich verhindern können. Laut einer Statistik der Investitionsbank Berlin-Brandenburg haben die Angebotsmieten in Berlin allein zwischen 2013 und 2022 um rund 47 Prozent zugenommen.
Berlin hatte sein erstes Milieuschutzgebiet 1991 im Stephankiez in Tiergarten ausgewiesen - damals bereits in der Sorge, der Hauptstadtbeschluss könnte eine Verdrängungswelle auslösen.
In den Folgejahren haben Bezirke viele Bereiche in den Sanierungsgebieten in Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain wegen rasant gestiegener Mieten zu Milieuschutzgebieten deklariert, wie Matthias Bernt erklärt. "Für die Bezirke war das der letzte Strohhalm, um irgendwie noch Einfluss gegen Verdrängung zu nehmen. Das war ein Versuch, auf lokaler Ebene auszugleichen, was das deutsche Mietrecht nicht leistet."
Inzwischen gibt es die meisten Milieuschutzgebiete in Mitte (14), Pankow (14), Friedrichshain-Kreuzberg (11), Neukölln (10) und Tempelhof-Schöneberg (10) - in Lichtenberg (3), Treptow-Köpenick (3), Spandau (2), Reinickendorf (2) und Marzahn-Hellersdorf (0) die wenigsten.
Wirksam bei Luxussanierungen - aber nicht gegen Mietsteigerungen
Während die Zahl der Milieuschutzgebiete in den vergangenen Jahren stieg, wurde das Gesetz auf Bundesebene allerdings zunehmend ausgehöhlt. Matthias Bernt spricht von einem "schwachen Instrument", insbesondere, weil Möglichkeiten zur Festlegung von Mietobergrenzen und das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten weitgehend aufgehoben wurden.
Ein Knackpunkt ist aus Sicht der Mieter:innen zudem, dass der Milieuschutz nicht die Umsetzung zeitgemäßer Wohnstandards verhindern darf. "Energetische Sanierungen sind auch in Milieuschutzgebieten fast immer zu genehmigen", erklärt Bernt. "Schon das führt häufig zu Mietsprüngen, die so hoch sind, dass die Mieter ausziehen müssen und neue Leute einziehen, die deutlich höhere Mieten zahlen können."
Tatsächlich verhindern kann der Milieuschutz Luxussanierungen: Marmor im Bad, einen zweiten Balkon, den Wintergarten, die Fußbodenheizung, den Innenkamin. "Gekappt wird damit letztlich nur das wirklich oberste Ende des Mietenspektrums, die insgesamt starken Mietpreissteigerungen in Berlin werden so nicht gestoppt. Was es bräuchte, wäre eine vernünftige Mietengesetzgebung auf Bundesebene."
Milieuschutz ohne Vorkaufsrecht deutlich geschwächt
Wibke Werner, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, drückt es so aus: "Der Milieuschutz ist zwar besser als gar kein Schutz", sagt sie. Dennoch müsse insbesondere für das verloren gegangene Vorkaufsrecht der Bezirke ein Ersatz geschaffen werden.
Über das Vorkaufsrecht hatten Bezirke die Gelegenheit bei Hausverkäufen einzuschreiten. Dabei konnten Bezirke Häuser kaufen und etwa an gemeinnützige Träger oder Genossenschaften weitergeben. Eigentümer konnten dies abwenden, wenn sie sich im Gegenzug verpflichteten, auf eine Erhöhung der Mieten oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu verzichten.
Vom Vorkaufsrecht hatte insbesondere der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Gebrauch gemacht, auch andere Bezirke hatten für eine Vielzahl von Wohnhäusern moderate Auswirkungen bei Eigentümerwechseln ausgehandelt. Im November 2021 hatte das Bundesverwaltungsgericht dem Vorkaufsrecht allerdings die Rechtsgrundlage weitgehend entzogen: Die Bezirke können das Vorkaufsrecht seither nicht mehr auf der bloßen Annahme ausüben, dass ein Käufer in Zukunft möglicherweise erhaltungswidrige Absichten verfolgen könnte.
In 354 Fällen mussten Bezirke kurz nach der Gerichtsentscheidung ein sogenanntes Negativzeugnis ausstellen, was bedeutet, dass sie das Vorkaufsrecht nicht ausüben konnten. Nach Angaben der Stadtentwicklungsverwaltung war das Vorkaufsrecht im Jahr darauf bereits nicht mehr ausgeübt worden.
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